Gesellschaft Politik

Putins Krieg gegen die Demokratie

Kerstin Müller

Am frühen Morgen des 24. Februar 2022 hat Russland die gesamte Ukraine angegriffen. Der Tag wird Europa und die Welt verändern Nicht nur, weil Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen ein souveränes europäisches Land begonnen hat. Putin legt mit diesem Krieg die gesamte europäische Sicherheits- und Friedensordnung in Schutt und Asche.

Ein Kommentar von Kerstin Müller

Unter Inkaufnahme unendlichen Leids der ukrainischen Bevölkerung. Tausende wurden bereits durch die Bomben auf ukrainische Städte getötet. 300.000 Menschen sind auf der Flucht, mit mindestens vier Millionen Flüchtenden rechnen die Vereinten Nationen.

Warum das alles? Was will Putin? Die „Russlandversteher“ in der deutschen Politik und Gesellschaft hatten bisher angenommen, dass was dran ist am Putinschen Vorwurf, die Nato wolle Russland „einkreisen“ und habe mit der Nato-Osterweiterung ein falsches Bedrohungsszenario aufgebaut. Das müsse gestoppt und Putin in einen intensiven Dialog eingebunden werden. Man setzte auf ökonomische „Verflechtung“, z. B. bei Öl, Kohle und Gas, mit der Folge, dass die EU 40 Prozent und Deutschland gar 55 Prozent seines Gases aus Russland importiert. Energiepolitisch und geopolitisch ein fataler Irrweg, wie sich jetzt zeigt. Denn die EU und vor allem Deutschland sind energie- und sicherheitspolitisch erpressbar geworden.

Wir haben ein Monster gefüttert, dem es um etwas ganz anderes geht. Sein Feind ist die liberale Demokratie – nicht nur in der Ukraine, den ehemaligen Staaten der Sowjetunion und dem Westen, sondern vor allem auch im Inneren des eigenen Landes.

Wer daran noch Zweifel hat, sollte sich vor allem das Putinsche „Manifest“ vom Juli 2021 und seine einstündige Rede vom 21. Februar 2022 anschauen, mit der er am Ende die ostukrainischen Teilrepubliken Luhansk und Donezk anerkennt. Er begründet dort die Invasion der Ukraine mit einem völkischen Konzept, denn die Russen, die Ukrainer und Weißrussen seien gemeinsam „Nachfahren des alten Rus“. Die Ukraine müsse quasi „heim ins russische Reich“ geholt werden. In seiner beispiellosen Rede behauptet er, es gehe darum, die Ukraine von „Radikalen und Neonazis zu befreien“ und sie vor einem „atomaren Erstschlag der Nato“ zu schützen, der Russland bedrohen würde.

Die abwegigen Gedanken eines Wahnsinnigen? Keineswegs. Mit diesem faschistoiden, aggressiven Nationalismus hat Putin offensichtlich ideologisch den Krieg vorbereitet. Es interessiert ihn auch nicht, dass die Ukraine von einem jüdischen Präsidenten regiert wird, der mit 63 Prozent in freien Wahlen gewählt wurde.

Er macht in seiner Rede am 21. Februar 2022 deutlich, dass eine unabhängige demokratische Ukraine nicht neben einem russischen Staat existieren könne.

Im Inneren Russlands hat Putin seit 2011 systematisch die Demokratiebewegung bekämpft, ihre Organisationen mit dem Agentengesetz verboten, Oppositionsführer wie Nawalny vergiftet, in Lager verschleppt und kritische Journalisten und Journalistinnen ermorden lassen. Aber erst die außenpolitische Annexion der Krim, die systematische Konstruktion eines erfolgreichen Feldherrn in der Ostukraine und Georgien, die Unterstützung für Diktatoren in Belarus und Kasachstan, haben seine Umfragewerte im Inneren wieder steigen lassen. Der Krieg gegen die Ukraine dient also der Absicherung seines autokratischen Herrschaftssystems im Inneren und dem Kampf gegen die liberale Demokratie. Niemand kann sich daher in der NATO in Sicherheit wiegen.

Und das ist der eigentliche Grund, weshalb es richtig ist, dass die EU und die Nato scheinbar endlich aufgewacht sind. Auch die deutsche Bundesregierung hat am 27. Februar offensichtlich eine 180-Grad-Kehrtwende ihrer Sicherheits- und Energiepolitik eingeleitet.

Eine unabhängige nachhaltige Energiepolitik soll nun zügig angepackt werden. Massive Wirtschaftssanktionen des Westens, einschließlich des Ausschlusses vom Zahlungssystem SWIFT wurden verhängt.

Sicherheitspolitisch soll mit einer massiven Aufstockung des Verteidigungsetats um 100 Milliarden nun endlich auch in der Zukunft unsere liberale Demokratie und unsere europäische Friedensordnung gegen Autokraten verteidigt werden. Vor allem: Endlich sind wir bereit, der angegriffenen Ukraine Waffen zu liefern, die sie zu ihrer Verteidigung braucht. Das war überfällig.

Kerstin Müller

Staatsministerin im Auswärtigen
Amt a.D. (2002-05)
MdB Bündnis 90/Die Grünen 1994-2013, davon u.a. 8 Jahre Fraktionsvorsitzende
Senior Associate Fellow der DGAP,
Kuratorium Aktion Deutschland hilft,
Beiratsmitglied von ELNET

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