…geht immer höher !
Martin Hyun über Rassismuserfahrungen
in der Sportwelt und im Alltag
Dr. Martin Hyun hat eine facettenreiche Lebensgeschichte, die geprägt ist von sportlichen Höchstleistungen, Bildung und Persönlichkeitsentwicklung, Migration und Rassismuserfahrungen, sozialem Engagement und ganz viel Neugier. Er war der erste koreanischstämmige Eishockeyspieler in der Deutschen Eishockey Liga. Inzwischen hat der ehemalige Leistungssportler mehrere Bücher veröffentlicht.
Text: Silke Schuster
Martin Hyun wurde 1979 in Krefeld geboren. Wie viele andere Koreaner verließen auch seine Eltern in den 1970er-Jahren ihr Heimatland, das zu dieser Zeit noch stark unter den Folgen des Koreakrieges und wirtschaftlicher Armut litt. Die Mutter kam als Krankenschwester nach Deutschland, sein Vater als Bergarbeiter. „Dabei war er gar kein ausgebildeter Bergarbeiter. Aber die Bergbauindustrie brauchte einfach neue Kräfte. Die Prüfung wurde lax gehandhabt, die deutschen Behörden haben das den Koreanern überlassen.“ Koreanische Bergmänner bekamen einen Dreijahresvertrag und mussten danach das Land wieder verlassen, um „Frischfleisch“ das Feld zu überlassen. Die koreanischen Bergmänner wollten aber nicht nach Korea zurück, weil sie dort keine Zukunft erwartete: „Südkorea damals war nicht das Südkorea, was es heute ist mit den Hightech-Riesen. Der Korea-Krieg 1950 bis 53, die Teilung des Landes, japanische Kolonialzeit – das hat alles Spuren hinterlassen.“ Drei Jahre lang arbeitete sein Vater in der Zeche Osterfeld, begann anschließend eine Umschulung zum Krankenpfleger und wechselte dann zur ehemaligen Edelstahlfabrik von Thyssenkrupp, wo er als Vorarbeiter am Hochofen arbeitete. Als die Stahlkrise aufkam, wurde er in Frührente geschickt.
Seine Eltern lernten sich auf eine außergewöhnliche Weise kennen: Koreanische Bergarbeiter organisierten zum Daten Busreisen. „Tinder gab es damals nicht,“ scherzt Martin Hyun. Das Paar bekam drei Kinder und schließlich unbefristete Aufenthaltserlaubnisse. Irgendwann setzte es sich innerhalb der Familie durch, dass die Eltern mit den Kindern Koreanisch sprachen und diese meist auf Deutsch antworteten.

Wie viele Menschen aus der Kriegsgeneration reden auch Martin Hyuns Eltern nicht gern über die Vergangenheit. „Mit ihrer Ankunft in Deutschland war der Blick immer nach vorn gerichtet. Auch für uns Kinder. Wir durften quasi nie über die Vergangenheit sprechen oder Fragen stellen. Das Wichtigste war, in der Schule fleißig zu sein.“ Die Erziehung war von Disziplin geprägt: So musste Martin Hyun während der Sommerferien um 6 Uhr aufstehen und mit seinem Vater das Mathebuch der 8. Klasse vorab durcharbeiten. Nachmittags ging es raus zum Sport. Er entwickelte eine starke Persönlichkeit und einen ausgeprägten Ehrgeiz. Nach seinem Abitur ging er in die USA, wo er am St. Michael’s College in Vermont studierte und seinen Bachelor abschloss. Sein Masterstudium absolvierte er später in Belgien.
Rassismuserfahrungen in der Sportwelt
Martin Hyun war von klein auf leidenschaftlicher Eishockeyspieler. Er schaffte es als erster deutsch-koreanischer Spieler in die Deutsche Eishockey Liga (DEL) und spielte unter anderem für die Krefeld Pinguine. Vor seiner Profi-Saison in der DEL führte ihn der Sport auch nach Belgien, wo er während seines Studiums in Brüssel spielte – unter ungewöhnlichen Bedingungen: „Ich habe in einer Art Besenkammer im Eisstadion gewohnt,“ erinnert er sich. Wohnraum und Lebenshaltungskosten waren für ihn unbezahlbar. Doch Eishockey war nicht nur ein sportlicher, sondern auch ein kultureller Kampf für ihn. Als asiatischer Spieler in einer mehrheitlich weißen Sportart erlebte er Rassismus hautnah – von Fans, Gegenspielern und manchmal sogar innerhalb des Teams. „In Augsburg riefen die Fans asiatische Gerichte nach mir – das ging unter die Haut.“ Besonders nach der Wende erlebte er in Ostdeutschland offenen Rassismus. Während sich seine Spielerkollegen nur sportlich vorbereiten mussten, kam auf ihn zusätzlich eine mentale Vorbereitung zu: „Ich musste mich mental extrem vorbereiten, wenn wir nach Weißwasser fuhren, weil ich wusste, dass dort etwas passieren würde.“


Nicht nur im Sport, auch im Alltag wird Martin Hyun immer wieder mit rassistischen Anfeindungen konfrontiert. „Ich bin froh, dass meine deutsche Ehefrau das manchmal miterlebt. Meine Antennen sind schon sehr sensibilisiert, aber ihre überhaupt nicht, weil sie das aus ihrer ‚Bubble‘ nicht kennt.“ Eine besonders prägende Erfahrung machte er in Duisburg, als er und ein Freund nach einer verbalen Attacke von mehreren Männern verprügelt wurden. „Wir haben die Nacht im Krankenhaus verbracht,“ erzählt er. Solche Erlebnisse formen ihn, machen ihn vielleicht misstrauischer und etwas introvertiert. Seine Rassismuserfahrungen haben dazu geführt, dass er Menschen zunächst nicht nah an sich ranlässt. „In einem Raum wird dir sehr bewusst, dass du anders bist als die anderen.“
Der Politologe spricht offen über strukturellen Rassismus und Diskriminierung. „Das sind so Wellenbewegungen, biorhythmische Bewegungen“, sagt er. „Nur der Unterschied bei diesen Wellenbewegungen ist: Der Ausschlag nach oben geht immer höher. Es bereitet mir Sorgen, wie das weitergeht.“ Was ihn an der Rassismusdiskussion enorm stört: „Die Rassismusdebatte in Deutschland ist oft stark binär geprägt – sie konzentriert sich vor allem auf das Verhältnis zwischen Schwarzen und weißen Menschen. Dabei gerät aus dem Blick, dass auch andere marginalisierte Gruppen, darunter asiatische Menschen, strukturelle Diskriminierung und rassistische Anfeindungen erleben. Diese fehlende Sichtbarkeit erschwert es, ihre Erfahrungen in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen.“
Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln
Als Martin Hyun während seiner Studienzeit in den USA über einen Artikel stolperte, in dem es um südkoreanische Gastarbeiter in der Bundesrepublik ging, war sein Interesse geweckt. Ab diesem Zeitpunkt begann er, Fragen zu stellen. Es war unbequem, vor allem für seine Eltern. „Ich habe zu ihnen gesagt: ‚Wenn ihr das nicht wollt, dann reise ich nach Korea‘.“ Zuletzt war er 1987 als Kind in Korea gewesen, 2002 führte ihn seine Neugierde zu seinen Familienwurzeln zurück. „Ich besuchte die Geburtsorte meiner Eltern, um meine Wurzeln zu finden und meine Identität zu entdecken.“ 2005 lebte er ein Jahr lang in Südkorea und arbeitete für das koreanische Parlament. Aus seinen Notizen und Tagebucheinträgen der Koreaaufenthalte entstand 2008 sein erstes Buch Lautlos – Ja, Sprachlos – Nein: Grenzgänger zwischen Korea und Deutschland, in dem er die Geschichte der koreanischen Gastarbeiter in Deutschland beleuchtet. Dass er einmal Autor werden würde, hatte er allerdings nicht geplant. Besonderen Einfluss hatte seine Begegnung mit dem Schriftsteller Wladimir Kaminer, der ihn ermutigte, weiterzuschreiben. Die beiden entwickelten eine enge Freundschaft und veröffentlichten 2024 gemeinsam das Buch Gebrauchsanweisung für Nachbarn, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte.
Neben seiner Autorentätigkeit engagiert sich Hyun seit 2004 für soziale Projekte. Besonders am Herzen liegt ihm die jährliche Weihnachtsbescherung in der Kinderklinik Krefeld, an der seine Mutter Krankenschwester war und seine Geschwister medizinisch ausgebildet wurden. Insofern bestand eine persönliche Verbindung zu diesem Ort. „Ich wollte etwas zurückgeben“, begründet er sein Engagement.

Lernen aus dem Leistungssport
Von 2015 bis 2018 lebte Martin Hyun in Korea, wo er als sporttechnischer Leiter für die Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang tätig war. „Eishockey und Korea – das passt eigentlich nicht zusammen. Aber wir haben es möglich gemacht.“ Ohne Vorerfahrung in der Eventplanung dieser Größenordnung organisierte er die Eishockey- und Para-Eishockeyturniere und musste in kürzester Zeit ein Team von 400 Mitarbeitenden aufbauen. „Es war eine extreme Herausforderung, aber eine der spannendsten Zeiten meines Lebens.“
Seine Zeit als Leistungssportler hat Martin Hyun nachhaltig geprägt. „Ich habe gelernt, im Team zu arbeiten, Verantwortung zu übernehmen und niemals aufzugeben.“ Diese Mentalität überträgt er heute auf seine anderen Projekte. Derzeit arbeitet er an einer Graphic Novel – ein Projekt, das er schon lange umsetzen wollte. Zudem plant er ein weiteres Buch – damit will er eine Stimme hörbar machen, die trotz der mehr als 60 Jahre umfassenden koreanischen Migrationsgeschichte in Deutschland oft übersehen wurde und lautlos blieb.
Infobox
Martin Hyun
geb. am 4. Mai 1979 in Krefeld, ist ein ehemaliger deutscher Eishockeyspieler und Autor. Er ist über seine sportlichen Erfolge hinaus mit Aussagen zum Thema Integration bekannt geworden.

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