Eine Kolumne von Dieter Hallervorden
Ich möchte Ihnen mal von meiner Begegnung mit einem sehr berühmten Kollegen erzählen.
Also: Toll! Einfach toll! Was auch immer er spielte, ich fand’s großartig.
Diese enorme schauspielerische Bandbreite! Wenn jemand sowohl neben Karl Valentin als auch neben Sean Connery bestehen kann … Also: Chapeau! Das alles ging mir durch den Kopf, während ich auf dem Weg zu ihm war. Ich wollte den Spielplan meines Kabarett-Theaters Die Wühlmäuse mit einem Griff nach den Sternen krönen. Ich wollte ein Gastspiel von keinem Geringeren als … na? Gert Fröbe!
Zum Kennenlernen hatte er mich zu sich nach Hause eingeladen. Die große Frage: Was bringt man jemandem wie Gert Fröbe zu so einem Treffen mit? Irgendwas in mir entschloss sich, zwei Dinge mitzubringen. Das eine war meine ehrliche Hochachtung und das zweite meine schier überbordende Nervosität.
Ich stammelte also ein paar verstümmelte Begrüßungsworte, stieß beim nonchalanten Umdrehen an ein Möbelstück, fegte mit der linken Schulter beinahe zwei Bilder von der Wand, stolperte über einen Teppichsaum und wollte in einem Plüschsessel Platz nehmen, bemerkte aber glücklicherweise gerade noch rechtzeitig die darin dösende Katze. Kurzer Blick zu Gert Fröbe. So in der Art: Artist in der Zirkuskuppel ratlos.
Herr Fröbe deutet freundlich auf einen anderen Sessel. Ich nehme so behutsam wie nur irgend möglich Platz, schlage dann aber doch die Beine eine Idee zu hastig übereinander. Der Glastisch klappert erschreckt und die darauf stehende Antiquität hat eine kurze Gleichgewichtsstörung. „Ja“, sagt der geduldige Herr Fröbe, „dann erzählen Sie doch mal!“
Ich gebe mir einen Ruck, denn ich weiß ja schließlich, dass auch ich eine große Begabung habe: Ich kann nämlich ganz ruhig und diszipliniert dasitzen und dabei trotzdem laut über Theater reden. Mit Begeisterung! Temperamentvoll! Eloquent, aber wohl doch auch ein wenig zu ausschweifend … Denn Herr Fröbe unterbricht meinen Redefluss mit der Frage: „Wie viele Plätze hat denn Ihr Theater?“
Ich erzähle ihm stolz, dass wir über 364 Plätze verfügen. „Derzeit die größte Kleinkunstbühne im deutschsprachigen Raum!“, füge ich selbstbewusst hinzu.
„Oh“, sagt Herr Fröbe, „das ist für mein Soloprogramm zu groß! Viel zu groß! Mein Programm lebt von der Mimik. Ich brauche die Leute ganz dicht vor mir.“
„Aber könnte man nicht vielleicht … Also wenn wir zum Beispiel … Nur mal angenommen …“, versuche ich die drohende Absage abzuwenden. „Nein“, sagt er, „das funktioniert nicht. Ich werde Ihnen das mal demonstrieren.“ Und er schritt zur Tat.
Ich saß völlig verkrampft in meinem Sessel, also ganz dicht vor Gert Fröbe. Der warf plötzlich seine Arme über den Kopf und mimte seine berühmte Schnecke. Das Gesicht war halb verdeckt. Nur ein Auge schaute blinzelnd hervor, die Schnecke rang offensichtlich mit der Überlegung, ob sie sich aus dem Schutz des Hauses begeben sollte. Schließlich wagte sie sich ein bisschen heraus, aber eben doch sehr zögerlich. Ein geradezu sprichwörtliches Schneckentempo!
Und ich litt. Da hockte ich als absoluter Niemand vor einem Weltstar, der mir eine honorarfreie Sondervorstellung bot. Wie sollte ich damit umgehen? Erwartete er Applaus? Waren überhaupt Reaktionen des einzigen Zuschauers angebracht? Hätte ich lachen sollen? Und wenn ja, in welcher Lautstärke?
Die Schnecke war nach wie vor hin- und hergerissen. Sollte sie? Oder sollte sie lieber doch nicht? Jetzt zeigte sie schon zwei Augen, aus denen sie mich völlig verständnislos anglotzte.
Ich wagte kaum noch zu atmen. Nur noch ganz flach und so wenig wie möglich.
Plötzlich unterbrach die Schnecke abrupt und mutierte zu Gert Fröbe. Ich atmete erleichtert auf, hatte mich aber zu früh gefreut, denn die Schnecke alias Fröbe meinte: „Oder hier! Zum Beispiel: die Schildkröte!“
Schon hatte er sein Jackett weit über den Kopf gezogen, man sah jetzt quasi nur noch den Schildkrötenpanzer. Daraus schob sich ganz, ganz vorsichtig das Köpfchen heraus. Mit beiden leicht verkürzten Armen schob sich die „Schildfröbe“ langsam auf mich zu. Der Kopf schwang in Zeitlupe nach rechts und dann nach links und dann wieder faltendurchzuckt Richtung geradeaus. Es starrte mich verständnislos an.
Ich presste mich schweißgetränkt in den Sessel. Neben mir richtete sich die Katze auf. Würde sie die Schildkröte attackieren? Letztere kroch bedächtig über den Tisch weiter auf mich zu. Zum Glück entdeckte sie auf dem Zierteller eine Banane. Die Schildkröte blickte abwechselnd zur Banane, zu mir, zur Banane, zu mir und sagte dann, als das Jackett ruckartig auf die Schultern zurückrutschte, als Fröbe: „Tja, Herr Hallervorden, wenn Sie tierlieb wären, hätten Sie mir die Banane ja schälen können!“ Ich lachte etwas zu überschwänglich. Der Albtraum war vorbei. Ich beeilte mich, meinem Gastgeber zu versichern, dass diese Darbietung wirklich eine sehr intime Atmosphäre erforderte, bedankte mich artig und stolperte befreit von dannen.
Jahre später besuchte ich die Seychellen und bestaunte dort wundersame Riesenschildkröten. Aus einer Entfernung von mindestens 400 Metern wurde ich Zeuge einer Paarung dieser Tiere. Dass es ihnen tierischen Spaß bereitete, wurde sehr glaubwürdig dokumentiert durch die Lautstärke ihrer Lustschreie.
Eins ist sicher: Wenn Herr Fröbe solche Geräusche in seine Imitation einbezogen hätte, wäre der Plüschsessel unter mir garantiert geflutet worden
Infobox
Dieter Hallervorden – Meine erstaunlichen Alltagsabenteuer
Skurrile Begebenheiten auf der Theaterbühne. Eine charmante Begegnung, aus der eine Frühstücksfreundschaft erwächst. Ein Campingausflflug der etwas militärischen Art. Und zahlreiche schöne Erinnerungen voller Herz und Humor.
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