Interview: Markus Beeth | Text: Silke Schuster
1993 war Florian Schroeder im Alter von 14 Jahren zu Gast in der Satire- und Comedysendung Schmidteinander und parodierte Prominente. 2005 begann seine Solokarriere. Als „gefällig“ bezeichnet sich der Kabarettist, wenn er an diese ersten Jahre zurückdenkt: „Ich war wirklich Mainstream, wollte möglichst lustig sein und kein Risiko eingehen.“ Doch heute ist das Schnee von gestern. Er zwängt sich schon lange nicht mehr in vermeintlich konforme Schubladen, sondern geht dorthin, wo es auch mal eng, schmerzhaft und dunkel wird. Seit Oktober 2023 ist Schroeder die Stimme des Satireformats Schroeder darf alles. Wer alles darf, zählt sich mal zu den Guten, mal zu den Bösen. Er nimmt alle Perspektiven ein und schaut auf die aktuellen Probleme der Welt; er hinterfragt und haut drauf, er identifiziert sich und zeigt sich irritiert.
Unter Extremen
Schroeder wuchs im Umfeld eines kriminellen Vaters auf, der mehrere Jahre wegen Betrugs im Gefängnis saß. Im Alter von zehn Jahren verschwand dieser aus dem Leben seines Sohnes. Der Kabarettist verarbeitete seine Familiengeschichte in einem Buch. 2023 erschien es unter dem Titel Unter Wahnsinnigen – Warum wir das Böse brauchen. Darin findet nicht nur seine eigene Geschichte Raum, sondern Schroeder setzt sich auch damit auseinandersetzt, warum wir das Böse überhaupt brauchen. Dafür suchte er „die Bösen“ Deutschlands auf. Ein Mensch mit rechtsextremer oder anderer extremer Gesinnung als Visavis: Wie hält man das aus? „Mit einem guten Immunsystem“, ist sich der Autor sicher, „und einer gesunden Portion Neugier für das Extreme. Mit Abstand, Ruhe und der Sicherheit, dass man nicht infizierbar ist. Dann wird es interessant für mich.“
Den Satiriker reizt es, sich dem Extrem zu nähern, ohne es sich anzueignen. Dafür verlässt er seine Komfortzone, denn spannend wird es erst jenseits des Bekannten und Bequemen: „Ich finde es für meine Arbeit langweilig, immer nur dahin zu gehen, wo der Gesinnungsapplaus ist oder wo die Bekehrten sitzen. Natürlich ist es schön, wenn es Applaus gibt und man merkt, die Leute verstehen, was man erzählen will. Mich hat aber immer viel mehr gereizt, dahin zu gehen, wo das mir Fremde ist, wo das Andere ist. Die Grenze zu überschreiten und zu gucken, was man eigentlich erlebt, wenn man dahin geht, wo gemeinhin niemand ist oder niemand, der im sogenannten Mainstream verortet ist.“
Sich in diesem Ausmaß mit „dem Fremden“ zu beschäftigen, setzt eine eigene Grundfestigkeit voraus. „Man muss vor allem in sich selbst gefestigt sein“, ist Schroeder überzeugt. „Man muss wissen, was man tut und einen klaren Kompass haben. Dann funktioniert das auch.“ Eine gewisse Lebenserfahrung hilft ihm dabei, sich sicher auf diesem Terrain zu bewegen. „Das hätte ich mir vor ein paar Jahren noch nicht zugetraut“, gibt er zu.
Die momentane Zeit bietet mehr Möglichkeiten denn je, Andersdenkenden zu begegnen und deren Denkweise zu begreifen. „Für mich heißt das auch“, führt Schroeder aus, „mit einer gewissen Radikalität dorthin zu gehen. Und zwar in der größtmöglichen Abstandnahme, um wirklich verstehen zu können, allerdings nicht in diesem platten Sinne wie Putinversteher, die nur nachplappern, aber gar nichts kapieren. Diese ‚Versteher‘ waren ja nie Versteher, das waren heimliche Sympathisanten, nützliche Idioten, und das darf man eben nicht sein.“ Was bedeutet es, jemanden wirklich zu verstehen? „Wirkliches Verstehen heißt, Abstand zu wahren. Mir gefällt dieser Begriff des ‚Pathos der Distanz‘, ein Ausdruck, der in Nietzsches späten Schriften aufkam.“ Dahinter steckt das Gefühl einer vornehmen Überlegenheit oder vielmehr das einer gesunden Distanz. Sie macht es erst möglich, dass die Leserschaft, die Zuschauenden oder Zuhörenden wirklich nah rankommen. „Aber das Paradoxe ist: Damit andere nah rankommen, muss ich einen gewissen Abstand wahren.“
Corona als Wendepunkt
Nach Jahrzehnten auf der Bühne und vor der Kamera hat der Satiriker nicht nur seine Stärken ausgeformt, sondern seinen Platz gefunden. Er bringt Menschen zum Nachdenken und zum Lachen. Dass trotz der Fröhlichkeit, die er mit seinen Programmen verbreitet, die gesellschaftlichen Zeiten ernst anmuten, geht auch an ihm nicht vorbei. „Ich bin aber nicht sicher“, überlegt Schroeder, „ob es schlechte Laune ist, die wir spüren, oder ob nicht einfach eine ungeheure Angst bei vielen herrscht. Angst im weitesten Sinne vor einem Verlust. Verlust von Status, Verlust von ökonomischem Ansehen, Verlust von Sicherheiten, auch mentalen Sicherheiten. Ich glaube, da kommt viel zusammen. Wir leben in einem Zeitalter, in dem man nicht mehr sagt ‚Meine Kinder sollen es besser haben als ich‘, sondern in dem man dankbar ist, wenn die Kinder noch dasselbe haben, wie man selbst, oder nicht absteigen. Ich glaube, das ist für unsere Zeit recht paradigmatisch.“
Viele Jahrzehnte in der Vergangenheit waren von dem Eindruck geprägt, es würde immer weitergehen, es würde immer besser, größer und globaler werden, die Möglichkeiten würden zunehmen. Der aktuell zu beobachtende Wandel schürt Ängste. „Im Moment gibt es so einen Turn der Begrenzung. Es gibt den Klimawandel, es gibt Extremismus: rechten, linken und islamistischen. Alle drei Gruppen vereint das Ziel, nicht ins Offene, ins Freie, ins Mögliche zu gehen, sondern den Möglichkeitsraum zu verengen. Zum einen aus der Notwendigkeit z. B. des Klimaschutzes, zum anderen aus niederen Motiven, wenn man sich die Extremismen anschaut.“
Die Coronapandemie wirkt wie ein Wendepunkt. Das gesellschaftliche Gefühl wird in „vor Corona“ und „nach Corona“ eingeteilt. Haben sich die Gespräche im Freundeskreis gewandelt? Sind die Standpunkte so verhärtet, dass kaum noch jemand auf den anderen zugehen kann? Können wir die sich abzeichnende Kluft in unserer Gesellschaft wieder schließen? Sind die lauten Menschen, die per se „gegen“ etwas zu schreien scheinen, mehr geworden? Der Satiriker beobachtet schon lange Menschen und Meinungen, aber in dieser Hinsicht ist er sich nicht so sicher: „Ich glaube, dass durch die Pandemie etwas in Schieflage geraten ist, was vorher schon da war. Ich bin nicht sicher, ob die, von denen wir gern sagen, sie seien abgedriftet oder extremer geworden, wirklich mehr wurden. Aber sie melden sich lauter, sie haben ein Ventil, um ihren Frust und ihre Wut endlich rauszulassen. Und sie sind sichtbarer. Es ist schon erstaunlich, wie viele Leute bis heute die Coronazeit nicht vergessen können und auch nicht ihren Frieden damit machen können.“ Aktionen, an denen Ausrufe erschallen wie „wir werden nicht vergessen, was ihr uns damals angetan habt“, machen deutlich, wie stark diese Zeit nachwirkt. „Ich würde schon sagen, dass Regierung und Medien einen Anteil daran haben, weil schon damals in dieser Phase eine erstaunliche Bereitschaft zum autoritären Handeln beobachtbar war, auch bei Linken und Linksliberalen, gerade dort. Die Schlimmsten, die hier durch den Prenzlauer Berg gelaufen sind und beim ersten Lockdown andere verpetzt haben, waren Linke. Ich glaube schon, dass da etwas ins Wanken geraten ist. Das schließt sich jetzt an mit dem Ukrainekrieg. Da sieht man häufig, dass die Lager nur wandern. Wenig überraschend, dass jene, die damals am lautesten ‚Coronadiktatur‘ geschrien haben, auch die jetzt lautesten Putintrolle sind. Hauptsache dagegen. Logisch ist es nicht: Ich dachte, ihr wart gegen die Diktatur, vielleicht wollt ihr mal nach Russland fahren, da könnt ihr eine echte erleben.“
Schroeder auf Tournee und über Satire
Aktuell ist Schroeder mit seinen Programmen Neustart und Schluss jetzt! auf Tournee. Die Programme spielt er seit 2020, aber dank wöchentlicher Anpassungen bleiben sie nie gleich. „Von dem, was ich 2020 erzählt habe, ist nichts mehr übrig“, erklärt er. In seinem aktuellen Programm sucht er gemeinsam mit dem Publikum den neuen Messias. Er bindet die Leute ein, indem er sie auf Karten die Frage beantworten lässt, wer der neue Messias ist. Nicht selten liest er „ich selbst“ auf den Karten. „Warum auch nicht?“, fragt sich der Kabarettist. „Ich erzähle aus meinem linksgrünen Prenzlauer-Berg-Milieu lustige Geschichten. Wir suchen gemeinsam den Messias, und am Ende kommt er auch. Es ist einer, mit dem man nicht gerechnet hat. Und er tut Dinge, mit denen man nicht gerechnet hat. Aber mehr kann ich nicht sagen.“
Dass sich seine Programme so lange halten, ist auch der Pandemie geschuldet. Weil er lange Zeit vor halbvollen Sälen stand, haben es weniger Leute gesehen als sonst. Normalerweise steht alle drei Jahre ein neues Programm an. Nun ist es im kommenden Jahr wieder so weit, und die Zuschauenden dürfen sich auf ein völlig neues Programm freuen.
So vielfältig die Menschen sind, so vielfältig ist auch der Satiremarkt. Doch wann ist Satire eigentlich als „gut“ zu bezeichnen? „Ich bin ein Freund der freien Meinungsäußerung, und ich finde gut, dass es linke Komiker gibt“, erklärt Schroeder. „Es wird gern so getan, gerade in der Komik, als sei Satire nur dann gut, wenn sie links ist. Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass es auch eine Satire geben kann, die konservativere Noten hat. Und wenn sie überraschend ist und gut gemacht ist: Why not? Man muss nicht immer übereinstimmen, um trotzdem eine Anerkennung für die Arbeit von Kollegen zu empfinden.“
Infobox
Florian Schroeder
www.florian-schroeder.com/tickets-termine/
Neustart
Do., 25.07.24, 20:00 Uhr, Die Wühlmäuse
Fr., 26.07. 24, 20:00 Uhr, Die Wühlmäuse
Sa., 27.07. 24, 20:00 Uhr, Die Wühlmäuse
Schluss jetzt! – Der satirische Jahresrückblick
Di., 31.12.24, 14:00 Uhr, Die Wühlmäuse
Di., 31.12.24, 17:00 Uhr, Die Wühlmäuse
Mi., 01.01.25, 20:00 Uhr, Admiralspalast