Kurz und Knapp Portrait

“Kurz und Knapp” – Barbara Dechant

„Kurz und knapp“ ist eine Interviewserie des Berliner Fotografen Jens Wazel
www.jenswazelphotography.com

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Kurz und knapp … wer bist du? 

Ich bin die Gründerin und Leiterin des Buchstabenmuseums in Berlin.

Was ist denn ein Buchstabenmuseum?

Wenn man das Wort „Buchstaben“ hört, denkt man zuerst immer an den gedruckten Buchstaben, wie in Zeitungen oder Büchern, aber das ist genau das, was wir nicht machen. Wir sammeln 3-D-gebaute Buchstaben, die man im weitesten Sinne anfassen kann. Die meisten sind aus Metall oder Alublech: die bekannten Neon-Buchstaben.


Es geht also nicht um Schriftzüge?

Wir wollen den einzelnen Buchstaben in den Mittelpunkt stellen. Wenn ich z. B. nach China fahre und ein Zeichen sehe, kann ich es nicht lesen. Dann sehe ich diese wunderbare Form für sich selbst. Aber kaum verbindet man das mit einem Wort, fangen die Leute an zu lesen, also wenn sie die Dekodierung, sprich die Sprache und das Schriftsystem kennen. Mir war es immer ein Anliegen, dass man das davon loslöst.

Und Typografie?

Typografie würde ja bedeuten: die Lehre und die Anwendung von Schrift. Wir sind kein Schriftmuseum, es bezieht sich wirklich auf das Objekt Buchstabe. Man muss es anfassen können, weil beim Gedruckten kann man nur das Buch anfassen, nicht den Buchstaben. Und deswegen sagen wir auch „gebauter 3-D-Buchstabe“. Wobei wir die anderen Aspekte natürlich auch streifen, z. B. steht auf unseren Infoschildchen, welche Schrift es ist, wenn wir sie wissen. Aber es steht eben auch drauf, welches Material, welche Bauart oder die Herkunft.

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Wie hat das alles angefangen?

Ich habe schon als Kind in Wien Buchstaben gesammelt. Ich habe manchmal gar nicht richtig gelesen, habe nur die Headlines angeguckt, weil ich die Buchstaben und die Formen so schön fand: wie toll verschnörkelt die sein können und was man damit machen kann, wenn man den Inhalt weglässt.

Ich habe immer schon ein paar Schilder und Buchstaben zu Hause gehabt und mit meiner Schwester damals auch schon ein wenig demontiert. Auf dem Flohmarkt gab es auch immer Möglichkeiten, Buchstaben zu bekommen.

Du bist 1996 nach Berlin gezogen …

Ja. Und ein paar Jahre später habe ich Anja Schulze kennengelernt, sie hat damals im Stadtmuseum gearbeitet und wollte auch immer eine eigene Sammlung aufbauen. Sie fand es auch lustig, dass es einen Titel „Generaldirektor“ gibt. Da habe ich ihr zum Geburtstag als Scherz mal eine Visitenkarte geschenkt: „generaldirektorin AT buchstabenmuseum.de“. Sie hat sich sehr gefreut und meinte: „Das ist eine irre gute Idee, das mit dem Museum sollten wir wirklich machen!“

Und dann?

Dann haben wir 2005 den Verein „Buchstabenmuseum e.V.“ gegründet. Und plötzlich konnte man anrufen und sagen „Hallo, hier spricht das Buchstabenmuseum. Wir haben gesehen, Sie haben alte Schriften.“ Das ist etwas ganz anderes, als wenn ich sage „Hallo, hier spricht Barbara. Ich interessiere mich für Ihre Schrift.“

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Wo bekommt ihr eure Buchstaben her?

Die erste Möglichkeit ist, dass wir durch die Straßen gehen und immer ein wenig weiter nach oben gucken, also ein bisschen über die Türen. Und ich bin ja auch gelernte Grafikdesignerin mit Schwerpunkt Typografie und Markenentwicklung und habe eine Zeitlang Ausstellungen und Marken-Erlebniswelten gemacht bei diversen Büros. Da bekommt man mit, ob eine Firma ein neues Logo bekommt und man den alten Schriftzug übernehmen kann.

Zum Beispiel?

Vor über zehn Jahren haben wir die Buchstaben vom Hauptbahnhof bekommen. Aber wir hatten nur H-A-U-P, weil es ja den Wechsel zwischen Haupt- und Ostbahnhof gab; T-BAHNHOF ist stehengeblieben. Später wurde der Schriftzug komplett ausgetauscht und vor 2 Jahren haben wir auch die restlichen Buchstaben erhalten. Wir haben intern den Spruch „Irgendwann landen sie alle bei uns.“ Wir sind geduldig.

Kommen Leute auch auf euch zu?

Ja. Leute schreiben uns oder rufen an und sagen: „Bei mir um die Ecke macht der Friseur zu, wollt ihr den Schriftzug haben?“ Oder manche bringen sogar Buchstaben vorbei. Zum Beispiel Leute, die 50 Jahre lang ein kleines Unternehmen hatten und denen es weh tut, dass sie schließen müssen. Und so lebt ihr kleines Geschäft einfach noch ein bisschen weiter. Wir haben tatsächlich schon Leute gehabt, die mit ihrer Familie gekommen sind und ihren alten Schriftzug besucht haben. Das ist dann auch sehr rührend.

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Wie das „Ö“?

Das „Ö“ ist vom „Lichthaus Mösch“, das war früher am Tauentzien. Da hat damals ein Arbeitskollege angefragt, ob er den Schriftzug demontieren kann. Die Dame meinte zu ihm: „Ja, Sie können die Buchstaben haben, aber Sie müssen unbedingt alle abbauen, nicht, dass da obszöne Worte oben stehen bleiben …“

Dann haben fünf Arbeitskollegen die Buchstaben unter sich aufgeteilt. Das ist wie bei Geschwistern: Irgendwann waren sie zusammen zu Hause in der Familie und dann ziehen sie raus in die große Welt, kriegen Partner, oder auch nicht, oder reisen irgendwohin. Oder vielleicht sterben sie auch und gehen verloren. Wir haben daraus dann ein Projekt gemacht und nachgeforscht, wo sich die Buchstaben heute befinden.

Es gab zu Anfang aber noch kein Museum?

Nein, wir hatten gar keine Räume am Anfang, aber ich hatte eine große Wohnung, da wurde alles zwischen meinem Schlafzimmer und Flur zwischengelagert. Später haben wir dann aber zum Glück einen Projektraum bekommen und hatten über die Jahre vier Standorte, das war aber alles nur Zwischennutzung. 2016 konnten wir dann endlich das Museum eröffnen, in den Stadtbahnbögen im Hansaviertel.

Wie findet man Euch?

Wir haben das Glück, dass wir in vielen Reiseblogs und auch in gedruckten Reisebüchern stehen, da werden wir immer als Geheimtipp erwähnt. Aber wir sind vor allem im Ausland bekannt und nicht in Berlin, was natürlich gerade in der Corona-Zeit ein großer Nachteil für uns war. Wir versuchen, jetzt auch regional bekannter zu werden, auch weil so viele Buchstaben von hier sind, das hat dann natürlich auch einen stadtgeschichtlichen Hintergrund.

Inwiefern?

Man merkt ja schon, dass Dinge verschwinden. Das geschieht aber langsam, immer so peu à peu: Da ist zuerst der kleine Friseur raus, dann ein anderer Handwerker, dann kommen immer mehr Ketten rein. Und so verändert sich natürlich auch eine Stadt sehr stark. Man bekommt das manchmal gar nicht so mit, bis man darauf aufmerksam gemacht wird und sieht: Ach stimmt, das war ja früher auch da, das ist jetzt weg.

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Bist Du jetzt vollberuflich Generaldirektorin?

Ich bin gar keine Generaldirektorin. Das ist nur Anja. Sie ist allerdings vor ein paar Jahren aus dem Vorstand ausgeschieden, weil es zu viel Arbeit war neben ihrem Job. Ich habe immer selbstständig gearbeitet, und habe dann Jobs gesucht, wo ich zeitlich flexibel bin und nebenbei das Museum gut leiten kann.

Durch Corona habe ich jetzt aber meinen Job verloren und festgestellt, dass es eigentlich gut ist, wirklich nur das Museum machen zu können; ich weiß gar nicht, wie ich das davor geschafft habe. Ich würde das wirklich gerne in Vollzeit machen, auch bezahlt. Unser ganzes Team arbeitet ja ehrenamtlich.

Ihr seid auch beratend tätig?

Ja, neben unserem Museum gibt‘s auch den BM-Shop und das BM-Studio, das wie ein Grafikbüro oder Designbüro arbeitet. Über uns können Arbeiten, Beschilderungen oder andere Dinge herstellt werden oder wir kommen beratend dazu. Wir hatten z. B. von der BVG die Anfrage bekommen, ob wir die Originalbuchstaben an der U-Bahnstation Hansaplatz denkmalgetreu rekonstruieren können – das konnten wir natürlich umsetzen.

Ihr wollt eine Glasbläserwerkstatt aufbauen?

Genau. Wir haben das Equipment von einer Werbetechnik-Firma geerbt, die haben uns ihre alte Neonglasbläserei vermacht. Wir wollen es selbst lernen und später auch Kurse und Workshops anbieten, in denen die Leute das aussterbende Handwerk ausprobieren können.

Was gibt es noch für Ideen?

Wir wollen die Entstehung der einzelnen Buchstaben vorstellen, z. B. das „a“ aus dem umgedrehten Stierkopf. Aber wir wollen auch politisch oder international auf andere Buchstaben eingehen. Wir wollten auch immer schon einen Blog machen, wo wir einen Schriftzug vorstellen, und die Leute dürfen dann ihre Geschichten dazu schreiben. Gewisse Schriftzüge lösen bei vielen Menschen etwas Emotionales aus, wie der Eisladen oder Friseur aus der Kindheit. Und dann stehen die Leute bei uns und schmunzeln, weil ihnen ihre persönliche Geschichte dazu wieder einfällt. Wir haben ganz viele solcher Ideen.

Vielen Dank!

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ist Gründerin und Leiterin des Buchstabenmuseums. Die gebürtige Wienerin und gelernte Grafikdesignerin hat seit ihrer Kindheit eine Faszination für Buchstaben.

www.buchstabenmuseum.de

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 ist Fotograf und Videofilmer. Im Osten aufgewachsen, wohnt er nach 25 Jahren in den USA wieder in Berlin.

www.jenswazelphotography.com

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