Interview: Markus Beeth | Text: Silke Schuster
Das Herz
für die kleinen
Glücksmomente öffnen
Günther Krabbenhöft über Zufriedenheit und Zweifel
Sein Beruf als Koch war für Günther Krabbenhöft vor allem eines: Broterwerb. „Ja, das war mein Job, aber ich bin das nicht.“ Er wuchs in einem kleinen Dorf mit einer Schule auf. Nach acht Jahren war Schluss mit der Schulbildung. „Da war man dann 15. Frag heute mal einen 15-Jährigen, was er werden will.“ Ihm selbst war nur klar, dass es etwas Handwerkliches werden sollte. „Als Jugendlicher habe ich immer Lampen gezeichnet. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas wie Licht- und Lampendesign gibt. Ich hatte keine Inspiration, keine Vorbilder und habe mich immer in meine Welt zurückgezogen.“ Die Schönheit der Dinge hat ihn schon immer begeistert.
Familie und Erziehung
Günther Krabbenhöfts Familie war mit den Nachkriegssorgen beschäftigt, die Kinder liefen eben mit. Er zeigte zu Hause schon mal, was er in der Kochausbildung gelernt hatte. „Aber ich war nicht gut genug“, erinnert er sich an die Zeit zurück. „Egal, was es war, ich habe es nicht richtig gemacht. Da war so ein Konflikt. Ich wollte Anerkennung und habe sie nicht gekriegt.“ Verbittert ist er deshalb nicht. Er zeigt Verständnis für die damalige Lebenssituation seiner Eltern. „Ich mache keinen dafür verantwortlich. In der Zeit waren die Leute mit anderen Sachen beschäftigt, sie wollten wieder Grund unter den Füßen kriegen nach dem Krieg. Sie mussten sich eine neue Zukunft aufbauen.“ Auf dem Land waren die Kinder frei und konnten ihre Sachen machen. „Es gab noch keine Helikoptereltern, die gesagt haben, um 18 Uhr bist du zu Hause. Eine Uhr hatten wir auch nicht, aber wir hatten die Zeit irgendwie in uns. Wenn du später kamst, gab es tatsächlich nichts mehr zu essen. Das hast du dir als Kind gemerkt.“
Ich wollte es besser machen als meine Eltern
und bin übers Ziel hinausgeschossen.
Bei seiner Tochter wollte Günther Krabbenhöft es anders machen und sie freier aufwachsen lassen, als er es selbst erlebt hatte. Ihr war das rückblickend wiederum zu frei. „In der Zeit, wo ich darüber nachgedacht habe eine Familie zu gründen, das war 68, gab es große politische Veränderungen und viele Diskussionen, der Muff der Jahrhunderte sollte aufgebrochen werden. Antiautoritäre Erziehung war ein Thema. Das wollte ich natürlich auch machen. Ich habe meinem Kind immer erklärt, warum ich dies oder jenes nicht möchte. ‚Das ist mir so auf die Nerven gegangen‘, hat meine Tochter gesagt. Ich wollte es besser machen als meine Eltern und bin übers Ziel hinausgeschossen.“
Wer glaubt, dass der gesellig und glücklich wirkende Mann immer voller Leichtigkeit durchs Leben getanzt ist, der irrt. Dass er heute vielen Menschen Mut macht, verwundert ihn an manchen Tagen selbst. „Als Jugendlicher hatte ich keinen Platz in der Gesellschaft“, blickt er zurück, „ich fühlte mich anders. Ich bin mit meinen Geschwistern aufgewachsen, alle Sportler. Das war nicht meine Welt.“ Er selbst haderte in dieser Zeit mit dem Leben und wusste nicht, wohin mit sich. Er konnte sich niemandem anvertrauen und versuchte als 16-Jähriger zweimal, sich das Leben zu nehmen. „Ich war allein mit dieser Verzweiflung, es gab keine Hilfe. Als mich meine Eltern aus dem Krankenhaus geholt haben, kam die Bemerkung: ‚Du musst uns nur Kummer machen.‘ Ich wusste nicht, was ich getan haben sollte. Ich war einfach nur in einer riesigen, gewaltigen Traurigkeit gefangen.“
Kultur für die Persönlichkeitsentwicklung
Hinter Günther Krabbenhöft liegt ein langer Weg. Der Prozess der Transformation konnte erst in Gang kommen, nachdem er das Elternhaus verlassen hat. „Als ich mit meiner Lehre fertig war, mit knapp 18, war ich frei.“ Als Koch fand er genügend Gründe, um in die Welt zu ziehen und zu schauen, wie andere kochen. „Zu Hause durfte ich nichts und plötzlich konnte ich allein weg, ohne dass mich jemand angeleitet hätte.“
Er begegnete erstmals Personen, die ihn verstanden: „Sie haben mich als Mensch wahrgenommen und mir gezeigt: Du bist gut, du bist richtig.“ Diese Erfahrungen stärkten sein Selbstbewusstsein. In der Küche hingegen fühlte er sich immer noch fehl am Platz. „Unter Köchen ist das wie auf dem Bau oder so ähnlich. Das sind keine Chorknaben. Ich war denen viel zu weich, ich habe gelitten. Irgendwann bin ich auch mal abgehauen, weil ich es einfach nicht mehr ausgehalten habe. Heute würde man das wohl Mobbing nennen. Es war wirklich eine harte Schule.“ Günther Krabbenhöft flüchtete sich in seine Gedankenwelt. Als passionierter Kinogänger erlebte er in Filmen eine andere Wirklichkeit, mit der Zeit kamen das Theater und die Musik dazu. „Die Kultur zu entdecken war ein einschneidendes Erlebnis für mich. Von meinem Lehrlingsgehalt hatte ich 40 DM im ersten Lehrjahr übrig. Davon habe ich mir eine Theaterkarte in Hannover geholt. Das ist Lichtjahre her, aber mein erstes Stück werde ich nie vergessen. Ich habe dieser Frau, die allein auf der Bühne war, zwei Stunden zugehört und jedes Wort aufgesogen. Ich war so fasziniert von dieser Aufführung.“
Zweifel, Ängste und der Mut, es trotzdem zu tun
In der Öffentlichkeit wirkt Günther Krabbenhöft offen und selbstsicher, doch er kennt auch Unsicherheit und Angst vor neuen Situationen. „Als ich das erste Mal dieses oder jenes machen wollte, dachte ich sofort: Ich kann das nicht. Da fiel mir auf, wie sehr mich die Erfahrungen aus der Kindheit prägen. Aber ich merke das, und dann mache ich es trotzdem.“ Mut bedeutet bekanntlich nicht, keine Angst zu haben, sondern etwas trotz der Angst zu tun. Der stylische Rentner erklärt das so: „Der Weg im Leben geht immer da lang, wo das Unbehagen, wo die Angst ist. Aber du musst hinschauen und es angehen. Nur dann kannst du auch erfahren, dass es eigentlich gar nicht so schlimm oder besser ist, als du glaubst. Dass du dir etwas zutraust, dass du etwas schaffst. Das ist eine lebenslange Sache für mich gewesen. Selbst heute zweifle ich noch. Zweifeln ist für mich ganz wichtig, weil es mich davon abhält zu sagen: Genauso ist es und nicht anders. Wenn Menschen auf diese Weise auftreten, was ja oft in der Politik passiert, sage ich: Da muss es noch was anderes geben. Es gibt nicht nur eine Seite. Vielleicht ist das andere nicht so gut oder mit mehr Schwierigkeiten verbunden, aber es gibt in jeder Situation mehr als nur eine mögliche Reaktion.“
Der Weg im Leben geht immer da lang,
wo das Unbehagen, wo die Angst ist.
Perspektivwechsel trotz Herausforderungen
Seine positive, lebensfrohe Grundstimmung hilft Günther Krabbenhöft beim Umgang mit dem Weltgeschehen oder schwierigen Situationen im Privaten. Auch wenn sich durch einen mutigeren und optimistischeren Blick auf das Leben die Welt nicht verändere, „hilft es mir letztendlich, alles besser auszuhalten und mit mehr Zuversicht zu betrachten. Nichts bleibt, wie es ist. Es wird sich schon entwickeln.“
Sein lebensbejahendes Auftreten ruft gern auch Menschen auf den Plan, die kontern, wie einfach das alles sei, wenn man gesund ist. „Dann denke ich: Über meine Einschränkungen habe ich noch nicht gesprochen. Dass ich zum Beispiel zweimal dem Tod auf der Schippe stand. Mit solchen Sachen gehe ich halt nicht hausieren. Mir geht es wieder gut. Natürlich gibt es Menschen, die mehr oder dauerhaft vom Leben herausgefordert sind.“ Ihm ist bewusst, dass seine düsteren Lebensphasen temporär waren und es danach wieder aufwärts ging. Und dass das nicht für alle Menschen gilt. Trotzdem macht für ihn die Perspektive den kleinen, aber feinen Unterschied: „Bei allen Schwierigkeiten darf man nicht nur sehen, was man alles nicht mehr kann, sondern was man kann. Mir hilft das einfach. Natürlich macht das die Sache nicht weg oder besser. Aber ansonsten versinke ich in so einem Pessimismus. Und wem hilft das? Meinen Mitmenschen nicht und mir sowieso nicht.“
Kleine Glücksmomente sammeln
Im Leben zählt es, die Augen und das Herz für die kleinen Glücksmomente zu öffnen, die das Leben so bedeutungsvoll machen. Niemand kann dauerhaft glücklich sein. Doch die Suche nach einer Grundzufriedenheit lohnt sich, jenseits von beschränkenden Wenn-dann-Gedanken. „Das Glück ist immer so klein. Die Leute müssen wieder lernen, das alltägliche kleine Glück als solches anzuerkennen und nicht zu sagen: ‚Wenn ich jetzt die Wohnung kriegen würde oder sechs Richtige hätte oder wenn ich nur endlich dieses Auto hätte, dann …‘“ Das kleine Glück liegt für Günther Krabbenhöft oft im ganz Alltäglichen verborgen. Die Pflanze, die sich ihren Weg durch einen Spalt im Asphalt sucht. Ein Kind, das mit seinem tropfenden Eis ringt und in diesem Augenblick versinkt. „Oder wenn die Sonne wieder höher steigt, irgendwann im Februar, strahlt sie in meine Wohnung, wandert an der Wand entlang und lässt alles leuchten. Das ist vielleicht belanglos, aber es freut mich. Dann ist wieder ein Zeitpunkt erreicht, wo es aufwärts geht.“ Auch Loslassen gehört für ihn zur Essenz persönlicher Zufriedenheit: „Neugierig sein und nicht an Dingen festhalten – das ist die Lehre des Lebens. Am Endpunkt können wir nichts mitnehmen. Man denkt ja gern, das hebe ich mal auf, ich könnte es noch gebrauchen. Never! Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich mal verzweifelt etwas gesucht hätte, was ich zehn Jahre in der Schublade hatte.“
Es ist ein Geschenk, alt zu werden.
Das Glück hat nicht jeder.
Seine Stilsicherheit und ein zufälliges Foto am Bahnsteig machten Günther Krabbenhöft bekannt. Heute ist er auch als begeisterter Raver in aller Munde; Tanz ist für ihn schon lange ein wichtiger Bestandteil seines Lebens. Dass er mal dermaßen auf Techno abfahren würde, hätte er allerdings selbst nicht gedacht. „Es ist kraftvoll für mich. Früher habe ich meiner Tochter immer gesagt, die Bässe sind mir zu laut. Heute weiß ich, das muss knallen und scheppern und dir die Birne wegfegen.“ Demnächst ist er fünf Tage lang auf dem Springfestival Graz und freut sich schon besonders auf die Band Meute, die ihren Blasinstrumenten Elektro- und Technobeats entlockt.
Der Lebensgenießer ist ein Vorbild für viele Menschen. Er versinnbildet eine jugendliche Seele in einem reifen Körper und demonstriert, wie Altern auch gehen kann: mit einem wachen Geist, tiefer Dankbarkeit und der gelebten unerschütterlichen Erlaubnis, einfach er selbst sein zu dürfen. Günther Krabbenhöft thematisiert das Phänomen, das den meisten bekannt sein dürfte: Jeder möchte alt werden, aber niemand möchte alt sein. Denn mit dem Alter gehen Krankheiten, Einschränkungen oder Schicksalsschläge einher, und man erkennt sich selbst im Spiegel nicht mehr wieder. Doch auch das ist eine Frage des Blickwinkels: „Es ist ein Geschenk, alt zu werden. Das Glück hat nicht jeder. Ich sitze doch am Ende des Lebens lieber auf einer Ansammlung von Glücksmomenten, die zusammen einen Riesenberg ergeben. Und dann denke ich: geile Fahrt durchs Leben und tschüss. Für mich ist Altwerden natürlich auch ein Thema. Doch je älter ich werde, umso dankbarer werde ich. Soll ich den Rest meines Lebens – und es ist ja nun wirklich der letzte Rest – Trübsal blasen? Das Beste kommt doch zum Schluss. Ich bin dafür verantwortlich, dass ich es nicht versinken lasse.“