Musik ist ihr Leben

Peter Plate und Ulf Leo Sommer sind Musiker, Texter und Produzenten. Sie machen seit 33 Jahren zusammen Musik: auf der Bühne mit Rosenstolz, für Künstlerinnen und Künstler wie Sarah Connor und Max Raabe, mit Filmmusik für Bibi und Tina und mit den Musicals Ku’damm 56 und aktuell Romeo & Julia.

Peter Plate und Ulf Leo Sommer

Interview und Fotos: Jens Wazel

Jens: Wie habt ihr euch kennengelernt?

Ulf: Ich habe Peter bei meinem ersten Westbesuch 1990 in Braunschweig getroffen und mich unsterblich verliebt. Die große Leidenschaft, die uns verbunden hat, war die Musik. Ich war fanatischer ABBA-Fan und traf jemanden, der genauso durchgedreht war wie ich.

Peter: Ich fand es toll, dass Ulf auch in die Details gehen konnte. Er war Fraktion Agnetha und Frida, und ich war Benny und Björn, das ist auch immer noch so.

Ulf: Dann sind wir zusammen nach Berlin gegangen und wollten unsere Träume erfüllen. Ich wollte Schauspieler werden, und Peter wollte Musik machen. Eine Sache hat funktioniert, die andere nicht.

Jens: Macht ihr Popmusik?

Ulf: Ja, es ist Pop. Natürlich ändert sich mit der Zeit die Musik, unsere Generation wächst mit uns mit. Wir machen auch Kindermusik und Shows für Kinder. Teenies erreichen wir nicht mehr ganz mit unserer Mucke.

Peter: Ich denke über so etwas nicht nach. Wichtig ist nur, dass man nicht irgendjemandem hinterherrennt und sagt: „Ich muss jetzt klingen wie für die 17-Jährigen“.Ich kann immer nur eine Aufgabe verstehen. Unsere Aufgabe bei Bibi und Tina war es zum Beispiel, Musik zu machen, die Kinder gut finden. Da haben wir uns gefragt: „Wieso fand ich früher die meisten Kinderlieder so doof?“. Ich habe mich als Kind immer nicht ernst genommen gefühlt und gesagt: „Ich bin sechs Jahre alt, und man schreibt mir ein Lied, wie ich einen Schuh anzuziehen habe.“ – Das fand ich langweilig. Man muss sagen, was ein Kind aufregend finden könnte. Und vielleicht kann man dann niederschwellig auch reinschleusen, wie man einen Schuh richtig anzieht, aber nicht vordergründig.

Ulf: Der Schlüssel war, genau zu überlegen, was mich als Kind wirklich angemacht hat: Das war die Musik, die die Erwachsenen gehört haben. Das Allerwichtigste ist es, Spaß zu haben und das, was man gemacht hat, am Ende für eine Zeit gut zu finden. Ich war im Januar im Urlaub am Strand von Barcelona, habe mir die Kopfhörer aufgesetzt und unsere neue Romeo & Julia-Platte angehört, nicht nur einmal, weil ich musste, sondern zwanzig Mal.

Jens: Ihr habt mit vielen Künstlern und Künstlerinnen zusammengearbeitet …

Peter: Nachdem die aktive Zeit mit Rosenstolz vorbei war, standen wir vor der Frage „Was wollen wir jetzt machen?”. Es war ein Sprung ins kalte Wasser, wir mussten noch einmal neu herausfinden, wie das mit dem Liederschreiben geht. Da war es natürlich ein Glück, Songs mit Sarah Connor, Max Raabe oder Annett Louisan zu schreiben. Wir haben über die Jahre herausgefunden, dass wir immer für die schwierigen Fälle zuständig sein wollen. Wir haben nicht den Auftrag, den Warum-liebt-er-mich-nicht-Song zu schreiben, sondern Lieder wie Vincent, Wie schön du bist oder mit Max Raabe Der perfekte Moment – immer Songs, die ein bisschen anders waren für den Künstler oder die Künstlerin, als von ihnen erwartet wurde.

Ulf: Wir haben den Luxus, dass wir mit Leuten arbeiten dürfen, die wir mögen, wo wir die Karrieren mögen oder die Message. Trotzdem ist auch immer etwas Wehmut dabei: Man hat eine Platte gemacht, der Künstler ist damit weitergezogen, und wir sind zu Hause geblieben. Was wir bei Rosenstolz so geliebt haben, war das Liveding, das hat uns die letzten Jahre echt gefehlt. Das Allerallerbeste ist, wenn man eine Show kreiert.

Peter: Ich fand es schön, auf der Bühne zu stehen, aber es fehlt mir nicht wirklich. Ich liebe es, im Studio zu sein und Lieder zu schreiben. Mittlerweile schreiben wir nur noch wenig für andere. Am schönsten ist es jetzt, Musicals zu machen.

Jens: Ihr habt 2014 schon einmal Romeo & Julia gemacht?

Peter: Wir haben damals für ein Musical in Kiel ganz viele Lieder geschrieben, hatten aber mit der Inszenierung selbst nichts zu tun. Es war für uns aber wie eine Offenbarung, da haben wir Blut geleckt. Es war wie noch mal in die Lehre gehen, wir hatten ja keine Ahnung von Musical. Das Thema Romeo & Julia hat uns dann nie wieder losgelassen. Von der Inszenierung damals ist ein Lied geblieben: Dann fall ich. Wir haben dann lange nach einem Opener für den zweiten Akt gesucht und immer gesagt: „Man müsste so ein Lied haben wie Liebe ist alles.” Und irgendwann haben wir gesagt: „Warum nehmen wir eigentlich nicht Liebe ist alles?“ Die Legende sagt jetzt schon, dass wir ein Musical rund um Liebe ist alles geschrieben haben, aber eigentlich war fast das Gegenteil der Fall.

Ulf: Wir haben uns schon viele Jahre mit dem Stoff beschäftigt und ihn immer wieder weggelegt, weil andere Projekte dazwischenkamen. Letztes Jahr haben wir dann 23 neue Lieder geschrieben. Und jetzt durften wir das weiterentwickeln bis ins Licht, also dass man sagen kann: „Hier stimmt das Licht nicht für das Lied.“ Das ist, als wenn nach 33 Jahren alles zusammenkommt, was wir jemals gemacht haben. Wir sind auf die originale Schlegel-Übersetzung zurückgegangen: das Libretto – die Dialoge auf der Bühne – ist im alten Schlegel-Text, und die Liedtexte sind Ulf- und Peter-Sprache. Wir versuchen nicht, mit unseren Texten in die Shakespeare-Richtung zu gehen, das wäre vermessen.

Peter: Es ist schon verrückt, dass wir immer noch im wunderschönen Theater des Westens sitzen. Ku‘damm 56 war mitten in der Coronapandemie gestartet, und alle haben gesagt: „Theater des Westens – da fahren doch nur die Touribusse hin.” Wir hatten 300.000 Zuschauer, über 250.000 davon Berliner und Berlinerinnen. Das macht mich glücklich, weil damit die These, dass Berliner kein Musical mögen, widerlegt ist. Dafür liebe ich Berlin.

Jens: Ihr wohnt auch um die Ecke?

Peter: Wir wohnen am Savignyplatz, das sind fünf Minuten Fußweg. Ich war schon immer Fan vom Theater des Westens. Anna und ich haben hier 1998 mit Rosenstolz ein Benefiz für die Aidshilfe gespielt, seitdem dachte ich: „Das ist unsere Welt.”

Ulf: Im selben Jahr waren wir auch in New York, wo wir uns das erste Mal richtig mit Musical auseinandergesetzt haben. Aber dann ging Rosenstolz in den Nullerjahren richtig ab, das brauchte viel Zeit. Ich bin ehrlich gesagt auch froh, dass es jetzt erst passiert, ich hätte das vor 20 Jahren nicht gekonnt. Es ist viel Teamwork dabei, das muss man erst mal üben: sich zurückzunehmen, aber nicht zu sehr, gut miteinander umzugehen. Ich brauchte die Reife.

Jens: Wie schreibt man einen Ohrwurm?

Peter: Das kann ich nicht beantworten, das müssen die Hörer und Hörerinnen entscheiden. Es gibt auch nicht den einen Blueprint. Aber in den meisten Fällen ist es bei uns so, dass zuerst die Musik kommt. Wir versuchen die Harmonien und die Melodie zusammenzubringen, machen auf die Melodie dann einen englischen Quatschtext und darauf dann den finalen deutschen Text. Das ist eigentlich das Anstrengendste, weil es auf die Melodie passen muss. Es gibt aber auch andere Lieder, wo wir zuerst den Text hatten und dann die Musik gemacht haben.

Ulf: Das macht auch Spaß.

Peter: Ja, und es ist viel leichter. Aber mir gefällt es eigentlich besser, sich zuerst auf die Melodie zu konzentrieren.

Ulf: Weil wir beide Melodiejunkies sind. Das ist das Pop-Gen, das wir beide aufgesogen haben, und wahrscheinlich auch unsere ABBA-Ausbildung. Das Melodieding ist eher wie Spielen, das kommt wirklich aus dem Instinkt, wo man loslässt und Kind ist. Wir singen dann mit einem Mikro auf irgendwelchen Harmonien herum und batteln, wer die bessere Melodie auf den drei Akkorden hat. Texten hingegen ist oft Mathematik. Bevor wir anfangen zu texten, reden wir erst mal ganz lange über das Thema.

Peter: Dieses Klischee, dass sich einer hinters Klavier setzt, der andere steht davor, und es geht los, ist totaler Quatsch, das geht meistens daneben. Ich bin immer der Spießer, der alle zur Ordnung ruft und sagt: „Lasst uns bitte erst reden.“ Wir streiten uns dann auch oft, weil jeder erst mal sagt, wo es hingehen soll, selbst wenn es nur der Quatschtext ist. Rumklimpern geht mir total auf den Geist.

Ulf: Da wiederholt man sich auch, fällt in dieselben Klischees. Bei Romeo & Julia haben wir fast immer chronologisch gearbeitet. Es gab Sachen, bei denen wir mehrere Anläufe brauchten. Und dann hat man auf einmal das Gefühl: Jetzt stimmt es, jetzt ist die richtige Stimmung für diese Situation. Dann kann es auch manchmal sehr schnell gehen, und ein Lied ist in zehn Minuten fertig, nicht der Text, aber die Melodie.

Jens: Wie trennt ihr Arbeit und Privates?

Peter: Ich wohne mit meinem Mann links, Ulf genau gegenüber rechts. Wir sind Familie, beste Freunde. Aber wir trennen das von der Arbeit. Ulf und ich hatten früher zu Hause ein kleines Demostudio, und da haben wir immer die Songs geschrieben – das ist bescheuert.

Ulf: Weil man nicht mehr abschalten kann.

Peter: Und jetzt hören wir immer um 20 Uhr auf, egal was. Ich habe zu Hause immer noch mein altes Rosenstolz-Klavier, aber ich spiele nicht darauf. Ich mache zu Hause keine Musik mehr, weil ich meine jetzige Beziehung zerstören würde. Ich bin Workaholic, ich sitze dahinter und kann nicht aufhören.

Ulf: Wir treffen uns meistens so um zehn im Studio, arbeiten dann zehn Stunden, dafür nicht am Freitag. Wir waren 20 Jahre lang ein Paar und haben es nie geschafft, die Arbeit aus unserer Wohnung zu verscheuchen, wir waren immer im Dienst. Diese Regel haben wir uns erarbeitet, sie hilft mir runterzukommen.

Peter: Im Theater hast du nach den Proben immer noch eine Stunde Besprechung. Das finde ich schlimm, denn abends sind alle so hysterisch. Wir sind Künstler und Künstlerinnen, und wenn wir uns dann um 20 Uhr noch besprechen, kriegen wir uns auch alle in die Wolle, dann geht man schlecht gelaunt schlafen. Wir haben bei den Proben für Romeo & Julia die ersten vier Wochen die Besprechungen immer morgens gemacht, und nur dann, als wir auf der großen Bühne geprobt haben, waren sie danach.

Ulf: In unserem normalen künstlerischen Leben fällt um 20 Uhr der Löffel. Und auch da brauche ich noch mindestens zwei, drei Stunden, um runterzukommen. Ganz schlimm ist es, wenn ich mir um 23 Uhr noch mal Songs anhöre und anfange, mit Kopfhörern durch die Wohnung zu tanzen. Die letzten Wochen vor einer Premiere ist man dann Tag und Nacht dabei. Da freue ich mich darauf, und mir graust es davor. Am Ende kann ich nicht schlafen, und es gibt nichts zwischen „Es wird ein Desaster“ oder „Oh Gott, es wird so schön.“ Aber dafür leben wir auch.

Jens: Was passiert nach der Premiere, seid ihr dann fertig?

Peter: Es gibt diesen Broadway-Spruch, dass ein Musical niemals fertig ist. Das ist ja, was ein Liveerlebnis von der Konserve unterscheidet. Bei Romeo & Julia waren wir schon beim Casting dabei, so konnten wir beim Komponieren wirklich für die Leute schreiben. Bei Ku’damm 56 haben wir Wochen nach der Premiere noch Text and Musik geändert. So war es bei Rosenstolz auch. Das finde ich schön, denn sonst könnte man ja auch einen Fernseher hinstellen.

Jens: Die Musik ist euer Leben?

Ulf: Ja, ganz klar.

Vielen Dank!

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Infobox

Romeo und Julia

Die neue Musicalinszenierung von Peter Plate und Ulf Leo Sommer läuft ab März 2023 im Theater des Westens. Infos und Tickets gibt es unter.

www.stage-entertainment.de

Jens Wazel

Jens Wazel ist ein Berliner Fotograf und Videograf. Er hat dieses Gespräch mit Peter und Ulf im Theater des Westens geführt.

www.jenswazelphotography.com