Kurz und Knapp Portrait

„Kurz und knapp“ – Jürgen Ehle

Juergen Ehle Titelbild

„Kurz und knapp“ ist eine Interview-Serie des Berliner Fotografen Jens Wazel.

Documentary: www.jenswazelphotography.com/Documentary/Arts

Kurz und knapp … wer bist du?

Ich bin Musiker.

Was heißt das?

Ich spiele Zupfinstrumente, überwiegend Gitarre, aber auch Bass, Banjo, Mandoline und Waldzither. Ich schreibe Songs, komponiere für Theater und Film und arbeite als Tonmeister und Produzent. 

Wie ging das los mit der Musik?

Mein Vater arbeitete im Außenhandel der DDR, und ich wurde 1956 in Peking geboren. Später lebten wir in Ägypten, wo ich im Schulchor gesungen habe. Als ich zehn Jahre alt war, zogen wir nach Berlin – dort entdeckte ich die Beatmusik. Ein Freund brachte mir die ersten Akkorde auf der Gitarre bei, und von da an ließ mich die Musik nicht mehr los.

Zu dieser Zeit war ich noch auf der Sportschule und betrieb Leistungssport: Kunst- und Turmspringen. Aus gesundheitlichen Gründen musste ich jedoch damit aufhören. Mit 14 gründeten wir dann unsere erste Band. Ich begann, eigene Songs zu schreiben und ging auf die Musikschule. Später musste ich zum Militär, hatte dort aber das große Glück, weiterhin Musik machen zu können.

Und dann?

Am Ende der Armeezeit bekam ich das Angebot, bei Jahrgang 49 einzusteigen – der Band, die ursprünglich aus dem Oktoberklub hervorgegangen war. Die Arbeit dort war äußerst professionell, und wir waren viel unterwegs. Gleichzeitig machte ich meinen Berufsabschluss mit einem Schwerpunkt auf klassischer und jazzorientierter E-Gitarre. Doch was mich wirklich faszinierte, waren die Klänge von Chuck Berry, Keith Richards, Eric Clapton und Jimmy Page.

Damals bewunderte ich 4 PS sehr, und als sie einen neuen Gitarristen suchten, ergriff ich die Chance. Einige Jahre begleiteten wir Veronika Fischer, bis sie in den Westen ging. Danach machten wir allein weiter. 1981 kam André Herzberg als Sänger dazu, und aus der Band wurde PANKOW.

PANKOW ist sehr schnell bekannt geworden …

Ja, vor allem durch Mundpropaganda. Die vier Instrumentalmusiker der Band waren da allerdings schon seit Jahren im Geschäft. Wir gehörten zu den gefragtesten Studiomusikern bei Rundfunk und AMIGA, arbeiteten auch für das Fernsehen und die DEFA – die Entscheidungsträger dort kannten uns also bereits, wir mussten nicht erst lange erklären, wer wir sind. Ich selbst bin zum Beispiel auf mehr als 20 AMIGA-Platten zu hören.

Unser erstes Projekt als PANKOW war eine Mini-Rockoper, in der ein Lehrling als typischer Berliner „Meckerfritze”, aber ausgestattet mit jüdischem Humor, durch seinen DDR-Alltag stolpert. Das Besondere: Wir brachten Alltagsthemen in Alltagssprache auf die Bühne. Auch musikalisch gingen wir neue Wege. Statt des typischen DDR-Art-Rocks ließen wir uns von New Wave und der Neuen Deutschen Welle inspirieren, von Bands wie The Tubes und Spliff.

War das „erlaubt“?

Ein paar Jahre nach Biermanns Ausbürgerung, als viele talentierte Künstler das Land verlassen hatten, lockerte sich die strenge Linie, und es entstanden neue Freiräume. Unter den Funktionären hatten wir sowohl Gegner als auch Unterstützer – ohne Letztere hätten wir es wohl nicht geschafft. Dennoch durfte unsere erste LP nicht veröffentlicht werden.

Nach einer Beschwerde bekam ich allerdings einen Termin beim Chef des VEB Deutsche Schallplatten. Er bot uns an, jedes Jahr ein Album machen zu können. Bis zur Wende veröffentlichten wir so weitere vier Alben. Die Texte schrieb ich von da an teils selbst, verwandelte Fanbriefe in Songtexte oder vertonte Werke anderer Autoren. Später hat dann auch André zunehmend Songtexte geschrieben.

Und nach der Wende?

Zunächst wollten die Leute vor allem die Bands erleben, die ihnen zuvor verwehrt geblieben waren. Viele Kultureinrichtungen mussten schließen, und wir verloren sowohl unsere Plattenfirma als auch unseren Manager. Doch der größte Einschnitt war der Ausstieg von André Herzberg aus der Band.

Wir machten zu viert weiter und hatten zum Glück ein Stammpublikum behalten. Innerhalb der Band verteilten wir die Aufgaben neu: Drei von uns übernahmen den Gesang, und ich wurde zum Frontmann – eine Rolle, die mich oft an die Grenze der Überforderung brachte.

Warum?

Wenn du richtig gut Gitarre spielen willst, musst du dich voll und ganz auf deine Hände konzentrieren. Und wenn du singst und es wirklich ernst meinst, wirst du emotional. Beides gleichzeitig zu tun, kann ich nicht. Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich andere begleiten kann. Wenn ich spüre, dass jemand gerade in Hochform ist, versuche ich, das im Hintergrund zu unterstützen.

Dann kam die Ostalgie-Welle …

Die hat uns gar nicht interessiert. Wir wollten uns nicht auf alten Erfolgen ausruhen. Die Zeiten hatten sich geändert – es gab neue Themen, neue Herausforderungen. Früher bestand ein Teil unserer Aufgabe darin, Dinge auszusprechen, die nicht in der Zeitung standen. Diese Notwendigkeit fiel weg, und es wurde persönlicher. Gleichzeitig wurde es aber auch schwieriger, gesellschaftlich die gleiche Relevanz zu erreichen wie zuvor.

Konzert der Band Pankow

Wie ging es mit PANKOW weiter?

1996 kehrte André zurück. Wir nahmen ein neues Album auf, tourten später mit einem Brecht-Programm. Doch irgendwann hatten wir das Gefühl, auf der Stelle zu treten. 1998 verabschiedeten wir uns – vorerst. Erst 2004 gingen wir wieder auf Tour, und das dann im Rhythmus von zwei bis drei Jahren.

Doch wir merkten nach und nach, dass es nicht mehr so funktionierte wie früher. Es fehlte zunehmend die Kontinuität, der ständige Austausch, der unbedingt notwendig ist, um kreativ zu bleiben. Deshalb haben wir uns dann entschieden, eine letzte Tournee zu spielen – bevor wir irgendwann vielleicht nur noch wie eine PANKOW-Coverband klingen.

Hast du andere Projekte?

Seit etwa 25 Jahren veröffentliche ich zusammen mit meiner Partnerin Scarlett O‘ regelmäßig CDs, und bin mit ihr auf Konzertreisen. Unsere Programme sind überwiegend thematisch ausgerichtet – das Leben und Wirken des Filmkomponisten Werner Richard Heymann, die Rolle starker Frauen in der Zeitgeschichte oder die Zeit von Bertolt Brecht und Helene Weigel in Buckow sind Beispiele dafür.

Wir betätigen uns inzwischen auch als Veranstalter. Im Jahr 2015 kamen dann noch meine Mitgliedschaft in der Band um den Filmregisseur Andreas Dresen und ein jährliches Tourneeprogramm mit dem Schauspieler und Theaterdirektor Thomas Rühmann dazu. Hin und wieder bekomme ich auch Kompositionsaufträge, wie zuletzt für einen Kinderfilm. Das ist längst nicht alles, aber zumindest das Wesentliche.

Juergen Ehle Gitarrist

Was macht ihr als Veranstalter?

Scarlett und ich leben in einem umgebauten Bauernhaus in Liebenhof, etwa 45 Minuten von Berlin entfernt. Dort finden im Winter regelmäßig unsere „Hausschuhkonzerte“ statt. Zusätzlich haben wir zwei Sommerbühnen im Garten, die jeweils Platz für bis zu ١٠٠ Zuschauer bieten. Dorthin laden wir gelegentlich auch „Weggefährten“ ein – Kolleginnen und Kollegen, mit denen wir in den letzten 40-plus-Jahren bereits gemeinsam auf der Bühne oder im Studio zusammengearbeitet haben.

Wie ist das Landleben?

Es passt sehr gut zu mir, denn ich bin eher ein „Schneckenhaus-Mensch“, der sich gerne zurückzieht. Als Einzelkind war ich oft allein, weil meine Eltern viel arbeiteten – eine Art Zwangsautonomie. In dieser Zeit habe ich viel gezeichnet und gelesen.

Heute kann ich einfach vor die Tür gehen und loslaufen – sei es zum Wald oder zum See, mit einer Gitarre in der Hand. Oder ich setze mich in den Garten und übe. Natürlich sind der Garten und die Organisation von Veranstaltungen mit viel Arbeit verbunden, aber ich werde dafür immer wieder belohnt.

Wird es langweilig?

Ganz im Gegenteil! Es gibt natürlich Tage, an denen ich mich freue, zu Hause bleiben zu können. Das ist wohl auch eine Frage des Alters – ich arbeite nicht mehr die halbe Nacht durch. Aber es gibt noch viele Ideen: neue Projekte mit Scarlett und auch der Wunsch, mit Andreas Dresen ein Studioalbum zu machen.

Wenn du auf dein Leben zurückblickst, würdest du etwas anders machen?

Ich würde nur bereuen, wenn ich irgendwo gegen besseres Wissen und Gewissen, gegen meine eigene Überzeugung gehandelt hätte. Es gibt allerdings auch gelegentlich Entscheidungen, von denen man wohl nie erfahren wird, ob sie im Nachhinein richtig oder falsch waren.

Ich bin jedenfalls froh und stolz, immer noch so viel Wertschätzung zu erfahren, dass ich auf eine Bühne gehen und meine eigenen Sachen machen kann. Es ist ein großes Geschenk, dass ich nicht etwas bedienen muss, was mir jemand vorgibt, sondern alles selbst und frei gestalten kann.

Alles in allem fühle ich mich reich beschenkt. Natürlich steckt viel Arbeit dahinter, aber auch eine gehörige Portion Glück. Ich hatte wirklich viel Glück.

Vielen Dank!

Jürgen Ehle

Jürgen Ehle Portrait

ist Musiker, vor allem bekannt
als Gitarrist der Band PANKOW.
Er lebt mit seiner Partnerin SCARLETT O’ in Brandenburg.

www.juergen-ehle.de

Jens Wazel

ist Fotograf und Videofilmer. Im Osten aufgewachsen, wohnt er nach 25 Jahren in den USA wieder in Berlin.

www.jenswazelphotography.com