Die Berliner Band und ihr erstes Album

Von Hans-Jürgen Schatz

Es gibt hierzulande ein großes generationenübergreifendes Publikum für Klezmer und Weltmusik. Bohai zählt zu den stark gebuchten Bands in diesem Genre. Warum bringt das Quartett erst nach sieben Jahren sein erstes Album heraus? „Warum erst? Es hat niemand damit gerechnet, dass es überhaupt mal ein Album geben würde. Das Publikum hat uns quasi dazu überredet. Die Leute fragten bei Konzerten oft nach einer CD. Und nun war es soweit.“

Auf einen Kaffee mit Johannes Schauer, dem Kontrabassisten von Bohai. „Der Album-Titel ‚Auf dem Weg‘ beschreibt auch unsere Band. Sie ist auf dem Weg, einem guten Weg. Wo er uns hinführt, wer weiß? Das Album ist eine Art Dokument, ein Zeitzeuge und zeigt unseren Weg bis hierher, wo wir stehen.“

Eine echte Berliner Mischung

Drei Norddeutsche und ein Oberbayer wachsen zu einer Berliner Band ohne jüdische Wurzeln zusammen und spielen erfolgreich Klezmer-Musik. Eine echte Berliner Mischung. Sönke Tippelmann (Gitarre) und Yorick Lohse (B-Klarinette) kennen sich seit der 7. Klasse in Hamburg, haben später zusammen gewohnt und angefangen, als Duo Musik zu machen. Nach Berlin gezogen, wollten sie mit einem Bassisten ein Trio bilden. In dessen WG wohnte Alexander Patzelt (Bassklarinette), fragte „Darf ich mich dazusetzen?“ und schon war aus dem Trio ein Quartett geworden, das in dieser Besetzung bis 2017 auftrat. Dann wurde Johannes der neue Bassist der Band. Er kommt vom Jazz und genießt die völlig anderen, neuen musikalischen Einflüsse und durch Klezmer erweiterten Möglichkeiten, auf seinem Instrument zu spielen. Die anderen sind eher klassisch geprägt. Sönke ist klassischer Gitarrist, Yorick ist mit Kirchenmusik aufgewachsen, bei Alexander spielen auch noch Popeinflüsse eine Rolle.

Vier Klezmorim und ihre Liebe zur Musik

Ursprünglich bezog sich der Begriff Klezmer (Plural: Klezmorim) auf die Musiker. Erst seit der Wiederbelebung dieser vorwiegend instrumentalen Musik in den USA in den 1970er-Jahren wird der Begriff zur Bezeichnung der musikalischen Stilrichtung verwandt. Bis dahin wurde diese Musik zumeist „jiddische“ Musik genannt.

Wie ist Bohai zu dieser Musik gekommen? „Das geht auf unsere Klarinettisten Yorick und Alex zurück. Sie haben sich auch dafür begeistert, weil diese Musik ihren Instrumenten so viele Ausdrucksmöglichkeiten zu bieten hat.“ Der argentinische Klarinettist Giora Feidmann (Jahrgang 1936), „König des Klezmer“ genannt, kam auf seinen Tourneen regelmäßig nach Deutschland. Er hat wesentlich zur Verbreitung und Beliebtheit des Klezmer und dadurch vielleicht auch zur Gründung von Bohai beigetragen.

„Zu Anfang haben wir viel traditionelle jüdische Folklore gespielt, manches adaptiert, neu arrangiert. Dann ging es in der Bandgeschichte fließend von Bearbeitungen hin zu Eigenkompositionen weiter.“ Percussionelemente und Gesang machen die Konzerte noch farbenfroher. Wer schreibt für Bohai? „Jetzt schreiben die Klarinettisten Yorick und Alex unsere Stücke.“ Wie schreibt man als Hamburger Klezmermusik? Geht das als Klezmer durch? „Wenn der Hamburger Klezmer schreibt, dann ist das Weltmusik. Er hat Einflüsse zusammengefasst und seinen eigenen Stil gefunden.“

Spielt Bohai auch vor jüdischem Publikum? „Wir haben keinen Kontakt zur jüdischen oder Klezmer-Szene. Das Berliner Publikum ist meist international gemischt. Ich glaube, wir können überall spielen, nur nicht in Israel. Die wissen‘s ja besser als wir. Warum sollten sie zu unseren Konzerten kommen? Wir sind eine Berliner Band, die halt diese Musik spielt.“ In meiner Kindheit habe ich oft gehört: Mach‘ nicht so ein Bohei. Aber besseres Gewese, Tamtam und Getue, schöneren Lärm als Musik gibt es wohl kaum. So kam die Band zu ihrem leicht abgewandelten Namen.

Kulturelle Aneignung

Im Interview mit dem SPIEGEL (13/2022) erzählte die erfolgreiche Popsängerin Rosalía, in deren Songs der Flamenco eine starke Rolle spielt, dass ihr von den spanischen Roma „kulturelle Aneignung des Flamenco“ vorgeworfen worden sei. Wie sieht Bohai das Thema? „Das ist uns noch nie passiert. Wir überlegen immer, wie weit können wir gehen, ab wann wäre es genau das? Ab wann benachteiligt man andere Menschen, wann nehmen wir anderen Leuten was weg? Gibt es einen Ort, wo statt unserer eine jüdische Band Klezmer spielen könnte? Dann müssten wir damit verantwortlich umgehen. Wir müssen die Ursprünge wertschätzen und dürfen nicht so tun, als hätten wir diese Musik erfunden. Wir greifen Einflüsse auf und wenn wir die zusammenpflücken, dann ist das für uns Weltmusik. Wir haben argentinischen Tango, Klezmer, Rhythmen, die aus Indien kommen usw. Wir sind eine Berliner Band und von unserem Umfeld beeinflusst, auch arabisch und lateinamerikanisch. Das hört man in unserer Musik.“

Was macht den Erfolg von Bohai aus?

„Die Band hat angefangen als Hobbyband. Und auf eine gute Art und Weise ist ein bisschen was von dieser Haltung geblieben. Es gefällt mir, dass wir, und das vermisse ich so oft im Jazz, uns nicht so ernst nehmen.“ Es macht Spaß, Bohai zu hören. Ich war von Anfang an gefangen von der Spielfreude auf dem Album „Oyfn Veg“, von der Bandbreite der unterschiedlichen Stimmungen, die da aufscheinen. Mir fiel eine Gedichtzeile von Erich Kästner ein: Melancholie und Freude sind wohl Schwestern. „Klar, diese Gefühle kennt jeder auf der Welt. Aber in der Klezmer-Musik kommen sie besonders schön zum Ausdruck.“ Die Band hat einen sehr eigenen Sound und sorgt für gute Laune. „Ja. Und jeder hat in der Show seinen Part. Die Ansagen sind nicht so ernst, alles ist ehrlich, wir sind nahe am Leben und unseren Leuten dran. Auch weil 50 Prozent der Bandmitglieder noch in einem anderen Beruf arbeiten. Und wir haben einen Wiedererkennungswert. Über die Zeit hat Bohai sich was Eigenes geschaffen, ist zu einer Marke geworden. Wir haben viel Stammpublikum, das nicht nur der Musik wegen kommt. Die wollen Bohai erleben. Umso mehr freuen wir uns auf unsere Tournée, die 2020 natürlich ausgefallen ist.“

Stichwort „Tournée“. Klarinette und Gitarre haben es auf Reisen mit der Bahn leicht. Wie reist man mit einem Kontrabass? „Reine Übungssache. Aber es gibt viele Witzbolde, die fragen: Sind Sie Musiker?“ Auch nach dem selbst im Instrumentenkoffer doch unverkennbaren Instrument wird gefragt. „Oboe hatte ich gestern. Beim Bäcker auf dem Weg zum Bahnhof. Ist das eine Oboe?“ Was war die Antwort? „Schönen Tag noch.“

Bohai – Sieben Jahre und ein Albumrelease:

Oyfn Veg

Bohai ist eine Klezmer- und Weltmusikband aus Berlin und spielt jiddische Volks- und Tanzmusik, angereichert und gemixt mit anderen Stilistiken wie Swing oder Tango.

Nächste Termine:

11.06. WABE Berlin
(Album Release Concert)

09.07. Jagdschloss Grunewald

16.08. Liebermann-Villa am Wannsee (Benefiz)

19.08. Michaelskirche, Kreuzberg

www.bohai-klezmer.de

ⓒ Fotos: Pavol Putnoki