Nachrufe
Margot Friedländer, * 5. November 1921 ✝ 09. Mai 2025

Man konnte Margot Friedländer nicht einfach begegnen – man wurde von ihr berührt. Von ihrer Klarheit, ihrer Würde, ihrem Mut. Wer ihr einmal gegenüberstand, vergisst diesen Moment nicht.
Sie sprach nicht nur über die Vergangenheit, sondern machte klar, dass sie uns alle angeht. Dass sie weiterwirkt. Und dass wir Verantwortung tragen: für die Gegenwart und für die Zukunft.

Am 9. Mai 2025 ist Margot Friedländer im Alter von 103 Jahren friedlich eingeschlafen – ein Moment, der viele von uns tief erschüttert hat. Denn mit ihr ist eine Stimme verstummt, die weit mehr war als Erinnerung. Sie war Haltung. Mahnung. Lebendige Geschichte.

Wir wollten über sie schreiben und merkten schnell: Ein einzelner Text reicht nicht. Denn Margot Friedländer hat in so vielen Menschen etwas ausgelöst. Sie hat Spuren hinterlassen, Gedanken angestoßen, Leben verändert. Deshalb haben wir Menschen gebeten, ihre Eindrücke und Gedanken zu teilen.

Was bleibt, wenn ein Mensch wie Margot Friedländer geht? Wir wissen es nicht genau. Aber vielleicht kommen wir der Antwort näher, wenn wir vielen zuhören.
Und hoffentlich begreifen wir: Margot Friedländer darf nicht ohne Stimme bleiben.

Nicht sie – und nicht all die anderen, die das Unsagbare erlebt und nie vergessen haben.
Liebe Leserinnen und Leser, jetzt sind wir ihre Stimme!

mein/4


Margot Friedländer Berlin

Unser Misstrauen anderen Menschen gegenüber hat bekanntlich zwei Gründe. Der eine Grund ist: Wir kennen die anderen nicht. Und der zweite Grund ist: Wir kennen sie nur allzu gut. Margot Friedländer habe ich zum ersten Mal vor einem Jahr kennengelernt. Sie hatte sofort mein Vertrauen. Wie konnte jemand in diesem Alter so fit sein und so klar reden? Ihre Botschaft war unmissverständlich: Seid menschlich und habt Vertrauen, glaubt an euch! Wir können diese Welt zum Besseren ändern, es ist noch nicht zu spät. Es ist nie zu spät. Sie ist zum völlig falschen Moment von uns gegangen, und es ist so verdammt traurig, dass sie nicht mehr bei uns ist. Die Welt braucht Frau Friedländer gerade jetzt wie nie zuvor. Wir müssen versuchen, ihre Botschaft weiterzutragen.

Wladimir Kaminer


Margot war eine Jahrhundertfrau, eine Versöhnerin, eine Frau des Friedens, eine Botschafterin der Menschlichkeit. Sie hat den Raum mit Liebe erfüllt, mit Verantwortung und einem Handlungsbedarf. Und sie ist zurückgekehrt in ein Land, das ihr den Vater und den Bruder genommen hat – den Wert der Familie, der so wichtig für sie war.

Es war eigentlich nicht ihre Aufgabe, uns zu versöhnen und sich zu versöhnen. Aber es war ihr eine Herzensangelegenheit. Damit hat sie ihrem Leben einen Sinn gegeben und damit auch uns allen. Ich habe sie dabei beobachtet, mit wie viel Menschenliebe sie auf jeden einzelnen Menschen – egal welcher Konfession, Religion, Nationalität – eingegangen ist. Sie hatte ein wahnsinniges Gespür für Menschlichkeit, für Situationen, für Empathie. Die Begegnungen mit ihr und meiner Mutter, das sind die, die bei mir hängen bleiben. Das war ein Mutual Understanding ohne Worte. Sie hatte eine Verletzlichkeit und gleichzeitig dieses Kraftfeld. Sie hatte den heiligen Zorn, den ich nur von meinen Vorfahren kenne, und den hatte sie bis zur letzten Sekunde. Margot ist sich selbst treu geblieben.

Wenn sie nicht den Hass gewählt hat, wer sind wir dann, es ihr nicht nachzumachen? Ihre Lebensleistung besteht darin, sich trotz allem, was sie erlebt hat, für die Liebe zu entscheiden. Ihr Werk bleibt, und wir müssen es – gerade jetzt – weitertragen. Es ist ein schmerzlicher Verlust, auch wenn sie mit stolzem Alter gehen durfte. Jetzt sind wir dran. Ich spüre eine tiefe Verantwortung, dieses Erbe fortzusetzen.

Düzen Tekal


Der Tod von Margot Friedländer erfüllt mich mit tiefer Trauer – und mit großem Respekt.

Ich habe sie als eine außergewöhnliche Frau erlebt, deren Lebensgeschichte und Botschaft mich nachhaltig geprägt haben. Ihre Kraft, nach allem, was ihr angetan wurde, nicht zu hassen, sondern Brücken zu bauen, war für mich zutiefst beeindruckend. Besonders das, was sie uns mitgegeben hat: Menschlichkeit, Verantwortung und den Mut, niemals zu schweigen. Ich habe sie bewundert für ihren klaren Blick, ihre Wärme, ihre Entschlossenheit, Jugendlichen zuzuhören und ihnen etwas mitzugeben, was kein Geschichtsbuch je leisten kann. Ihr Satz „Versucht, ein Mensch zu sein“ ist mir tief ins Herz gegangen. Ich trage ihn weiter, in meinem Tun, in meinen Begegnungen, in meinem Einsatz gegen das Vergessen.

Danke, Margot Friedländer. Sie werden fehlen. Aber Ihre Stimme bleibt.

Mario Röllig


Mit dem Tod von Margot Friedländer verliert Deutschland eine der letzten Stimmen, die den Holocaust überlebt und dem Erinnern gewidmet haben.

Ich durfte diese tolle Frau auf Veranstaltungen bei der Berliner Sparkasse und auf dem Sommerfest von mein/4 erleben, und sie berührte mich mit ihren Reden. Ihr Glaube an die Kraft der Erinnerung und an das Gute im Menschen bleibt mir für immer im Kopf.

Ihr Zitat „Seid Menschen“ sagt eigentlich alles aus und sollte täglich unser Handeln ausmachen.

Lasst uns gemeinsam weiter für ein Miteinander stehen, damit ehren wir Margot Friedländer am meisten.

Tom Richter


Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sprechen wir einander diese Würde pauschal ab, verbauen wir uns jede Möglichkeit einer Annäherung – ein Reflex, der in einer für Zuspitzungen anfälligen Zeit wieder zunehmend um sich greift. Margot Friedländer ist für uns der Inbegriff eines humanistischen Blicks auf die Welt, der das Verbindende sucht und nicht das Trennende. Diese Haltung wollen wir in ihrem Namen weitertragen.

Claus Theo Gärtner


Margot Friedländers Schilderung in einem Interview, sie sei während des Krieges und auch lange danach gar nicht in der Lage gewesen, sich in ihren Mann zu verlieben, weil sie für derlei Empfindungen „erst wieder Mensch werden“ musste, hat mich nachhaltig erschüttert. Sie hat mir vor Augen geführt, in welch einer privilegierten Welt ich aufgewachsen bin, in der ich empfinden kann und vor allen Dingen darf, was auch immer ich möchte. Liebenswürdig zu sein, also der Liebe würdig, ist doch unser aller Antrieb und das, was uns im Innersten zusammenhält.

Sarah Gärtner


Es gibt für mich immer wieder Menschen, von denen ich mir wünsche, ihnen einmal begegnet zu sein. Vielleicht nur, um mich zu vergewissern, dass es sie tatsächlich gibt. Menschen, die aus dem Strom durch etwas Großes herauswirken. Oftmals sind das allerdings längst Gestorbene, Schriftsteller oder Künstler, weil mir deren Wirken erst im Nachhinein bewusst wurde. Dann bleiben mir nur deren Gräber. Im Falle Margot Friedländers hatte ich mehr Glück. Ich stand nur wenige Meter neben ihr auf dem jährlichen Fest von mein/4 im Sommer 2024. Und sah auf eine kleine, zarte, gebeugte Statur und ein helles Gesicht, das mir eine Geschichte von der möglichen Größe des Lebens erzählte.

Detlef Seydel


Seit ihrer Rückkehr vor 15 Jahren nach Deutschland hat Margot Friedländer immer einen besonderen Satz gesagt: „Tut etwas. Seid MENSCHEN!“

Eine Botschaft der Erinnerung, Versöhnung und Menschlichkeit. Das letzte Mal konnte ich Margot Friedländer persönlich im letzten Jahr bei dem Sommerfest von mein/4 erleben. Eine herausragende Persönlichkeit und mahnende Stimme gegen das Vergessen des Holocaust. Diese Botschaft sollte auch nach ihrem Tod von uns allen weitergegeben werden, damit die Erinnerung an solche Verbrechen wachgehalten wird.

Günther Krabbenhöft


Still sein, aufhören, das kam für sie nicht infrage, auch mit 103 Jahren nicht. Bis ganz zuletzt nutzte Margot Friedländer jede Gelegenheit, insbesondere junge Menschen eindringlich zum Eintreten für Demokratie, Respekt, Gerechtigkeit aufzufordern. Wer Margot Friedländer einmal getroffen hat, wird diese Begegnung nie vergessen. Sie, deren gesamte Familie von Deutschen ermordet wurde, machte uns das Geschenk, mit 88 Jahren nach Berlin zurückzukehren und sich gegen das Vergessen einzusetzen. Fast 60 Jahre hatte sie zuvor in den USA gelebt. Im Film Don’t call it Heimweh, der Friedländers Geschichte erzählt, macht sie den Vereinigten Staaten aber auch einen Vorwurf: in den 1930er-Jahren nicht für schutzsuchende jüdische Menschen dagewesen zu sein. Auch daran ist zu erinnern, wenn heute so schnell das Recht auf Asyl geschliffen wird. Margot Friedländer sah in der Erinnerung immer einen Auftrag für die Gegenwart: nie wegsehen, wenn Unmenschliches geschieht. „Sagt was! Seid offen! Seid laut! Wehrt euch! Benutzt euren Mund!“, wurde sie nie müde zu betonen, „Seid Menschen!“.

Klaus Lederer


Bevor ich Margot Friedländer das erste Mal begegnete – nicht als Institution, die sie wurde durch ihre Arbeit gegen das Vergessen, sondern als die zarte und zerbrechliche Frau aus Eisen, die sie war durch Gene, Erlebtes und Visionen –, hatte ich andere Holocaust-Überlebende kennengelernt. Frauen und Männer, denen wie Margot Friedländer der unbedingte Willen zu eigen war, bis ins biblisch hohe Alter mit aller Kraft gegen Faschismus, Fremdenfeindlichkeit und Judenhass zu kämpfen. Éva Fahidi aus Budapest, Esther Bejarano aus Hamburg, Roman Kent aus New York, Noah Klieger aus Tel Aviv, Marian Turski aus Warschau. Nur einige Namen und Erinnerungen an Begegnungen von Mensch zu Mensch. Ihre Geschichten ließen mein Herz splittern. Wie Margot Friedländers Leben ein unvergessbares bleiben wird. Tihyeh Lecha Kelalah. Diese hebräische Übersetzung aus dem Römischen bedeutet „und möge die Erde für dich leicht sein“. Die Erde auf dem Grab von Margot Friedländer wird Gewicht haben. Von unseren Tränen um sie.

Bernd Oertwig


Schloss Bellevue: Eine zierliche alte Dame am Arm des Bundespräsidenten. Nachdem ich Frau Friedländer vorgestellt wurde, las ich erst später ihre Erinnerungen; sah Parallelen zu meiner Mutter und las von Berliner Straßen, durch die Eva in der NS-Zeit wie jene Margot gelaufen war. Rotblondiert die eine, weißblondiert die Andere; freute mich auf das baldige Gespräch mit ihr. Es kam nicht dazu. Lag es an mir? Nein. An ihr. Keine Zeit! Man denke an die Fotosession für mein/4. Oder für Vogue mit dem vermutlich ältesten Covergirl der Welt. Ob Livestyle-Format, Talkshow oder TV-Doku: Ein Jahrhundert sah uns an. Mich sowieso. Damals, als wir nichts voneinander wussten, uns aber etwas zu sagen hatten. Es lag in der Luft.

So etwas liegt aber nie „an der Stimme des Blutes“. „Es gibt kein jüdisches Blut. Es gibt nur Menschen.“ Mit dieser Feststellung hatte Frau Friedländer sowohl Philosemiten als auch Antisemiten etwas in deren Stammbücher geschrieben. Auf sachliche Weise. Bei Georg Kreisler klingt das so: Man muss nur denken:

„Na, was schadet schon das Wandern?“
Und man darf weder sich noch andern Leuten grollen

Denn man muss wissen: Man ist ganz so wie die Andern
Nur, dass die Andern grade das nicht wissen wollen.“

Ilja Richter


Unsere Stadt Berlin stand kurz still. Die Nachricht vom Tod Margot Friedländers hat uns alle erschüttert und traurig zurückgelassen.

Eine Persönlichkeit unserer Heimatstadt Berlin ist von uns gegangen. Für viele von uns war sie Vorbild; in ihrem Sein und ihrer Haltung inspiriert sie uns so zu sein, wie sie: entschlossen, mutig, zuversichtlich und friedensstiftend. In dieser unruhigen Zeit brauchen wir Vorbilder mehr denn je; wir sehnen uns nach Kraft, um Frieden zu stiften, wir brauchen die Klarheit in der Sprache und einen Wertekompass. Ich wünsche mir, dass viele das Vermächtnis von Margot Friedländer in ihren Herzen tragen und insbesondere politisch Verantwortliche sich die Mahnung von Margot Friedländer zu Herzen nehmen.

Judith Stückler


Es gibt Begegnungen – mit Menschen, mit Geschichten, mit Worten –, die etwas in uns verschieben. Still, tief und unumkehrbar. Für uns war Margot Friedländer eine solche Begegnung. Eine Begegnung, die bei uns tiefgreifende persönliche, private und berufliche Spuren hinterlassen hat.

Wir erinnern uns noch genau an den Moment, als wir zum ersten Mal ihre Stimme hörten. Eine ältere Frau, ruhig sprechend, mit einer Würde, die sich nicht aufdrängte, sondern einfach da war – unerschütterlich. Sie sprach über ihre Kindheit in Berlin, über den Verlust ihrer Familie, über Verstecken, Angst, Deportation, Theresienstadt. Und doch war es nicht der Schmerz, der haften blieb. Es war ihre unendliche Menschlichkeit.

Margot Friedländer hat die Hölle überlebt, doch sie kam nicht mit Hass zurück. Sie kam mit einer Bitte: „Tut etwas. Seid wachsam. Schaut nicht weg.“ Wir sehen Margot Friedländer als eine Brücke zwischen Gestern und Heute, getragen von Hoffnung.

Sie hat uns gezeigt, was Erinnern wirklich bedeutet: nicht nur an Fakten und Jahreszahlen festzuhalten, sondern an Menschen, an Gefühlen, an Verantwortung. Besonders gern erinnern wir uns an ihren Satz: „Erinnerung ist kein Rückblick, sondern eine Haltung. Eine Entscheidung für das Leben.“

Wir nehmen ihre Geschichte mit in den Alltag, nicht aus Pflicht, sondern aus Dankbarkeit. Durch sie ist uns noch einmal deutlicher geworden, wie viel Licht ein einzelner Mensch spenden kann – selbst nach der dunkelsten Nacht.

Danke, Margot.

Stefan & Carola Athmann


Margot Friedländer wurde am 5. November 1921 in Berlin geboren, wo sie am 9. Mai 2025 in der Charité verstarb.

Sie war eine Stimme der Hoffnung in unserer mitleidlosen Welt.
Ihr Herz schlug über ein Jahrhundert –

42 Millionen Mal im Jahr
für Frieden, für Menschlichkeit,
für das Erinnern, das Heilen, das Nie-Wieder.

In 103 gelebten Jahren
war sie eine Stimme der Hoffnung und Zeugin der Geschichte.
Ihr Herz schlägt in unseren Herzen weiter.

Denn wer Frieden lebte, wird niemals ganz gehen.

In ihrem Namen – Friedländer –
liegt der Ruf nach einem Land ohne Hass,
nach einer Welt, die Menschlichkeit kennt.

Und Margot bedeutet die Perle –
Demut, Hoffnung und Zuversicht haben sie in ihrer Mission gegen das Vergessen getragen.

Eine zierliche Person mit großer Persönlichkeit.
Sie sprach leise – doch jedes Wort hatte Gewicht und aufmerksame Zuhörer.
Ihre Gedanken waren klar und bleiben unvergessen.
Ihre Augen wach, voll Liebe zum Leben und mit Neugierde gefüllt.
Sie weckte auf, klagte nicht an, sondern berührte.

Margot Friedländer –
ein Herz, das nie aufgehört hat, für das Gute zu schlagen.
Ein Leben, das uns verpflichtet, sie in Erinnerung zu behalten.

Ein Vermächtnis, das bleibt.

Wolfgang Henrich


Margot Friedländer … ist tot. Ich hatte das große Glück, sie im letzten Jahr zwei Mal zu erleben. Es war jedes Mal eine wunderbare Inspiration, wie dieser zarte, fast ätherische Körper ihren riesigen, weisen Geist im wahrsten Sinn des Wortes „verkörperte“. Ihre Kraft, das ihr angetane widerwärtige Unrecht vergeben zu können und ihr ganzes Sein in den Dienst der Menschlichkeit und des Aufeinanderzugehens zu stellen, war und ist zutiefst inspirierend.

Vielleicht war es ein kosmischer Zufall, aber ihr Name hätte nicht passender sein können: Friedländer – friedliche Länder. Ihre freundliche, humorvolle, nachsichtige Art, die Botschaft von der Notwendigkeit einer Verständigung im Lichte des Erinnerns an ein fast nicht vorstellbares Grauen permanent zu wiederholen, gibt auch mir Kraft, weiterzumachen. Und auf meine Art, mit dem Schwert der Satire, die Idiotie des Faschismus sichtbar zu machen.

Jetzt ist Margot nicht mehr unter den biologisch Lebenden. Vermutlich braucht auch das Jenseits mehr Menschlichkeit …

Chin Meyer


Bei der Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges habe ich am 7. Mai im Roten Rathaus den letzten öffentlichen Auftritt von Margot Friedländer erlebt. Es war bewegend! Zu Herzen gehend! Lange über den Tod hinaus wird ihr Mahnen zu Menschlichkeit die Nachwelt beeindrucken.

Dieter Hallervorden


Tante Margot, die beste Schulfreundin meiner Mama (Jahrgang 1936) hat Anfang der Fünfziger mit ihrer Familie Deutschland verlassen. Sie kam nie wieder zurück. Als wir sie nach mehr als vier Jahrzehnten in Colorado besuchten, erklärte sie mir warum.

Margot Friedländer kam zurück. Mit 88 Jahren. Nach all dem, was ihr hier widerfahren ist. Sie kam zurück, um uns eine Botschaft zu bringen: Seid Menschen!

Nun ist die kleine tapfere Frau im Alter von 103 Jahren gestorben.

Lasst uns ihre Botschaft weitertragen. Es ist wichtiger denn je.

Andreas Langholz


Meine Eltern sind 1935 und 1939 geboren. Als spätes Kind dieser Generation bin ich mit Geschichten vom Krieg aufgewachsen. Meine Mutter hat mir früh von Dokumentationen aus den KZs erzählt, die in ihrer Schule gezeigt wurden. Mein Vater hat die Bombenangriffe erlebt. Ich bin meiner Mutter dankbar, dass sie mich zu einem weltoffenen Menschen erzogen hat, den es dann nach Berlin „zurück“ zog, die Geburtsstadt meines Vaters. 2024 bin ich Margot Friedländer als Moderator vom Sommerfest mein/4 begegnet, durfte mit ihr sprechen und während der Laudatio von Dunja Hayali den Schirm als Sonnenschutz halten. In dieser Begegnung durchfuhren mich die Geschichten meiner Familie. Niemand konnte die Wahrhaftigkeit dieser Zeit realer repräsentieren. Wir handeln respektlos, wenn wir im Wust der aktuellen Auseinandersetzungen Kriegshandlungen als Lösung erachten. Mit ihrer unermüdlichen Bitte „Seid Menschen!“ stellte Margot Friedländer stets auch die Frage, ob wir das als Gesellschaft überhaupt wollen. Ich wünsche ihr verdiente Ruhe und verneige mich, dankbar für mein Leben in Frieden.

Arno Zillmer


Der Pianist Igor Levit sollte beim Deutschen Filmpreis eine Laudatio auf den Preis für die beste Filmkomposition halten. Er bat um Entschuldigung dafür, dass er sich dazu aber nicht in der Lage sah, weil er gerade erfahren habe, dass Margot Friedländer gestorben sei. Ein Raunen ging durch das Theater am Potsdamer Platz. Statt seine Laudatio zu halten, sprach er über sie. Es war ein Appell, ihr Vermächtnis anzunehmen und in diesen entmutigenden Zeiten für das von ihr geforderte „Menschbleiben“ zu kämpfen.

Und plötzlich standen alle. Er schaffte es mit zitternden Händen, seine Tränen zurückzuhalten, aber das Publikum nicht. Hartgesottene, meinungsstarke Filmleute, selten einig in ihrem Urteil, standen und hingen an seinen Lippen und kümmerten sich nicht um die Tränen, die ihnen über das Gesicht liefen. Es war wohl das, was einem Gebet am nächsten kommt.

Der reichste Mann der Welt hält Empathie für die größte Schwäche des Westens. Aber wenn dieser Mann mal gestorben sein wird, wird sicher keine noch so raffinierte Trauerrede die Menschen so durchrütteln wie diese.

Friede sei mit ihr und ihr Mut mit uns.

Hans-Werner Meyer


Eine Frau aus Polen, deren Großmutter im Holocaust umgekommen war, erzählte kürzlich in einem Fernsehinterview, dass sie deutschen Boden eigentlich nicht mehr betreten wollte. Schließlich entschloss sie sich doch zum Besuch einer KZ-Gedenkstätte und sagte dazu: „Wir müssen die jungen Menschen über das, was passiert ist, informieren, damit wir diese Fehler nicht noch einmal machen.“ Mit diesem einfachen Satz ist alles gesagt.

Margot Friedländer war eine Inkarnation dieses Gedankens und zudem eine Verkörperung von Hoffnung und Lösung. Durch ihr warmherziges Charisma, ihre einladende Art hieß sie Menschen willkommen, an ihren Erlebnissen, ihrem Wissen und den daraus folgenden Erkenntnissen teilzuhaben.

So hat sie aus der Information über das Schrecklichste etwas Positives gemacht – und dafür ebenfalls ihren Lebensweg wieder auf deutschen Boden gelenkt. Sie hat junge Menschen dank ihrer Art nicht mit einer Schuld oder einer Erinnerung beschwert, die diese unmittelbar gar nicht haben können, sondern um eine zum Positiven nutzbare Erkenntnis bereichert. Das Beste, was wir für Margot Friedländer – und uns – tun können, ist, genau da weiterzumachen.

Axel Pape


Ich hatte die Ehre, Margot Friedländer bei einem Interview kennenzulernen. Schon die Vorbereitung fiel mir schwer. Ihr Leben, ihr Weg hielten so viel Schmerz und unfassbare Grausamkeit bereit. Es stimmte mich traurig und ehrfürchtig.

Dann saßen wir uns in ihrer Wohnung gegenüber. Sie hat mich sofort neben sich platziert und mich mit diesen wachen, neugierigen Augen angesehen. Sie überschüttete mich mit Fragen. Wo ich herkomme. Ob ich Kinder habe. Auf welche Schule sie gehen. Wo ich aufgewachsen bin. Mehr als eine halbe Stunde dauerte es, bis ihre Neugier fürs Erste gestillt war und ich endlich die erste Frage an sie richten durfte. Über drei Stunden haben wir uns unterhalten – ich blieb tief beeindruckt zurück.

Ihr unermüdliches Eintreten für die Gleichheit aller Menschen, ihr Mut, ihre Klarheit, ihr Einsatz für uns alle: Sie hat nicht nur erinnert an das, was geschehen ist – sie hat Verantwortung eingefordert. Von uns. Dafür, dass sich so etwas nie wiederholt.

Ich konnte spüren, wie gegenwärtig trotzdem der Schmerz war. „Was geschehen ist, ist geschehen“, sagte sie. Es muss unvorstellbar viel Kraft gekostet haben, die Geschichte auszuhalten – und trotzdem die Hand auszustrecken. Dafür bin ich ihr unendlich dankbar. Sie fehlt mir sehr.

Markus Beeth


Berlin, 10. Juni 2012. Draußen Abendsonnenschein, drinnen warmer Applaus. Das Lied ohne Worte klang schön … Schön sieht auch die Bernsteinkette aus, die jene Frau trägt, von der ich nicht mehr weiß als das, was der kurze Veranstaltungstext über sie verrät. Ihr Name: Margot Friedländer … Nun spricht sie. Es sind Worte, die vom Unsagbaren erzählen; Worte, die sich zu Sätzen fügen, deren schonungslose Sachlichkeit den Schmerz verhüllt, der in ihnen brennt; Sätze, die ihrer Kette die goldgelbe Unschuld rauben, die sie noch eben besaß … Stille. Margot Friedländer hat alles gesagt – unvergesslich für jeden, der in diesem Moment mit ihr schweigt.

Enno Kraus


… und ich bin hier.

Im Sommer 2007 haben wir uns kennengelernt, also vor 18 Jahren, die selten so ernst waren wie die öffentlichen Auftritte der letzten Zeit. Wir haben viel gelacht, zwei Berliner Pflanzen unter sich. Margot war geradezu quirlig, hatte einen flotten Schritt am Leib. Und einen wunderbar trockenen Humor.

Wir haben einiges miteinander erlebt. Die erste Präsentation ihres Buches Versuche, dein Leben zu machen konnte ich mit ihr in der Liebermann-Villa gestalten. Sie kam zu meinen Lesungen ins Renaissance-Theater, wir waren bei den Bayreuther Festspielen …

An ihrem 103. Geburtstag, am 5. November 2024, haben wir spätabends noch ein Viertelstündchen plaudern können. Margot war hellwach, zugewandt, neugierig. Margot konnte staunen wie ein Kind. Und ich staunte, worüber sie eigentlich staunte. Bis mir klar wurde, dass sie, die Jüdin, ab 1942 ja zunehmend vom Leben in Deutschland abgeschnitten war. Ausgegrenzt, im Untergrund, im KZ, in der Emigration. Ihr Mann lehnte es ab, jemals wieder deutschen Boden zu betreten. So war bei ihrer Rückkehr alles neu für sie. Und sie konnte sich so sehr über alles freuen. „Weißt du, Schätzchen“, sagte sie oft zu mir, „ich bin so dankbar, dass ich das alles erleben darf.“ Sie wird Hunderte von Filmen verknipst haben. Alles wollte sie festhalten, Orte und Personen.

Einmal fragte ich sie, als wir in der Nähe der Stelle vorbeikamen, wo die Greifer der Gestapo sie mitgenommen hatten, was sie in solchen Momenten dächte. Sie antwortete prompt: „Ätsch, ihr seid tot und ich bin hier.“

Hans-Jürgen Schatz


Ich hatte nur wenige Begegnungen mit ihr. Diese waren stets herzlich und zugewandt und werden mir immer in Erinnerung bleiben. Ihr wacher und neugieriger Blick. Ihre Frage, ob ich noch Eltern hätte und ob es ihnen gut ginge. Ihr sanfter, aber doch bestimmter Händedruck, der jedes Mal einen Moment länger dauerte, als ich dachte, der mir Zuversicht verhieß, ohne dass ich ahnte, jemals Zuversicht zu brauchen.

Es gibt ein Foto von uns beiden, wo wir Tränen lachen, ich weiß leider nicht mehr, warum. Aber ich weiß, dass ich sie in den letzten Monaten nicht mehr aus tiefem Herzen hab lachen sehen. Was muss ihr im Kopf herumgegangen sein, wenn sie die Nachrichten gesehen hat? Ich hoffe, dass Margot Friedländer, wo auch immer sie jetzt ist, alsbald mitbekommt, dass ihr unermüdlicher Appell gegen das Vergessen und für die Menschlichkeit nicht umsonst gewesen ist. Unfassbar, dass ihr das zu Lebzeiten nicht vergönnt war.

Marc Lippuner


„nicht müde werden, / sondern dem Wunder / leise wie einem Vogel / die Hand hinhalten“ (Hilde Domin)

Margot Friedländer hat gelebt. Ein Geschenk für uns alle. Was sie mir persönlich geschenkt hat: den Augenblick. Wenn Margot Friedländer sich mit dir unterhielt, dann machte sie genau das. Sie war präsent im Moment – wie eine jüngere Freundin, mit neugierigem, wachem Blick. Vielleicht war es das: im Augenblick zu leben, nicht zu vergessen, aber nicht zu verharren. Sie sagte, dass man nach vorn leben muss, auch wenn man zurück auf Dunkles blickt. Was sie erlebt hat, kann ich nicht ermessen. Wie sie gelebt hat, ist eine Ermutigung. Dass Vergeben etwas ist, dass du für dich, dein Weiterleben brauchst – und dass sie uns allen damit ein so großzügiges Angebot gemacht hat. Denn sie ist Menschen begegnet, immer wieder neu. Sie ist nicht müde geworden, diese Botschaft zu verbreiten. Wie war die kleine Margot? Wie jedes Menschenkind: zutraulich und hilflos in die Welt geplumpst, um gewärmt und geliebt zu werden. Das müssen wir uns merken, wenn wir überlegen, was „seid Menschen“ heißt. Mensch sein ist globaler als die Digitalisierung, geht über Zölle und Grenzsteine hinweg. Wie viel uns scheinbar trennen mag, im Kleinen, wird aufgelöst durch diesen Satz. Wenn du müde werden willst, weil es scheinbar keinen Zweck hat, dann denk an Margot Friedländer. Denk an Wunder.

Bärbel Stolz


Falls mich jemand fragen sollte, was eigentlich ein „Mensch“ sei und was einen solchen (neben den physischen und biologischen Merkmalen) im Kern seiner Existenz ausmacht, so würde ich sagen: Schau dir Margot Friedländer an.

Sie erlebte unfassbar Schreckliches, sah ihre Liebsten sterben, erlebte das Grauen des Holocausts hautnah, überlebte all dies durch wundersame Weise – und lebte weiter, um uns allen als Beispiel für Menschlichkeit und Empathie zu dienen. Ohne Hass und ohne Wut, sondern mit Liebe, Klugheit und purer Lebensfreude. Und trotz ihres hohen Alters ließ sie niemals nach, uns immer wieder zu ermahnen, zu erinnern und zu motivieren, unsere eigene Menschlichkeit nicht zu vergessen und alles dafür zu tun, dass sich die furchtbaren Entwicklungen der Vergangenheit niemals wiederholen.

Und wer sie einmal persönlich kennenlernen durfte, der konnte auch ohne Worte sofort dieses ganz besondere Feuer spüren, das in ihr brannte, ihre Freundlichkeit, ihren wachen Geist und ihre Herzenswärme.

Mit Margot Friedländer hat die Welt einen ihrer wichtigsten und wunderbarsten Menschen verloren. Sorgen wir dafür, dass ihre Taten, Worte und Erinnerungen nie vergessen werden, denn wir haben ihr viel zu verdanken. Wenn es mehr Menschen wie sie gäbe, wäre diese Welt ein wesentlich schönerer Ort.

Oliver Kalkofe


Am Abend des 9. Mai stand ich in Graz auf der Bühne und sagte: „In meiner antifaschistischen Welt hat die Kultur des Erinnerns eine sehr große Bedeutung: Erinnerung ist für mich unendlich wichtig.“ Vom Tod von Margot Friedländer habe ich erst am nächsten Morgen erfahren. Ihr Mut und ihre Weisheit, ihre Menschlichkeit und ihre politische Klarheit in ihren Reden haben mich in den letzten Jahren tief beeindruckt und bewegt.

In meinem Konzert Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg erinnerte ich an ihrem Todestag auf Einladung der Stadt Graz im Rahmen der Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Befreiung vom NS an viele Menschen, die mich geprägt haben und die ich kennenlernen durfte: Ich sang die Mauthausen-Kantate von meinem Freund Mikis Theodorakis, erinnerte an meine Kollegin Esther Bejarano, die Auschwitz überlebt hatte und mit der ich zusammen singen durfte. Und ich zitierte, wie mein Freund und Holocaustüberlebende Martin Löwenberg stets zum Widerstand gegen Nazis aufgerufen hat: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.“

Und genau das sollten wir alle in Erinnerung an Menschen wie Margot Friedländer immer wieder laut und deutlich klarstellen und deshalb zusammen handeln gegen Faschismus, rechte Hetze und Krieg.

Konstantin Wecker


Meine erste Begegnung mit Margot Friedländer fand im August 2017 statt. Hans-Jürgen Schatz nahm mich zu einer Lesung ihres Buches Versuche, dein Leben zu machen mit. Schon vom ersten Moment an war ich tief berührt von ihrer Ausstrahlung – voller Warmherzigkeit, Liebe und Lebensweisheit. In den darauffolgenden Jahren durfte ich ihr immer wieder begegnen. Besonders unvergesslich bleibt der 5. November 2021, als Alexander Ruess (Gitarrist) und ich die große Ehre hatten, zu ihrem 100. Geburtstag einen musikalischen Beitrag zu leisten. Auch an diesem besonderen Tag spürte ich ihre Offenheit, Herzlichkeit und eine Liebe, die den Raum erfüllte. Ihr Lächeln, ihr feiner Humor und ihre beeindruckende Lebensenergie haben mich nachhaltig bewegt. Margot berührte Menschen – nicht durch große Gesten, sondern durch ihre stille Stärke und ihre tiefe Menschlichkeit. Jede Begegnung mit ihr war ein Geschenk, das in meinem Herzen weiterklingt.

Atrin Madani


Ich habe Margot Friedländer an ihrem 100. Geburtstag kennenlernen dürfen. Ich erinnere mich noch sehr gut, denn ich war vom ersten Augenblick an von ihrer zarten Stärke, von ihrer Offenheit und ihrer Lebensgeschichte beeindruckt. In den Jahren danach habe ich sie noch oft getroffen und mich mit ihr austauschen können. Was für eine starke, lebensmutige Frau! Anlässlich des 80. Jahrestages des Kriegsendes hat sie, kurz vor ihrem Tod, bei der Gedenkveranstaltung im Roten Rathaus aus ihren Erinnerungen gelesen. Sie wollte unbedingt an diesem Tag dabei sein, sie wollte uns noch einmal aufzeigen, dass wir die Nazi-Tyrannei und den Holocaust niemals vergessen dürfen. Margot Friedländer hat großartige Erinnerungsarbeit geleistet, sie hat uns gezeigt, dass Menschlichkeit über Unmenschlichkeit siegt. Ich werde Margot Friedländer sehr vermissen.

Kai Wegner


Sieben Tage, bevor sie von uns ging, wurde ich in London gefragt, wie es heute um die Vergangenheitsbewältigung der Deutschen stehe. Ich antwortete: Solange Margot Friedländer unter uns ist, sind wir sicher. Als ich dann von ihrem Tod erfuhr, war ich versteinert. Nicht nur, weil sie mir so unglaublich imponiert hatte, diese kleine Frau mit dieser großen Energie. Die all das Böse, das sie erfahren hatte, in ein Übermaß an Liebe umgewandelt hatte, mit der sie uns beschenkte und beschämte. Die all das war, was ich mir als junge Frau als Lebensziel je vorgenommen hatte: eine alte, weise Frau. Ich habe insgeheim jeden ihrer Geburtstage mit ihr gefeiert: Seht, ihr habt sie nicht klein gekriegt, sie hat euch überlebt, sie lebt, euch zum Trotz! Jetzt ist sie doch gegangen. Ausgerechnet jetzt. Mit ihr verliere ich eine der ganz wenigen Frauen, die ich aus vollem Herzen ein Vorbild nennen mag. Und wir alle verlieren einen lebendigen Teil unserer Geschichte, genau den, den wir niemals verlieren dürfen. Mit Margot geht ein Stück unserer Lebensversicherung. Ich denke, sie sieht von irgendwo auf uns und erwartet – zu Recht – dass wir sie nicht enttäuschen. Und das werden wir nicht.

Sandra Maischberger


Margot Friedländer Nachruf

Deine Meinung ?