Mode

Nachhaltigkeit in der Mode

“BUY LESS, CHOOSE WELL, MAKE IT LAST”
Vivienne Westwood

Vivienne Westwood bringt es auf den Punkt. Leider sieht die Realität anders aus. Wir kaufen heute 60 Prozent mehr Kleidung, als wir es noch vor 15 Jahren getan haben, behalten diese jedoch nur halb so lang. Dazu wird, laut Greenpeace, jedes fünfte Kleidungsstück nur einmal oder sogar gar nicht getragen. Hat uns der Besitz von unzähligen Kleidungsstücken erfüllter oder glücklicher gemacht? Eher nicht. Aber Mode soll ja Spaß machen, und zum Glück geht es auch anders.

© Foto: Scott Elliot

Allein in Deutschland werden jährlich 391.752 Tonnen Textilabfall produziert. Laut dem Deutschen Roten Kreuz sind nur zwei bis vier Prozent der gespendeten Altkleider in einem so guten Zustand, dass sie an Secondhandläden in Deutschland oder Westeuropa weiterverkauft werden können. Etwa die Hälfte der Kleidung geht als Secondhandware nach Osteuropa, in den Mittleren Osten, nach Mittelasien und vor allem nach Afrika. Der Anteil, der nicht mehr als Secondhandware weiterverwertet werden kann, wird nach Angaben des Fachverbandes für Textilrecycling zu etwa 40 Prozent als Putzlappen und Sekundärrohstoff (Ersatzbrennstoff) weitergenutzt.

Das Hauptproblem stellt jedoch die große Menge an Altkleidern dar, die stetig wächst und Altkleiderverwerter zunehmend überfordert. Dazu sind während des Corona-Shutdowns viele auf die Idee gekommen, ihren Kleiderschrank auszumisten. Weil die Sortieranlagen und somit auch der Export stillgelegt wurden, war der Absatzmarkt völlig weggebrochen. Deshalb stand die Altkleiderbranche kurz vor dem Kollaps. Daraufhin mussten sogar die Altkleidercontainer in einigen deutschen Städten abgebaut werden. Es ist also höchste Zeit, unseren blinden Überkonsum infrage zu stellen.

Was brauchen wir wirklich? Und für welche Werte wollen wir stehen? Auch die Modeindustrie beginnt umzudenken: Nachhaltigkeit und Style schließen sich schon lange nicht mehr aus. Trotzdem werden die meisten Einkaufsstraßen und Einkaufshäuser noch von typischen Fast-Fashion-Brands wie Zara, H&M und Co. dominiert. Fast-Fashion-Brands produzieren bis zu 24 Kollektionen pro Jahr und imitieren die Modetrends vom Laufsteg in geringerer Qualität und zu einem niedrigeren Preis. Dabei haben sich die Modezyklen in den letzten Jahren extrem beschleunigt und zu einer Wegwerfkultur geführt. Mit Langlebigkeit oder Qualität hat dieses schnelllebige Businessmodell wenig zu tun.

Sustainability first!“ – Der renommierte State of Fashion Report (2020), der einmal im Jahr von The Business of Fashion and McKinsey & Company veröffentlicht wird und die wichtigsten Trends für die Modebranche prophezeit, trifft den Nagel auf den Kopf. Inzwischen haben sowohl Modeunternehmen als auch die meisten Konsumenten erkannt, welchen weitreichenden Schaden die Modebranche unserer Umwelt zufügt. Wegschauen wird zunehmend schwierig. Und wer will sich schon für sein Fünf-Euro-T-Shirt rechtfertigen müssen?

Hier nochmal die wichtigsten Fakten zusammengefasst: Der wirtschaftliche Wert der Modeindustrie beträgt stolze 2.4 Trillionen US-Dollar. Weltweit sind ca. 60 Millionen Menschen in diesem Wirtschaftszweig beschäftigt. Rechnet man die illegal beschäftigten Arbeitskräfte dazu, sind es nach der Ellen MacArthur Foundation schätzungsweise 300 Millionen Menschen, die in der Bekleidungsindustrie arbeiten. In den letzten Jahrzehnten wurde die Branche heftig für ihren enormen Wasser- und Energieverbrauch kritisiert wie auch für den Einsatz schädlicher Chemikalien in den verschiedenen Phasen der Wertschöpfungskette. Laut der UN Alliance of Sustainable Fashion ist die Modebranche für acht bis zehn Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen und für 20 Prozent der Wasserverschmutzung durch Industrieabwässer verantwortlich.

Ein weiteres Problem ist Mikroplastik. Durch die Textilproduktion und das zu häufige Waschen von synthetischen Stoffen wie Polyester, Nylon oder Elastan gelangt schädliches Mikroplastik in die Weltmeere. Die Mikroplastikpartikel werden von Fischen und anderen Meereslebewesen aufgenommen, die die winzigen Partikel nicht von ihrer eigentlichen Nahrung unterscheiden können. Belastete Fischarten und Meeresfrüchte landen wiederrum auf unseren Tellern und dann in unseren Mägen. Wissenschaftliche Studien haben bereits Mikroplastik in unseren Körpern nachweisen können. Durch unseren Konsum schaden wir also letztendlich uns selbst.

Hinzu kommt der soziale Aspekt: Laut dem Global Slavery Index ist die Bekleidungsindustrie der zweitgrößte Sektor, der moderne Sklaverei betreibt, darunter sind auch viele Kinder. Die meisten in den unteren Stufen der Produktionsketten sind jedoch junge Frauen ohne Ausbildung, Rechtsschutz oder Perspektive. Zudem trägt die Modebranche in vielen Formen zur Geschlechterungleichheit bei. Eine von drei weiblichen Fabrikarbeiterinnen wurde bereits Opfer sexueller Belästigung. Unwürdige Arbeitsbedingungen, Ausbeutung und Unsicherheit stehen für Millionen Menschen an der Tagesordnung.

Was hat Qualität mit Nachhaltigkeit zu tun? Wer kennt es nicht: Wir sind zu einem Event eingeladen, aber es scheint nichts Passendes im Kleiderschrank zu hängen. Häufig laufen wir in so einem Fall doch schnell noch mal los, um ein neues Teil bei einer der bekannten Modeketten zu kaufen. Ist ja nichts dabei, oder? Leider doch. Aber keine Sorge, dies soll keine Aufforderung werden, sich nie wieder ein schönes neues Top zu kaufen. Es geht eben auch smarter, und es lohnt sich, in Qualität zu investieren. Doch wie hängen Qualität und Nachhaltigkeit zusammen? Der Wert eines Produktes geht über dessen Design, Fertigung und Materialität hinaus. Jedes Kleidungsstück hat seine ganz eigene Geschichte. Welche Reise hat es hinter sich gebracht, um in unseren Händen zu landen? Wer hat die erste Naht gesetzt, wer die letzte? Was hat den Designer dazu inspiriert, dieses Kleidungsstück zu designen? Was soll es ausdrücken? Wie fühlt sich der Stoff auf der Haut an?

Um ein Produkt von hoher Qualität zu entwickeln, braucht es Zeit. Denn es soll nicht nur der Trägerin oder dem Träger ein gutes Gefühl verleihen, sondern jeden respektieren, der an der Herstellung beteiligt war. Gute Qualität umfasst das Design, die Stoffqualität und die Verarbeitung, einen würdigen Umgang mit den Menschen in der Wertschöpfungskette, genauso wie eine gesunde Nutzung der Ressourcen. Deshalb kann ein hochwertiges Kleidungsstück nicht von Kinderhand gefertigt worden sein oder schädliche Chemikalien enthalten.

Dieses Gefühl, ein neues Kleidungsstück zum ersten Mal zu tragen, als würdest du der Welt eine neue Seite von dir präsentieren. Ein Teil, das zum Lieblingsteil wird, weil du dich darin auf gewisse Weise vollkommen fühlst. Aber was macht manche Kleidungsstücke zu Lieblingskleidungsstücken? Meistens steckt eine emotionale Bindung dahinter. Etwa weil du etwas Besonderes mit dem Pullover verbindest, den du auf diesem außergewöhnlich guten Festival getragen hast, oder der geerbte Trenchcoat aus der Familie, der auch auf alten Bildern zu sehen ist. Oder ein Kleid, in das du dich in einem Atelier verliebt hast und das dich an das nette Gespräch mit der Designerin erinnert. Wie selbstverständlich bringen wir unseren Lieblingsteilen die meiste Wertschätzung entgegen, pflegen sie gut und lassen sie reparieren, wenn sie kaputtgehen. Weil wir sie so lange wie möglich tragen wollen. Auch das ist ein nachhaltigerer Umgang mit Mode. Warum nicht weniger, aber dafür hochwertigere Lieblingsteile besitzen und deren Geschichten mit Stolz und am besten noch einem guten Gewissen tragen?

© Foto: Kerstin Jacobsen

Wo aber fängst du als Konsumentin oder Konsument an, wenn du dich bewusster und nachhaltiger kleiden willst, aber die nachhaltige Modeszene noch Neuland ist? Inzwischen gibt es einige Apps, die helfen, eine nachhaltigere Auswahl zu treffen, wie zum Beispiel die App „Good On You“. Du gibst einfach die Marke ein, und die App zeigt ein Rating der Nachhaltigkeitsperformance in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Umwelt und Tierversuche wie auch eine kurze Gesamtbewertung. Das Londoner Start-up „Compare Ethics“ prüft ebenfalls Brands auf ihre Nachhaltigkeitsperformance. Auf seiner Onlineplattform bringt das Start-up nachhaltige Labels und umweltbewusste Kunden zusammen.

Mehr Transparenz schafft auch der „Avocadostore“, Deutschlands größter, nachhaltiger Onlinemarktplatz, der eine umfangreiche Auswahl an umweltfreundlicheren Produkten bietet. Alternativ kannst du die kleinen, unabhängigen Modelabels, hinter deren Kollektionen Geschichten und Persönlichkeiten stehen, auf einem Stadtspaziergang entdecken. Denn Mode ist auch noch etwas anderes: In der Mode zeigt sich unsere Kultur, insbesondere über die vielen individuellen Kreativen, die ihre Ideen in den (Laden-)Ateliers entwickeln und verkaufen. Noch immer gilt Berlin als die Modehauptstadt Deutschlands, die kreatives Talent aus aller Welt anzieht. Vor allem die nachhaltige Modeszene, die sich in den letzten Jahren rasant entwickelt hat, ist in Berlin zu Hause. Wenn Talent auf die verschiedensten Einflüsse und eine freiheitsliebende Denkweise stößt, entsteht Vielfalt. So auch in der Mode. ■


Die Autorin Magdalena Schaffrin steht mit ihrer Arbeit, Mode und Nachhaltigkeit zu verbinden, seit mehr als zehn Jahren im Zentrum einer sich rasant entwickelnden Szene. Für ihr Engagement wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet und gilt als Pionierin der nachhaltigen Mode in Deutschland. Sie ist Mitgründerin und CEO der strategischen Beratungsagentur Kaleidoscope Berlin, Co-Autorin des Buches „Fashion Made Fair“ und Kreativdirektorin der Neonyt, dem weltweit führenden Hub für Mode, Nachhaltigkeit und Innovation. Zudem arbeitete Magdalena als Beraterin für Formate der United Nations und wird regelmäßig als Speakerin engagiert.

 

Info
Wer in Berlins nachhaltiger Modeszene nach neuen Lieblingsteilen Ausschau hält, findet ein breites und stilistisch sehr unterschiedliches Angebot – von künstlerischen Ansätzen über Upcycling und Recyclingmode bis zu Streetwear und Eleganz. Aber auch für den Alltag gibt es bürotaugliche Kollektionen, funktionale Casualwear oder futuristische Activewear.
Übrigens können nicht nur Frauen Neues entdecken, auch auf Männer warten viele Entdeckungen, darunter sogar ein Designerwear-Verleihservice. Vielleicht ist gerade jetzt der perfekte Zeitpunkt für einen Neuanfang? Mit mehr Zeit für den Genuss von Qualität!

 

Fakten

  • Der wirtschaftliche Wert der Modeindustrie beträgt stolze 2.4 Trillionen US-Dollar.
  • Weltweit sind ca. 60 Millionen Menschen in diesem Wirtschaftszweig beschäftigt. Rechnet man die illegal beschäftigten Arbeitskräfte dazu, sind es schätzungsweise 300 Millionen Menschen.
  • Enormer Wasser- und Energieverbrauch: die Modebranche ist für ca. 20 Prozent der Wasserverschmutzung und 8 bis 10 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich.
  • Unwürdige Arbeitsbedingungen und Ausbeutung sind für Millionen Menschen an der Tagesordnung.
  • Kinderarbeit ist weit verbreitet.

 

Du willst es besser machen?

  • App „Good On You“ – Rating der Nachhaltigkeits-performance von Modemarken.
  • Onlineplattform „Compare Ethics“ – prüft Brands auf ihre Nachhaltigkeitsperformance.
  • Onlinemarktplatz „Avocadostore“ – umfangreiche Auswahl an umweltfreundlicheren Produkten.
  • … oder einfach bei kleinen, unabhängigen Modelabels einkaufen!