… Es gibt nur Leute, die einen Tag zu früh aufhören.
Text: Silke Schuster
Dieter Hallervorden über Theater, Politik und seine Lebenseinstellung
Schauspieler, Kabarettist, Sänger, Synchronsprecher, Moderator und Theaterleiter Dieter Hallervorden steckt auch im Alter von 89 Jahren noch mittendrin: Er leitet drei Theater, sucht permanent nach geeigneten Stücken, hält sein Team zusammen und steht selbst auf der Bühne. Wir sprachen mit dem vielfältig aufgestellten Mann über seine Rollen, über Politik und Meinungsfreiheit.
Während die meisten Menschen in seinem Alter längst im Ruhestand sind, sprüht Dieter Hallervorden vor Energie und ist umtriebig wie eh und je. Seine Position ist klar: „Ich bevorzuge den Unruhestand“. Bekannt wurde er in den 70ern und 80ern durch die Figur Didi und die Slapstick-Reihe Nonstop Nonsens. Eine ganze Weile bediente er den Ruf des Komikers, doch darauf ist er nicht zu reduzieren. Bevor man ihn endgültig mit Didi hätte verwechseln können und in die Schiene des ewigen Spaßvogels schieben konnte, zeigte er mehr von seinen Fähigkeiten. Es folgten Rollen mit Tiefgang wie die des Olympiasiegers im Marathonlauf im Filmdrama Sein letztes Rennen oder die des an Alzheimer erkrankten Amandus in der Tragikomödie Honig im Kopf. „Ich wollte nicht ausgequetscht werden wie eine Zitrone und dann in der Mülltonne landen“, so seine Begründung, die Figuren zu wechseln, „man muss den Redakteuren rechtzeitig vermitteln, was man als Nächstes machen könnte.“ Die Rolle des Marathon-Olympiasiegers Paul Averhoff bekam Dieter Hallervorden im Alter von 73 Jahren: „Ich wollte mein Wort halten. Also habe ich acht Monate lang meine ganze Ernährung umgestellt, jeden Tag Sport getrieben, bin dreimal pro Woche ins Sportstudio gegangen und habe so trainiert, dass ich das tatsächlich durchziehen konnte.“ Diese Disziplin wurde auch von der Sehnsucht nach neuen Herausforderungen gefüttert. Der Schauspieler ist sich im Übrigen sicher: „Es ist viel schwieriger, Leute zum Lachen zu bringen, als an ihr Gefühl zu appellieren. Das verlangt viel weniger Schauspielkunst. Aber man muss es eben so ehrlich spielen, dass es die Leute erreicht und nicht kitschig wird.“
Ich wollte nicht ausgequetscht werden wie eine Zitrone
und dann in der Mülltonne landen
Dreifacher Theaterleiter
Es wäre für Dieter Hallervorden undenkbar, „nur“ noch seinen Hobbys wie Lesen oder Reisen nachzugehen. Er möchte weiterhin seiner Leidenschaft frönen: auf der Bühne spielen und Menschen unterhalten. Drei Theater nennt er sein Eigen: Die Kabarett-Bühne Die Wühlmäuse gründete er 1960 gemeinsam mit einem Kollegen. Mit Stolz verkündet er: „Es existiert jetzt im 64. Jahr ohne Subvention.“ Im Schlosspark Theater geht der Intendant in die 16. Spielzeit. Damit das Theater überhaupt bespielbar wurde, investierte er 1,7 Millionen Euro aus eigener Tasche. Vor mehr als zwei Jahren gründete er das Mitteldeutsche Theater in einer entweihten Kirche seiner Geburtsstadt Dessau. „Sie sehen also“, amüsiert sich der dreifache Theaterleiter, „ich könnte Theater sammeln wie andere Leute Briefmarken. Ich mache auch gern Fernsehen und Film. Aber die eigentliche Herausforderung und das, was mir richtig Spaß macht, ist Theater.“ Im Theater ist die Resonanz des Publikums unmittelbar zu spüren: „Man muss die Spannung bis zur 34. Reihe halten können.“ Mehrmalige Wiederholungen einer Szene bis die Regie zufrieden ist, wie es bei Fernsehdrehs üblich ist, gibt es bei Bühnenaufführungen nicht. „Es ist eine Verabredung mit dem Publikum. Ich muss pünktlich sein, ich muss in Form sein und ich muss die Leute in meinen Bann ziehen“, fasst der Schauspieler das Besondere zusammen. Die Zuschauenden bei der Stange zu halten und sie dazu zu bekommen, an den entscheidenden Stellen zu reagieren – darin liegt die eigentliche Kunst des Theaterschauspiels verborgen.
Als Chef sieht sich Dieter Hallervorden trotz der Intendanzen nicht, seine Position versteht er vielmehr als die eines Motivators und Vermittlers: „Ich bin dafür da, dass die Leute sich untereinander gut verstehen. Ich kann nur so gut sein wie die anderen Mitspieler und die Leute, die hinter der Bühne sind. Ich bin darauf angewiesen, dass die Leute zum Beispiel das Licht perfekt fahren. Also werde ich doch alles dafür tun, dass das alles in einem harmonischen Umfeld passiert. Natürlich kann ich auch mal Kritik üben, aber möglichst in einer respektvollen Form.“ Ein Mann halber Sachen ist er nicht; als Perfektionist erwartet er auch von seinen Teams vollen Einsatz: „Ich sorge schon dafür, dass alles ordentlich passiert, denn ich finde, die Zuschauer haben einen Anspruch auf 100 Prozent. So viel müssen alle geben, darauf achte ich. Das wissen auch alle, und sie ziehen gut mit.“
Den Anspruch an Perfektion legt er genauso an sich selbst. Einen Auftritt halbherzig auf der Bühne abzuspulen, kommt für ihn nicht infrage. „Wenn ich die Leute unterhalten will und weiß, ich muss sowieso zwei Stunden auf die Bühne, dann ist es doch besser, ich mache das mit Lust und Laune und in dem Gefühl, dass ich alles gegeben habe, um Fehler zu vermeiden. Und dann macht es auch Spaß“, erklärt er sein Verständnis davon, mit ganzem Herzen bei der Sache zu sein. Bevor er als Schauspieler die Bühne betritt, nimmt er sich Zeit für sein Ritual: ein bisschen ausruhen, eiskalt duschen und sich vom Foto seines jüngsten Sohnes und seiner Frau daran erinnern lassen, dass es im Leben immer noch Wichtigeres gibt als einen Versprecher.
Auf der Suche nach neuen Stücken
Der „Theatersammler“ ist permanent auf der Suche nach einem guten Stück, das für seine Bühnen taugt. Wöchentlich liest er dafür rund fünf Skripte. „Die meisten taugen nicht“, gibt er zu. Einige Verlage verschicken ihre Kataloge mit den Neuerscheinungen, da lohnt sich meist schon ein Blick in die Kurzbeschreibungen, um die Stücke einordnen zu können. „Oft scheitert es schon daran, dass ein Stück mindestens 16 Personen braucht. Das schafft ein kleines Theater nicht. Nicht nur räumlich, sondern auch finanziell ist das bei 470 Plätzen nicht möglich.“
Mindestens einmal im Jahr fährt Dieter Hallervorden nach Frankreich, um sich dort umzusehen, gerade im Bereich der Boulevardkomödien. Der studierte Romanist liest oder hört die Stücke auf Französisch, um sich eine Meinung zu bilden. „Ich muss beim Zuhören verstehen, um was es geht. Und die Franzosen reden schon sehr schnell. Sie spielen auch nicht etwa mit einer Pause, sie spielen 90 Minuten durch“, berichtet er von seinen Theatererfahrungen in Frankreich.
Das nächste Stück im Schlosspark Theater heißt Stasi, Stress und Stolperfallen. Dieter Hallervorden entdeckte es ebenfalls in Frankreich, wo es den nationalen Theaterpreis Frankreichs, den Molière, als beste Komödie 2022 gewann. Der Intendant übersetzte es, und nun steht die deutsche Erstaufführung bevor. „Ich freue mich mächtig darauf, weil es ein Stück ist, das in Berlin spielt, kurz vor dem Fall der Mauer. Ich will nicht zu viel vom Inhalt verraten, aber es ist gerade für jene, die Berlin als geteilte Stadt erlebt haben, ein gefundenes Fressen.“ Das Stück spielt in einer Wohnung sowie im Büro einer Stasizentrale und geht als Mischung aus Komödie, Krimi und Politsatire durch.
Ich liebe politisches Theater …
nicht zeigefingerhaft, aber so,
dass man seine eigenen Schlüsse
ziehen kann.
Als Produzent des neuen Stückes hat Dieter Hallervorden auf eine hochkarätige Besetzung geachtet. „Wir geben uns immer große Mühe. Die Leute erwarten tatsächlich auch, dass Namen mitspielen, was ich manchmal ein bisschen schade finde. Es gibt nämlich sehr viele Schauspieler, die zu Unrecht bundesweit unbekannt sind und die es verdient hätten, dass wir auch ihretwegen kommen. Doch wir brauchen meistens ein Zugpferd.“ Bei der Krimikomödie Achtsam Morden funktionierte das so gut, dass am Tag der Premiere bereits alle 40 Vorstellungen ausverkauft waren. Deshalb wird es im Januar 2025 weitere Termine geben. Die Freude ist groß: „Das habe ich in 15 Jahren Schlosspark Theater nicht erlebt.“ Die Schauspielerinnen und Schauspieler, die es schaffen groß rauszukommen, machen sich eher über Film und Fernsehen einen Namen als über die Theaterbühne. „Wer es bis 25 oder 28 nicht geschafft hat Fuß zu fassen, der wird mit seinem Namen nicht mehr zum Zugpferd“, ist Dieter Hallervordens Erfahrung in der Branche. Und wer zu lange weg vom Fenster ist, der wird in der Regel auch nicht mehr angefragt.
Meinungsfreiheit und Demokratie
Sich selbst beschreibt er als politischen Menschen, was sich auch am Spielplan bemerkbar macht. So standen beispielsweise Der König stirbt und Biedermann und die Brandstifter auf dem Programm. Als Nächstes ist die Märchenkomödie Der Drache von Jewgeni Schwarz an der Reihe, in der Diktatur ein Thema ist. „Ich liebe politisches Theater“, holt er aus, „nicht zeigefingerhaft, aber so, dass man seine eigenen Schlüsse ziehen kann und sich überlegt: Wenn ich in der Situation gewesen wäre, wie hätte ich mich wohl verhalten? Mir macht das mehr Spaß als reines Boulevardtheater.“ Unter der Regie von Philip Tiedemann spielt Dieter Hallervorden in dem hoch besetzten Stück den Bürgermeister unter dem regierenden Drachen.
Zu seinem Verständnis eines politischen Mannes gehört für ihn, seine Meinung zu äußern – auch wenn das nicht jedem gefallen mag. Zuletzt sorgte Dieter Hallervorden mit seinem in den sozialen Medien geposteten Gedicht Gaza Gaza für Empörung auf der einen Seite, für Zustimmung auf der anderen Seite. Der Veröffentlichung ging ein Brief an den Bundeskanzler und die Parlamentsabgeordneten voran: „Der Brief begann damit, dass jeder vernünftige Mensch – und ich eben auch – sich darauf freut, dass Israel in 24 Jahren mit Glanz und Gloria sein 100-jähriges Bestehen feiern kann. Damit sollte klar sein, dass ich kein Antisemit bin. Aber ich bin der Meinung, dass man trotzdem oder gerade Freunden gegenüber verpflichtet ist auszusprechen, wenn man sieht: Ich glaube, da passiert ein Fehler. Als Freund ist man verpflichtet, das nicht stillschweigend hinzunehmen, sondern Kritik zu üben“, so die Meinung des Schauspielers. „Meine Forderung in dem Gedicht war: sofortiges Schweigen der Waffen, Freilassung der Geiseln und miteinander reden. Wir hatten acht Millionen Klicks, und das Gedicht wurde in acht Sprachen übersetzt, auch in Hebräisch und Arabisch. Ich habe sehr viel Zustimmung aus der Bevölkerung bekommen, aber sehr viel Haue von der Presse. Trotzdem meine ich, dass es doch keinen Zweck hat, Israel kollektiv – einfach egal, was sie machen – zu unterstützen. Man muss auch eine kritische Haltung haben dürfen, nicht gegenüber Israel, sondern gegenüber der Regierung, denn Netanjahu macht eine antiisraelische Politik. Es bringt doch nichts, sich gegenseitig zu töten. Auf Dauer müssen sie versuchen, tatsächlich eine Zweistaatenlösung hinzukriegen.“
Meine Forderung in dem Gedicht war:
sofortiges Schweigen der Waffen,
Freilassung der Geiseln
und miteinander reden.
Ein Mensch, der seine verfassungsrechtlich gesicherte Meinungsfreiheit in Anspruch nimmt, muss im Zweifelsfall damit zurechtkommen, zerrissen zu werden, zumal als Person des öffentlichen Lebens. „Das verankerte Recht auf Meinungsfreiheit nicht zu benutzen, tötet die Demokratie. Erich Kästner sagte mal: ‚Die bequemste öffentliche Meinung ist noch immer die öffentliche Meinungslosigkeit.‘ So sehe ich das auch.“ Dieter Hallervorden hatte einen Großvater, der ihm ein Vorbild in Sachen Mut war: „Mein Großvater war Gartenarchitekt. Er hat damals die Synagoge Wörlitz vor der Brandschatzung bewahrt. Sie steht heute noch so da, wie sie damals war, dank meines Großvaters. Sein Mut hätte ihn das Leben kosten können. Ich finde, man kann stolz sein, solche Vorfahren zu haben.“
Als politischer Mensch hört Dieter Hallervorden nicht auf, für die Demokratie und den Frieden einzustehen. Anlässlich des Weltfriedenstages am 21. September plant er in den Wühlmäusen eine große Gala mit vielen prominenten Menschen, darunter Antje Rietz, Gayle Tufts, Axel Prahl und Wladimir Kaminer. „Es ist ein Herzensanliegen von mir, unsere Friedenssehnsucht in die Welt zu tragen. Ich habe auf meine Kosten ein Kamerateam mit vier Kameras bestellt, die alles aufzeichnen, sodass wir Aufnahmen unentgeltlich an die Fernsehanstalten, an die Rundfunkanstalten, an die Presse geben können, damit es wirklich Wellen schlägt. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Welt aus den Fugen zu geraten scheint, wo man nur noch auf Berufspöbler, Miesmacher und Hassprediger zu treffen scheint. Ich denke, die Welt hat Fieber. Oder zumindest ist der Kompass verloren gegangen. Ich möchte ein Zeichen setzen.“
Persönlichkeitsmerkmal: Optimist und Individualist
Dieter Hallervorden sagt von sich, ein geborener Optimist zu sein. „Optimisten wandeln ja auf Wolken, unter denen Pessimisten Trübsal blasen. Ich finde, wenn man eine Hoffnung aufgibt, hat man auch gleichzeitig die Zukunft beerdigt.“ Passend zu diesem Motto fand er ein Foto von Franz Baake, das er das Prinzip Hoffnung nennt und das ihn begleitet. „Es gibt nämlich
keine Verlierer. Es gibt nur Leute, die einen Tag zu früh aufhören.“
Als Individualist hat sich Dieter Hallervorden noch nie um die Meinung der anderen geschert, sondern immer gemacht, was er für richtig hält. „Das Leben hat mich mit dem Mut beschert, ich selbst sein zu dürfen“, erzählt er, „ich versuche nicht, mich so zu verhalten, dass ich allen gefalle, sondern ich mache es so, wie ich es für richtig halte, in der Hoffnung, dass sich andere meiner Meinung anschließen. Und das gibt unheimlich viel Kraft.“ Seine jüngere Frau verleiht ihm zusätzlich Schwung und Lebensfreude, sie beflügelt seinen Optimismus und trifft den richtigen Ton: „Sie findet einfach die richtigen Formulierungen. Gerade in einer Zeit, in der ich mal depressive Gedanken hatte, hat sie mir unglaublich geholfen, wieder an die Oberfläche zu schwimmen. Ihre Ratschläge nehme ich gern an. Die fallen bei mir auf fruchtbaren Boden, weil ich auch im hohen Alter noch dazulernen kann. Ich stehe sowieso oft neben mir und bestaune, dass ich in meinem Alter lebendig und noch lebensfreudig bin. Man sagt ja immer, es gäbe ein zweites Leben nach dem Tode, aber solange das nicht bewiesen ist, nehme ich dieses erst mal voll mit.“
21.09.2024, 12–13:30 Uhr
Gala zum Weltfriedenstag
freier Eintritt, freie Platzwahl, Tickets nur über die Theaterkasse erhältlich (limitiert auf 2 Tickets p. P.)
Infobox
Schlosspark Theater
Schloßstraße 48
12165 Berlin
Die Wühlmäuse
Pommernallee 2–4
14052 Berlin