Thomas Kornmann & Kristin Giertler
„Kurz und knapp“ ist eine Interview-Serie des Berliner Fotografen Jens Wazel.
Kurz und knapp … wer seid ihr?
Kristin: Wir spielen Theater. Ich schreibe auch die Stücke und organisiere den Spielplan.
Thomas: Ich bin Schauspieler und versuche, meine Lust am Theaterspielen auf die Leute zu übertragen.
Was für Theater?
Thomas: Wir spielen Märchen der Gebrüder Grimm, die in der Bearbeitung von Kristin modernisiert sind. Und wir haben Abendstücke im Programm, zum Beispiel biografische Inszenierungen über Hannah Arendt und das Künstlerpaar Feininger, einen Karl Valentin-Abend und zwei Stücke von Tschechow.
Kristin: Bei den Märchen bedienen wir uns verschiedener Elemente des Puppenspiels, und wir können transportieren, was uns wirklich wichtig ist: Wünsche und Ängste, alles, was über die Jahrhunderte gesammelt worden ist. Wir erreichen damit auch ein bildungsferneres Publikum, ob jung oder alt.
Wie fing das an?
Kristin: Mein Vater hat immer Geschichten erzählt und uns Kindern Theateraufführungen mit Kasperpuppen vorgeführt, und meine Tante war Schauspielerin. Ich habe in Erfurt in einem renommierten Jugendtheater gespielt und dann in Leipzig studiert. Mein erstes Engagement war an den Freien Kammerspielen in Magdeburg, dann bin ich nach Berlin gegangen.
Im Osten konnte man einen künstlerischen Beruf nur ausüben, wenn man Abitur hatte oder einen Ausbildungsberuf. Zum Abi durfte ich nicht, und so habe ich Physiotherapeutin gelernt, um dann studieren zu dürfen. Als ich später meine Kinder bekam, habe ich noch eine psychotherapeutische Weiterbildung angeschlossen und dann 20 Jahre lang in einem sozialpädiatrischen Zentrum gearbeitet, parallel aber auch immer als freiberufliche Schauspielerin.
Thomas: Ich komme aus einem Arbeiterhaushalt in Karlsruhe, bei uns gab es nicht mal einen Plattenspieler und nur wenige Bücher. Auf dem Gymnasium war ich in einer Theater-AG, habe in Marburg und Berlin Studententheater gemacht und an einer privaten Schauspielschule studiert. Dann hatte ich Engagements in Göttingen und Hannover, bevor ich in Berlin zum Hexenkessel Hoftheater gekommen bin, wo Kristin und ich uns kennengelernt haben.
Und dann?
Kristin: Wir waren zusammen in der ersten Hexenkessel-Inszenierung im Monbijoupark – Der Widerspenstigen Zähmung –, ein tolles Stück, das Shakespeare anders aufgegriffen und sehr heutig gemacht hat.
Thomas: Ja, eine sehr schöne Inszenierung mit einem enormen Tempo, viel Humor, Elementen aus der Commedia dell‘arte und Pantomime. Später haben wir uns beide in einer Improvisations-Theatergruppe engagiert, der Turbine William. Als freier Schauspieler hatte ich vier, fünf verschiedene Standbeine: Film, Werbung, Krimidinner, Sommertheater am Niederrhein – da war gefühlt alles dabei.
Kristin: Ich habe dann auch angefangen zu schreiben, um Geschichten auf die Bühne zu bringen, die mir wichtig waren. Meine erste Märchenadaption Sterntaler habe ich in der Märchenhütte inszeniert. Für Titanias Rache, eine Weiterführung vom Sommernachtstraum, habe ich dann alles in die eigene Hand genommen, einen Spielort gesucht, Fördermittel beantragt und bekommen. Das war unsere erste unabhängige gemeinsame Produktion.
Thomas: Es war ein sehr schräges Stück, und der Spielort war eine Wiese hinter dem zerfallenen Kulturhaus Peter Edel in Weißensee. So ist auch unser Name entstanden: Parktheater Edelbruch. Später kam dann die Idee, den Bären von Tschechow mit einer befreundeten Regisseurin zu inszenieren. Kristins Wohnung wurde für die Proben umfunktioniert und anschließend sogar Aufführungsort.
Theater in der Wohnung?
Kristin: Ja, das haben wir ein paar Jahre lang gemacht, erst aus der Not heraus, da wir keinen Proberaum fanden, dann aus Überzeugung. Es hatte etwas sehr Unmittelbares, Intimes, und die Zuschauer waren oft verblüfft, dass sie in einem Wohnzimmer im Altbau ein ganz besonderes Theatererlebnis haben konnten. Man bekommt keine Mogelpackung, alles ist hausgemacht, und man kann hinterher ins Gespräch kommen.
Thomas: Durch das Improvisationstheater waren wir schon gewohnt, die vierte Wand aufzulösen, weil man die Impulse des Publikums braucht und daher mit den Leuten in Kontakt tritt, sie direkt anspricht.
Wo spielt ihr sonst noch?
Kristin: Wir spielen mittlerweile viel in Gastspielhäusern, ob in Sachsen-Anhalt, Thüringen oder in Mecklenburg. Im Sommer sind wir vor allem an der Ostseeküste auch Open Air unterwegs, und ansonsten auch viel in und um Berlin. Wir werden zu Fachtagungen eingeladen, spielen in Schlössern, Museen und Bibliotheken und kommen so an ungewöhnlich schöne und inspirierende Orte.
Unsere Bühnenbildnerin Gesine Finder hat sehr wesentlich unsere Handschrift mitgeprägt, alles ist handgemacht, um all diese verschiedenen Spielsituationen zu ermöglichen, vom Straßentheater bis zur großen Bühne. Gesine macht auch die Requisiten, Puppen und Kostüme, und wenn nötig komponiert sie uns auch noch eine Bühnenmusik.
Wie entstehen die Märchen?
Kristin: Märchen sind tief in mir verankert, weil ich sie schon von Kindheit an kenne und auch in der Therapie viel damit gearbeitet habe. Ich schaue immer, was gerade in unserer Zeit los ist, und übersetze die alten Geschichten ins Heutige.
Thomas: Du setzt ein bestimmtes Schlaglicht, nimmst eine bestimmte Perspektive ein, von der aus du das Märchen interpretierst. Bei Rotkäppchen ist es zum Beispiel ein pubertierendes Mädchen, das von ihrer Mutter auf den rechten Weg geführt werden soll. Die Mutter spielt dann auch den Wolf, als erzieherische Maßnahme.
Kristin: Wir drehen auch die Geschlechter um, und Thomas spielt ganz selbstverständlich das Rotkäppchen. Bei Hans im Glück bin ich Hans und Thomas meine Mutter. Das ist lustig, aber auch anrührend. Wir arbeiten damit auch an unseren eigenen Familienthemen, am Verhältnis zu unseren Eltern oder Geschwistern.
Bei Frau Holle gibt es einen Konflikt zwischen den Stiefschwestern: Wer mag wen, und wer wird geliebt in diesem Familiensystem. Im Originalmärchen bleibt Marie am Ende da, in unserer Version geht sie weg, weil es für sie keinen Platz gibt, nimmt das Hähnchen mit, und sie machen eine Band auf: die Bremer Stadtmusikanten.
Das ist oft sehr lustig …
Thomas: Humor hilft, das Ganze aufzulockern und die Inhalte auf unterhaltsame Weise zu transportieren.
Kristin: Jede Tragödie braucht einen Anteil an komödiantischen Elementen. Und jede Komödie muss auch eine Tragik beinhalten. Das ist wie im Leben, wenn man sich gerade sehr geärgert hat. Aber man muss auch die Komik darin erkennen und über sich selbst lachen können. Wir sind bereit, unsere Figuren scheitern zu lassen und zu zeigen, dass es Vergebung dafür geben kann, wenn man nicht perfekt ist, gerade in unserer Leistungsgesellschaft. Hans kommt zurück nach Hause, hat nichts mehr, aber die Mutter sagt „jetzt bist du reich“ – reich an Erfahrung, was für ein Glück!
Sind die Stücke für Kinder oder Erwachsene?
Kristin: Theater ist ein gemeinsames Erleben. Als Kind muss ich nicht jedes Stück verstehen. Aber in dem Moment, wo die Eltern sich amüsieren und Kinder vielleicht nicht wissen, warum die Erwachsenen lachen, sind sie gerade interessiert daran, was auf der Bühne geschieht.
Es passiert auch oft, dass die Erwachsenen am Nachmittag bei einem Märchen waren und dann zu einem unserer Abendstücke wiederkommen. Das sind Stücke über historische Persönlichkeiten, die wir wieder zum Leben erwecken. An denen sitze ich sehr lange und recherchiere viel, um deren Geschichte gerecht zu werden.
Was treibt euch an?
Thomas: Es macht einfach großen Spaß. Die Stücke haben einen Witz, der einen selbst ansteckt, und das hält es für mich lebendig. Mit dem Publikum zu spielen, gibt uns viel zurück und ist eine schöne Kraft.
Kristin: Wir sind reich beschenkt worden mit vielen Glücksmomenten, und ich bin sehr dankbar, dass wir selbstbestimmt ausdrücken können, was uns am Herzen liegt.
Vielen Dank!
Parktheater Edelbruch
Das Parktheater Edelbruch ist eine unabhängige Berliner Theatergruppe, die 2008 von Kristin Giertler gegründet wurde. Zusammen mit dem Schauspieler Thomas Kornmann und der Bühnenbildnerin Gesine Finder folgt sie ihrer Leidenschaft, Klassiker auf humorvolle Weise gegen den Strich zu bürsten.
Jens Wazel
ist Fotograf und Videofilmer. Im Osten aufgewachsen, wohnt er nach 25 Jahren in den USA wieder in Berlin.