Bettina Jarasch, Bürgermeisterin und Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz strebt eine radikale Verwaltungsreform für eine funktionierende Stadt an, sprach mit uns über den wegen der anstehenden Neuwahlen wiederbelebten Wahlkampf und seine Chance sowie über ihre Vorhaben für Berlin und den Klimaschutz, in dem das Ökologische und das Soziale nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Im Gespräch mit Grünen-Politikerin Bettina Jarasch

Mein/4: Berlin ist seit drei Jahren im Krisenmodus. Erst Corona, dann der Ukrainekrieg, Geflüchtete, Energiekrise und und und. Wir reden über einen Koalitionsvertrag, der ja unter anderen Bedingungen geschlossen wurde. Auf mich als Außenstehenden wirkten die Koalitionsgespräche recht harmonisch. Jetzt, nicht mal ein Jahr später, findet wieder Wahlkampf statt?

Bettina Jarasch: Durch das Wahldesaster und die Ankündigung einer Wiederholungswahl am 12. Februar ist bei vielen Menschen das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Staates verloren gegangen. Gleichzeitig erwarten die Berlinerinnen und Berliner, dass wir als Landesregierung gemeinsam gut durch den Krisenwinter kommen. Das müssen wir als Senat trotz Wahlkampfs hinkriegen. Wahlkampf muss deshalb nicht schmutzig sein und kann sogar Alternativen aufzeigen. Dafür trete ich an. Ich möchte den Leuten trotz des Krisenwinters Lust machen, wählen zu gehen. Weil Veränderung möglich ist. Und weil wir die Chance haben, beispielsweise in der Energiepolitik, besser aus der Krise rauszukommen, als wir in die Krise reingegangen sind.

Mein/4: In Coronazeiten habe ich die Politik gerade in Berlin als schnell erlebt. Im Moment habe ich den Eindruck, dass die Politik selbst keinen Plan hat und keine Sicherheit geben kann. Ich erlebe so eine Hilflosigkeit.

Bettina Jarasch: Das sehe ich anders. Wie bereits in der Pandemie haben wir uns auch jetzt im Senat zusammengesetzt und gegen die gestiegenen Energiekosten und die Inflation ein großes Entlastungspaket auf den Weg gebracht. Die erste dieser Entlastungen ist das 29-Euro-Ticket, das ich als Mobilitätssenatorin eingeführt habe. Trotzdem sind wir in einer anderen Situation als in der Coronakrise. Die meisten von uns sind aufgewachsen und auch politisch groß geworden in dem Vertrauen auf Frieden. Dieses Vertrauen ist erschüttert, und das macht etwas mit uns allen. Zudem ist unsere Gesellschaft noch erschöpft von den Krisen vorher, und durch die Inflation kommen jetzt existentielle Sorgen dazu.

Und die Herausforderungen sind groß: Wir nehmen solidarisch Geflüchtete aus der Ukraine auf und müssen gleichzeitig die Energiekrise bewältigen. Was mich ärgert: Wir wären nicht in dieser Energiekrise, wären wir nicht so abhängig von Putin, wenn SPD und CDU nicht jahrelang die Energiewende ausgebremst hätten. Was wir als Staat tun können, aber auch müssen, um stabiler zu werden, ist, die Energiewende jetzt energisch voranzutreiben. Es bedeutet zwar einen Kraftakt, und man braucht viel Entschlossenheit für die Energiewende. Das ist es aber, was Robert Habeck im Bund tut und was ich in Berlin möchte: Energieversorgungssicherheit herstellen, damit niemand Angst haben muss, dass die Wohnung kalt bleibt. Und zugleich umso schneller und entschlossener den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben. Denn nur, wenn wir das hinkriegen, sinken die Nebenkosten, die viele Menschen inzwischen genauso umtreiben wie ihre Miete. So wird aus ökologischer Politik soziale Politik. Berlin soll grün und gerecht sein. Dafür trete ich an.

Die Leute kennen mich und wissen, dass ich Probleme lieber löse, als dass ich Lösungen nur ankündige.

Klimaschutz Diskussion

Mein/4: Was von den Grünen in den Koalitionsvertrag hineingetragen wurde, hat die Krise zumindest verzögert. Stichwort Radwegeausbau

Bettina Jarasch: Es gibt ein Problem für alle, die in dieser Stadt bauen wollen. Das gilt auch für Radwege, wo wir nicht nur markieren und Verkehrsschilder aufstellen, sondern auch bauen müssen. Da merken wir natürlich die Krise. Den Fachkräftemangel gab es vorher schon, aber jetzt sind Baufirmen noch schwerer zu kriegen. Zudem wird alles teurer, und es gibt Lieferkettenprobleme. Das verzögert einiges. Bei den Radwegen setzen wir auf Beschleunigung durch bessere Zusammenarbeit mit den Bezirken und eine Bündelung der Prozesse in einer Hand. Wir haben mit neun Bezirken 23 Radwege vereinbart, die im Turbotempo angeordnet und umgesetzt werden. Leider sind Spandau, Lichtenberg und Pankow nicht dabei. Wenn sich Bezirke der Mobilitätswende verweigern, sind Fußgänger und Radfahrende die Leidtragenden.

Ich möchte das Behörden-Ping-Pong beenden.

Mein/4: Bei der letzten Wahl im September, erinnere ich mich, lagen die Grünen noch vorn, und ich weiß, dass Sie da schon sehr vorsichtig waren, was vorzeitige Jubelstürme angeht. Dann kam es ja auch knapp anders. Ihr Ziel ist es diesmal, vorn zu liegen?

Bettina Jarasch: Wir haben den Wahlkampf jetzt nicht herbeigerufen, aber er ist schon eine zweite Chance, einfach weil es beim letzten Mal schon knapp war. Das war für uns vor einem Jahr das beste Ergebnis, das wir je hatten. Obwohl ich damals noch die unbekannte Kandidatin war. Ich glaube, das hat sich deutlich geändert. Die Leute kennen mich und wissen, dass ich Probleme lieber löse, als dass ich Lösungen nur ankündige. Es ist wieder ein knappes Rennen und auch wieder ein offenes Rennen. In der Hinsicht werde ich genauso vorsichtig sein und nicht vorschnell jubeln.

Mein/4: Ist das Ziel, diese Koalition fortzusetzen? Mit anderen Parametern, mit anderen Wertigkeiten?

Bettina Jarasch: Wir Grüne haben eine klare Präferenz: Wir würden gern mit Rot-Rot weiterregieren, aber unter Grüner Führung. Ich habe allerdings auch eine Sorge: Dass die SPD sich in eine Deutschlandkoalition mit CDU und FDP zu retten versucht, falls sie nicht vorn liegt. Einfach um das Rote Rathaus nicht zu verlieren.

Aber noch besser wäre es, wenn es weniger Autos wären und es gar keinen Stau mehr gäbe.

Mein/4: Was wird sich ändern unter Grüner Führung im Vergleich zum jetzigen Koalitionsvertrag?

Bettina Jarasch

Bettina Jarasch: Ich möchte, dass Berlin wieder funktioniert. Deshalb müssen wir die lange verschlafene Verwaltungsreform, die jetzt durch das Wahldebakel sehr in den Fokus gerückt ist, endlich anpacken. Da geht es mir um eine funktionierende Stadt. Der Weg dahin ist eine wirklich radikale Verwaltungsreform. Dafür braucht es eine Führung im Roten Rathaus, die das ernsthaft angehen möchte. Das muss man wirklich von oben wollen und vorantreiben, sonst funktioniert das nicht. Angefangen von der schleppenden Digitalisierung bis hin zur Klärung der Zuständigkeiten zwischen Behörden, Land und Bezirken. Ich möchte das Behörden-Ping-Pong beenden.

Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Die sind nicht neu, viele werden seit Jahren diskutiert. Sie sind nur in Berlin in 21 Jahren SPD-Führung nie umgesetzt worden. Hätten wir die schon vor den letzten Wahlen umgesetzt, hätte es womöglich dieses Wahlchaos nicht gegeben.

Mein/4: Wir haben den 13. Februar nächsten Jahres. Bettina Jarasch ist Bürgermeisterin. Was wird sich ändern?

Bettina Jarasch: Der Klimaschutz wird noch mal eine ganz andere Relevanz bekommen. Und damit auch die soziale Frage. Denn beim Klimaschutz geht es immer auch um Gerechtigkeit. Da gibt es eine große Dringlichkeit. Das merken wir jetzt auch in der Krise an den Energiepreisen. Wir merken es aber auch an der ständig steigenden Zahl an Hitzetoten in den Sommern, an Unwettern, die Häuser zerstören, an den Gesundheitsschäden, die wir alle davontragen, wenn wir die Erderwärmung nicht bremsen. Der Klimawandel schreitet weiter voran, der kümmert sich nicht um die anderen Krisen, die uns gerade so beschäftigt halten. Wir müssen deshalb bereit sein, dem Kampf gegen den Klimawandel auch wirklich Priorität einzuräumen. Wenn wir den Klimaschutz jetzt versäumen, wird es bald richtig teuer. Um es mal drastisch auszudrücken: Versäumter Klimaschutz ist unsozial. Aber viele Jahre lang wurde das Ökologische und das Soziale gegeneinander ausgespielt, als ob man immer bremsen müsste, damit das eine nicht das andere gefährdet. Und das ist Unsinn.

Mein/4: Wir haben viele Mieter. Die können wenig tun. Und die Flächen sind ja begrenzt, um etwas machen zu können. Wenn man einmal im Alexandertunnel im Stau stand, denkt man sich doch: Wäre schön, wenn hier alle elektrisch fahren würde. Dann wäre zumindest der Gestank schon mal weg. Natürlich nicht das Verkehrsaufkommen. Aber was ich damit sagen will: So eine Krise ist ja meistens auch ganz gut, um etwas umbauen zu können. Dafür ist an sich doch die Gelegenheit günstig?

Bettina Jarasch: Genau. Wir haben viel getan, um jetzt rasch zu entlasten. Aber wir brauchen auch einen Weg wieder heraus aus der Krise. Das ist doch das Einzige, was in so einer Zeit Hoffnung gibt. Und dafür haben wir einen Plan. Es gibt tatsächlich die Chance, dass wir gerade in und wegen der Krise beschleunigen können bei all dem, was unsere Zukunft sichert: beim Thema Ausbau Erneuerbarer und Klimaschutz, bei der energetischen Sanierung und natürlich auch bei der Mobilitätswende. Da haben Sie Recht: Wenn im Alexandertunnel nur E-Autos rumstehen würden, dann wären wir in Sachen Luftqualität und CO2 schon mal besser dran. Aber noch viel besser wäre es, wenn es weniger Autos wären und es gar keinen Stau mehr gäbe. Und da will ich hin.

Mein/4: Vielen Dank für das Gespräch.