Ein Kommentar von Kerstin Müller
Sie hat es mit 20 Prozent hinter die Union auf Platz zwei geschafft, während sie noch im August des letzten Jahres bei 12 Prozent lag. Selbst in Bayern, wo am 8. Oktober Landtagswahlen stattfinden und Söders CSU sogar noch von rechts durch die Freien Wähler gestützt wird, müssen Die Grünen um Platz 2 fürchten, da die AfD rasant aufholt. Im Osten sieht es ganz düster aus: Gleich in drei Bundesländern ist die AfD in den aktuellen Umfragen stärkste Kraft: in Brandenburg mit 30 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern mit 29 Prozent und vor allem in Thüringen mit 32,9 Prozent. Und obwohl die Kanzlerpartei SPD bei 18 Prozent dümpelt, ist kein Strategiewechsel erkennbar – Augen zu und durch, scheint da die Parole zu sein. Aber auch die CDU, für die es umfragemäßig gar nicht so übel aussieht, taumelt und wirkt seltsam panisch angesichts des Höhenfluges der AfD. Eigentlich hatte Friedrich Merz bei seiner Wahl zum Parteivorsitzenden großspurig eine „Brandmauer gegen Bündnisse mit der AfD“ angekündigt. Aber diese Mauer bröckelt inzwischen heftig. Die CDU ist im Dilemma gefangen, wie sie mit der AfD künftig umgehen soll: ausgrenzen und klare Kante zeigen oder Normalisierung? Boykottieren oder kooperieren? Vor allem in den Ostlandesverbänden tobt der Konflikt. Wenn man nicht kooperiert, bleiben auf kommunaler Ebene oft nur Bündnisse mit der Linken, die ein Parteitagsbeschluss verbietet oder Minderheitenregierungen.
Den größten Hammer hat sich allerdings der CDU-Vorsitzende selbst geleistet. Bei dem verzweifelten Versuch, Wählerinnen und Wähler der AfD zurückzugewinnen, fährt er plötzlich einen absurden Anbiederungskurs und beschreibt die CDU als „wirkliche Alternative für Deutschland – nur mit Substanz“. Nach heftiger Kritik aus den Medien und den eigenen Reihen, rudert er nicht etwa zurück, sondern kündigt im ARD-Interview an, dass man „auf kommunaler Ebene mit der AfD ausloten muss, wie man gemeinsam die Stadt, das Land und den Landkreis gestalten will“. Bäng – das war‘s mit der Mauer! Ist der Mann von allen guten Geistern verlassen? War das ein spontaner Versprecher oder doch ein – fataler – Strategiewechsel? Eine Kooperation der Union mit der AfD jedenfalls, die über kurz oder lang auf Koalitionen hinauslaufen wird, kommt allerdings einer Strategie der sicheren Selbstauflösung der CDU gleich. Aber vor allem, was noch viel schwerer wiegt: Eine solche Strategie wird die AfD noch stärker machen. Viele Wahlkämpfe der Vergangenheit, aber auch wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt: Erst indem die populistischen Parolen der rechten Parteien durch andere Parteien oder die Medien aufgegriffen werden, man sich gar ihre Forderungen zu eigen macht, werden diese erst salonfähig und man signalisiert den Wählerinnen und Wählern der AfD „ist doch nicht so schlimm“, mit der Folge, dass sie noch stärker werden. Genau diese Entwicklung konnte man auch im letzten Jahr auf Bundesebene bei Vorhaben der Ampel, wie etwa dem Heizungsgesetz, beobachten: Zunächst war die AfD dagegen Sturm gelaufen und hatte den Untergang des Abendlandes an die Wand gemalt. Aber erst, als zentrale Medien wie die Bildzeitung mit Headlines wie „Habecks Heizungshammer“ im Konzert mit Parteien der Opposition, der CDU und sogar der Regierung – die FDP reichte einen 100-Seiten-Fragenkatalog ein – in das gleiche Horn bliesen und die Kritik der Rechten aufgriffen, wurde das Klima hysterisch und eine sachliche Debatte war kaum noch möglich. Profitiert hat am Ende von dem aufgehetzten Klima nur die AfD, die auf einmal bis weit ins bürgerliche Lager hinein wählbar erscheint. Und das, obwohl die Partei auf ihrem Europaparteitag nicht nur eine harte Anti-EU-Position verkündete – wie z. B. der rechtsextreme Björn Höcke mit „die EU muss sterben“ oder der Spitzenkandidat Krah, der für ein „Europa der Vaterländer“ eintritt –, sondern mit der Totalabschottung gegen Flüchtlinge, Parolen wie „Deutschland den Deutschen“ gegen die „Globalisten“ dieser Welt auch keine öffentliche Scheu mehr vor rechtsextremen Parolen zeigte und den offenen Kulturkampf mit den bestehenden Eliten suchte. Auch eine Kanzlerkandidatur wird geschickt ins Spiel gebracht.
Verheerend ist bei alledem, dass offensichtlich weder die etablierten Parteien noch die Medien eine taugliche Strategie im Umgang mit der AfD haben, die auch auf fundierten wissenschaftlichen Untersuchungen basieren müsste. Rechtsextremismusforscher, wie etwa Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld, der seit Jahren rechtsextreme Haltungen und Entwicklungen in der Gesellschaft untersucht, kritisiert zu Recht, dass Zuschreibungen der AfD wie „Protestpartei“ und „rechtspopulistisch“ gefährlich verharmlosend seien. Er sieht in der AfD eine Partei des „autoritären Nationalradikalismus“, der es nicht nur um den Kampf gegen die „Eliten“ gehe (= Rechtspopulisten), sondern um ein „autoritäres Gesellschafts- und Ordnungsmodell mit klaren Hierarchien und traditionellen Lebensweisen“. Gegensätzliche Gesellschaftsbilder wie „wir gegen die“, „innen gegen außen“, „Eigenes gegen Fremdes“ werden aufgebaut. Nationalistisch ist sie aus Heitmeyers Sicht, weil es ihr um die Überlegenheitsansprüche deutscher Kultur geht, verbunden mit einer veränderten Geschichtsschreibung und dem Deutschsein als zentralem Identitätsanker. Leider haben seine Untersuchungen seit 2002 ergeben, dass weite Teile des bürgerlichen Spektrums für ein solches Politikangebot anschlussfähig sind – und zwar schon lange vor der Gründung der AfD. Weit über 30 Prozent der sogenannten Mitte teilen menschenfeindliche und diskriminierende Einstellungen. Ursache sind sehr langfristige Entwicklungen, wie „Globalisierungsängste“, die mit einem tiefen Vertrauensverlust in die Politik einhergehen, verbunden mit dem Gefühl, die Kontrolle über die eigene Biografie zu verlieren. Die AfD verspricht als Antwort, dass sie wieder Kontrolle und Ordnung herstellen werde. Besonders im Osten haben sich zudem rechtsextreme Milieus über Jahrzehnte verfestigt und verbreitert, die teilweise schon in den 90iger-Jahren oder auch schon in der DDR existiert haben.
Wer, wie scheinbar Merz meint, aber auch Scholz, Habeck und Lindner, dieser Entwicklung mit Anbiederung, so Merz und auch Lindner, oder mit einem politischen Weiter-so begegnen zu können, der irrt sich gewaltig. Wenn die etablierten Parteien wirklich verhindern wollen, dass Deutschland bei der übernächsten Bundestagswahl von der AfD mitregiert wird und dass rechtsextreme Milieus sich weiter verfestigen, wer unsere Demokratie stärken und Rassismus und Diskriminierung gegen Minderheiten nicht weiter salonfähig machen will, der braucht eine umfassende und fundierte Strategie zur Bekämpfung der AfD. Es braucht klare Kante und keine Anbiederung – weder aus der Opposition noch aus der Regierung. Es braucht eine Regierung, die ihre großen Transformationsvorhaben geduldig und geschlossen erklärt und die Menschen mitnimmt sowie eine Opposition, die sachlich und fundiert, wo nötig, widerspricht. Vor allem müssen endlich alle gemeinsam zur Besinnung kommen und erkennen, um welche Gefahr es hier in der Zukunft für unsere Demokratie geht.
Kerstin Müller
Staatsministerin im Auswärtigen
Amt a.D. (2002-05)
MdB Bündnis 90/Die Grünen 1994-2013, davon u.a. 8 Jahre Fraktionsvorsitzende
Senior Associate Fellow der DGAP,
Kuratorium Aktion Deutschland hilft,
Beiratsmitglied von ELNET