In der Vorweihnachtszeit sind die Schaufenster hübsch geschmückt und lebendige Adventskalender lassen den Kiez zusammenrücken. Ist der Prenzlauer Berg dafür bekannt, dass hier über allem eine samtene Decke aus Behaglichkeit gelegt wird, dann muss das Weihnachtsfest hier doch besonders harmonisch ablaufen, oder? Wie wir zwischen Winskiez und Kollwitzplatz Weihnachten feiern und wer an Heilig Abend in der Gethsemanekirche sitzt, besprechen wir mit Pfarrerin Almut Bellmann und Pfarrer Tobias Kuske.
Diese Harmonie zum wichtigsten Fest des Jahres „ist brüchig“, weiß Bellmann. Sie ist seit einem Jahr Pfarrerin in der evangelischen Gemeinde in Prenzlauer Berg. Als sie von Britz in den Nordosten Berlins gekommen ist, war ihr erstes Weihnachtsfest in der Gemeinde gleich ein besonderes. Gerade versetzte der Anschlag auf dem Breitscheidplatz alle Berliner in einen Schockzustand, den Menschen wurde wieder einmal gezeigt, wie verletzlich das Leben ist. Die Gemeinde reagierte mit einer Aktion auf den Anschlag und setzte ein Zeichen: Auf arabisch und deutsch wurde der biblische Vers „Fürchte dich nicht“ eingespielt. Die Sehnsucht nach Harmonie sei immer da, so Bellmann, im vergangenen Jahr sei den Gottesdienst-Besuchern jedoch eine gewisse Tiefe der Andacht besonders wichtig gewesen. Aber wer sitzt eigentlich zur Weihnachtszeit in der Gethsemanekirche? In jedem Fall eine Menge Menschen. Sie ist eine der wichtigsten Kirchen Berlins, hier versammelten sich vor der Wende die Anhänger der Friedensbewegung. Bis zu 1000 Menschen finden hier Platz, am Heiligen Abend gibt es einen immensen Besucherandrang, viele müssen draußen bleiben. Nicht nur die Prenzlberger möchten sich hier auf die Feiertage einstimmen, die Besucher kommen auch aus vielen anderen Stadtteilen. Und die Prenzlberger selbst? Die Zugezogenen fahren meist nach Hause. Zu Weihnachten werden die Straßen hier merklich leerer – „ein bisschen spürt man das“, so Kuske. Das ist sicher eine Besonderheit dieses Stadtteils, in dem ein Großteil aus anderen deutschen Städten und Ländern zugezogen ist.
Auch das ist der Prenzlauer Berg
In der Weihnachtszeit werden jedoch auch die Menschen sichtbar, die in der homogenen Masse des Alltags untergehen. Auch wenn die Gemeinde ungewöhnlich jung sei, gebe es auch in Prenzlauer Berg viele Senioren, so Kuske. Sie treffen sich in verschiedenen Gruppen, daher werde auch ein Senioren-Weihnachten angeboten.
„Oftmals leben diese älteren Menschen schon sehr lange in Prenzlauer Berg. Die Kinder sind weggezogen oder sie haben keine“, so Bellmann. Zur Weihnachtszeit ist es dann schön, wenn es Angebote für sie gibt, denn sonst droht Einsamkeit. Außerdem gibt es ein Kiez- Weihnachten, an dem alle Bewohner eingeladen sind, gemeinsam zu feiern, auch sozial benachteiligte Menschen, für die das Fest womöglich nicht so üppig ausfällt. „Man möchte gar nicht glauben, wie viele Menschen es in Prenzlauer Berg gibt, die auf Spenden angewiesen sind“, so Kuske. Die Station von Laib und Seele ist gut besucht; nicht alle Bewohner dieses gehypten Kiezes sind so wohlverdienend, wie man es annehmen könnte. Prenzlauer Berg ist für seinen Kinderreichtum bekannt, trotzdem gibt es hier auch viele kinderlose Menschen, so Bellmann, die von den vielen Angeboten für Kinder und Eltern, die im Kiez an jeder Straßenecke zu finden sind, manchmal etwas überfordert seien.
Gerade weil es hier viele junge Familien gibt, sind die Gottesdienste zur Weihnachtszeit oftmals kinderfreundlich. Am Nachmittag lädt das Krippenspiel zum Kennenlernen der Weihnachtsgeschichte ein, dabei geht es in der Kirche auch mal etwas turbulenter zu. Kinderlose würden dann eher die späteren Gottesdienste besuchen, bei denen sie nicht mit ihrem untypischen Prenzlberg-Status konfrontiert werden, so Kuske. Eine bedauerliche Entwicklung vor diesem Hintergrund ist auch diese: Es gibt immer mehr Mütter, die mit einem Partner in dem teuren Wohnviertel eine Familie gegründet haben und nun alleinerziehend sind. Erschreckend seien außerdem die vielen Bettler, die auf dem Helmholtzplatz zusammenkommen. Es gibt auch in Prenzlauer Berg Armut und Menschen in prekären Situationen; sie sind nur nicht so sichtbar. Genauso wenig sichtbar sind die alteingesessenen Prenzlberger, die zusehen mussten, wie sich ihr Arbeiterkiez in das Prenzlberg von heute verwandelt hat – mit all seinen Vor- und Nachteilen.