Gesellschaft Politik

Zeitenwende im Osten

© pexels / Ron Lach

Zäsur für die deutsche Politik

Ein Kommentar von Kerstin Müller | Berlin

Nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen kann keiner mehr einfach zur politischen Tagesordnung übergehen oder die Wahlen als reine landespolitische Sache abtun. Die Wahlergebnisse sind eine Zäsur und werden die politische Landschaft der Bundesrepublik auf Dauer verändern.

Wer davor die Augen verschließt, wird nur mit dafür sorgen, dass sich der Trend verschärft.

Die Wählerinnen und Wähler in beiden Bundesländern haben in Thüringen mit 32,8 Prozent die AfD zur stärksten Partei, in Sachsen mit 30,6 Prozent zur zweitstärksten Partei gewählt, nur sehr knapp hinter der CDU. Eine Partei, die in beiden Ländern vom Verfassungsschutz als klar rechtsextrem eingestuft wird.

Berücksichtigt man, dass das BSW aus dem Stand in beiden Ländern drittstärkste Kraft wurde und dass die One-Woman-Show von Sahra Wagenknecht zwar links blinkt, um dann doch in vielen Fragen mit den gleichen rechtspopulistischen Parolen wie die AfD rechts abzubiegen, dann haben die Wählerinnen und Wähler in Thüringen sogar mit 48,6 Prozent und in Sachsen mit 42,4 Prozent rechts bis rechtsextrem gewählt. Eine CDU, die die Wahlen vor diesem Hintergrund als Erfolg feiert, ist nicht nur peinlich, sondern auch verantwortungslos. Wie kann eine eigentlich bürgerliche Partei nach einem solch desaströsen Wahlsieg der Rechten noch von Erfolgen sprechen? Sie meint wohl, es sei schon ein Erfolg, dass sie in beiden Bundesländern (wahrscheinlich) den Ministerpräsidenten stellen wird. Mit wem eigentlich? Falls es tatsächlich dieses Mal (noch) bei der Absage an die AfD bleibt, so bleibt ihr nur ein Bündnis mit dem BSW und einer dritten Partei übrig. In Sachsen hat Kretschmer so lange auf den bürgerlichen grünen Koalitionspartner öffentlich eingedroschen, dass es für die Fortsetzung des Kenia-Bündnisses mit den Grünen nicht mehr reicht. Mit dem Ergebnis, dass er nur noch unter Einbeziehung des BSW oder der Linken und der SPD die AfD an der Macht verhindern kann.

Was für ein Pyrrhussieg!

In Thüringen hat die AfD mit mehr als einem Drittel der Stimmen sogar eine Sperrminorität für bestimmte Entscheidungen wie der Ernennung von Verfassungsrichtern oder der Auflösung des Landtages. Die CDU müsste also noch die Reste der völlig geschröpften Linkspartei von Ramelow mit ins Boot nehmen, notfalls in Form einer Minderheitenregierung. Spätestens jetzt steht in der Bundes-CDU alles auf dem Kopf. Denn noch immer hat die Partei einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken – obwohl das angesichts der Veränderungen an Absurdität nicht mehr zu überbieten ist. Der Hintergrund für diesen Beschluss war, dass der Verfassungsschutz die PSD/Linke damals als Verdachtsfall eingestuft hatte und sie in Teilen beobachtet wurde. Ein Grund dafür war die kommunistischen Plattform, die Sahra Wagenknecht anführte und gegen die einst Pfarrer Hinze als Generalsekretär der CDU mit einer Roten-Socken-Kampagne zu Felde zog. Dieselbe Sahra W. hat jetzt mit ihrem Bündnis die Linke inzwischen verlassen und damit politisch geschreddert. Sie will mit ihren kruden politischen Vorstellungen nicht nur den Osten, sondern offensichtlich ganz Deutschland außenpolitisch ins Abseits führen. Bekannt für ihre Putin-Nähe, fordert sie als Einstiegsbedingung für beide Landeskoalitionen (SIC!), keine Waffen an die Ukraine mehr zu liefern und keine US-Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren. Und mit denen will die CDU von Kretschmer und Vogt jetzt koalieren, aber mit dem evangelischen Christen Bodo Ramelow nicht? Auch die demokratischen Mitbewerber, Die Grünen, wurden zum Hauptgegner erklärt, während man mit der Altkommunistin und Putin-Freundin Sahra W. schon im Wahlkampf liebäugelte.
Was ist eigentlich los im Adenauerhaus? Das solltet ihr demnächst wohl umbenennen, denn der gute Adenauer würde sich im Grabe umdrehen, wenn er auch nur ahnen würde, mit welch abenteuerlichen Gedanken seine einst stolze transatlantische Partei sich heute abgibt. Auf Landesebene würde darüber nicht entschieden, wiegeln die Herren ab. Mag sein, aber da ist zu befürchten, dass die Sahra schlauer ist als sie.

Die Landespolitik ist Frau Wagenknecht herzlich egal

Sie will etwas ganz anderes: mit ihrem gefährlichen Populismus auf Stimmenfang gehen und zwar in ganz Deutschland. In einer Koalition mit der CDU würde sie enorm aufgewertet und hätte eine wesentlich bessere Ausgangsposition für die Bundestagswahlen im nächsten Jahr. Auch im Bund will sie das Regieren unmöglich machen, will erreichen, dass es auf sie ankommt und mal ganz nebenbei die CDU spalten. Das scheint den Oberstrategen im Adenauerhaus vor lauter Anti-Ampel-Kampagne entgangen zu sein. In einer „Wortmeldung“ warnen prominente Bürgerrechtler daher auch vor diesem Schritt. Der DDR-Experte und Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk hält die AfD und den BSW für gleichermaßen gefährlich: Beide haben ein autoritäres Gesellschaftsbild, beide wollen ein elitäres und illiberales Staatssystem, Deutschland aus dem westlichen Verteidigungsbündnis herauslösen und die EU zerstören. Er befürchtet, dass wir über kurz oder lang ein autoritäres Staatssystem auch in Deutschland erleben werden. Er meint, Björn Höcke sei nicht gefährlicher als Sahra Wagenknecht. Beides seien Demagogen und insofern politisch gefährlich, weil „die Lüge das Fundament ihrer Politik ist.“ Scheint das vielleicht doch überzogen? Wenn allerdings die CDU dabei bleibt, dass vor allem die Ampel und ganz besonders Die Grünen Schuld an den Wahlergebnissen seien und sie – sowie die SPD – meint, mit ein bisschen mehr Abschiebungen und schärferer Asylpolitik das Ganze schon regeln zu können, dann wird genau das passieren: AfD und BSW werden immer stärker werden und auch den Bund ohne sie unregierbar machen. Irgendwann wird man dann doch die angebliche „Brandmauer“ gegen Bündnisse mit der AfD durchbrechen. Andere Länder in Europa wie Ungarn, die Niederlande, Italien sind da schon längst oder wie in Frankreich fast angekommen: Rechtsextreme Parteien regieren mit oder sind das Zünglein an der Waage.

Hinzu kommt, dass wir in Deutschland schon seit vielen Jahrzehnten feststellen können, dass über 30 Prozent der sogenannten Mitte rechte Einstellungen teilen und für ein solches Politikangebot der AfD und des BSW anschlussfähig sind. Das zeigen zum Beispiel die Langzeitstudien des Rechtsextremismus Forscher Heitmeyers. Es ist zwar richtig – auch die Ampel trägt eine gehörige Mitverantwortung an der Misere, denn die ständige Streitkoalition vermittelt den Eindruck der völligen Handlungsunfähigkeit. Das macht vielen Menschen gerade angesichts der großen Herausforderungen von Globalisierung, Klimawandel, zahlreichen Kriegen und Krisen enorme Angst, und sie werden noch empfänglicher für einfache Parolen und Politikangebote. Dennoch ist es zu kurz gesprungen, im Ampelstreit die Hauptursache für das Wahlergebnis zu sehen. Das ist auch nur billiger parteipolitischer Populismus, für den wir alle irgendwann einen hohen Preis zahlen werden und der sich für die CDU nicht auszahlt.

Besinnt euch

Deshalb: Es müssen sich endlich alle besinnen und zusammenraufen, um gemeinsam und sachorientiert an Lösungen für die anstehenden Herausforderungen zu arbeiten: die Ampelparteien, genauso wie die CDU und ja – auch die Linke. Sie alle müssen sich klar machen: Der Feind für unsere Demokratie kommt von rechts! Ein Bündnis mit der AfD genauso wie mit dem BSW ist hochgefährlich und verbietet sich daher.

Kerstin Müller Staatsministerien a.D.

Kerstin Müller

Staatsministerin im Auswärtigen
Amt a.D. (2002-05)
MdB Bündnis 90/Die Grünen 1994-2013, davon u.a. 8 Jahre Fraktionsvorsitzende
Senior Associate Fellow der DGAP,
Kuratorium Aktion Deutschland hilft,
Beiratsmitglied von ELNET

von 2013–2018 Leiterin des Israel Büros der
Heinrich-Böll-Stiftung