Eine Kolumne von Chin Meyer
Ins Wasser gefallen sei dieser letzte Sommer, sagen viele meiner Freunde. Dabei waren uns doch Hitzewellen über Hitzewellen angekündigt, und wo bleibt denn bitteschön diese Klimakatastrophe, wenn man sie mal … und so weiter. Jetzt aber kommt der Herbst mit seinen schrecklich kühlen Diskussionen – ich sag nur: Wehrpflicht.
Um solch trüben Gedanken zu entrinnen, wollte auch ich ins Wasser fallen, besonders an einem dieser wirklich heißen Tage, die es ja auch gab. Da mein Stammhallenbad wegen Renovierung und aus Kostendruck geschlossen hatte, plante ich also einen Freibadbesuch. Meine Wahl fiel auf das Freibad Wilmersdorf, in Berlin nur als „das Locho“ bekannt. Nomen est Omen, will man denken, aber das Locho heißt eigentlich „Lochow“ – das W spricht man jedoch nicht mit, sodass kaum jemand weiß, dass hier Bezug genommen wird auf General Ewald Constantin Ferdinand Friedrich von Lochow, der im Ersten Weltkrieg mit seinen Mannen an der Schlacht von Verdun teilnahm, was er jedoch überlebte. Im Gegensatz zu den meisten seiner Mannen.
Das Locho(w) wiederum hat als klassisches Berliner Freibad den Ruf, die Bundeswehr als Ausbildungsstätte für den Nahkampf abgelöst zu haben – da hätte General Lochow sicherlich freudig (und sehr preußisch) gelacht. Wozu eine Wehrpflicht wieder einführen, wenn man in Berliner Freibädern haufenweise junge Menschen findet, die für eine Runde im Panzer ums Nichtschwimmerbecken sogar Geld zahlen würden?
Ich war also gewarnt und ließ folgerichtig meine Geldbörse mit sämtlichen Ausweispapieren daheim, um agiler am Geschehen teilnehmen zu können, wurde aber von zwei bärtigen, martialisch wirkenden Gestalten mit nahöstlichem Migrationshintergrund vor dem Eingang des Bades angehalten: „Hassu Personalausweis dabei?“ Ohne ihn darauf hinzuweisen, dass traditionell in der deutschen Sprache auch Konsonanten wie ein T nach dem „has(t)“ sowie ein weiches „d“ vor dem „(D)u“ mitgesprochen werden, erklärte ich freundlich, dass ich nur schwimmen wolle und keinerlei Absicht hege, aufgrund von Fachkräftemangel Teil des Personals zu werden. „Ohne Ausweis kein Schwimmen“, wurde mir knapp erklärt. Ich zeigte ein Foto meines Personalausweises, was aber nicht als gleichwertiger Ersatz gesehen wurde. Digitalisierung und Deutschland – zwei Welten, die keinerlei Schnittmenge aufweisen: „Brauch isch Original“ …
Ein heiliger Zorn bemächtigte sich meiner, als ich erkannte, dass mir die wohltuende Kühlung versagt bleiben würde, nur weil man mögliche Rowdies (oder „Elite-Truppen-Material“, wie General Lochow zweifelsohne gesagt hätte) bereits am Badeingang identifizieren wollte. Da fiel auch meine geistige Klarheit ins Wasser und ich schrie den Bärtigen an: „Allah wird dich töten!“ Er näherte sich mir bedrohlich und sagte: „Was willssu? Isch bin 25!“ Ich wiederum nährte mich ihm bedrohlich und zischte: „Allah hat Zeit …!“
Dann sah ich zu, dass ich Land gewann, was mir wesentlich besser gelang als General Lochow vor Verdun, denn ich hatte ein Fahrrad und weniger Schützengräben zu überwinden. Immerhin gibt es in Berlin den Grunewaldsee, zu welchem ich alsbald verschwitzt gelangte. In den wohligen Fluten gedachte ich beim Anblick des Jagdschlosses am Grunewald an die Sexorgie, die dort unter Beteiligung einiger homosexueller Verwandten des Kaisers um die Weihnachtszeit des Jahres 1891 stattfand, was langanhaltende Kritik an der Doppelmoral des Kaiserhauses hervorrief – und um davon abzulenken, soll Wilhelm der Zweite im Jahr 1914 dermaßen kriegsversessen gewesen sein, dass General Lochow der Karrieresprung bis vor Verdun gelang. Und damit so was wieder möglich ist, brauchen wir jetzt die Wehrpflicht. Oder ist mir da was ins Wasser gefallen?
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Chin Meyer
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