Im Gespräch mit Oliver Kalkofe
© Fotos: Pavol Putnoki
Mein/4: Erzähl uns kurz, wo du herkommst.
Ich bin in Engelbostel aufgewachsen. Der Ort ist so klein, dass man ihn kaum auf der Karte findet. Er bestand aus einer umzäunten Reihenhaussiedlung, und es gab einen Kiosk mit einer Tiefkühltruhe. Das war’s. Von dort sind wir nach Peine gezogen. Peine ist so eine Stadt, die nicht weiß, was sie sein will: Für eine Großstadt ist sie zu klein und für eine Kleinstadt zu groß. Eigentlich war alles da, aber es war das gelebte Mittelmaß. Alle wirkten nett und normal, aber der Wahnsinn waberte irgendwo hinter den Kulissen. In Peine habe ich gewohnt, bis ich das Ortsausgangsschild fand und es zum Studium raus schaffte.
Mein/4: Ich habe versucht, dich in eine Schublade zu stecken, aber es ist mir nicht gelungen. Wer oder was bist du?
Oliver Kalkofe: Das ist echt mein Problem, wenn ich irgendwo ein Formular ausfüllen muss, weiß ich nie, was ich reinschreiben soll. Ich bin kein Schauspieler, ich bin Satiriker. Aber das ist auch ein bisschen hochgegriffen. Irgendwie bin ich ein Comedian. Aber im Internet tauche ich unter den deutschen Comedians gar nicht auf. Ich bin auch kein Entertainer, der tanzt und singt. Ich habe von allem etwas gemacht. Aber was bist du dann? Ich war immer motiviert, zwischen 1.000 Sachen hin- und herzuspringen. Gerade schreibe ich an einem #SchleFaZ (Die schlechtesten Filme aller Zeiten), gestern habe ich eine kleine Synchro-Rolle gehabt. Dann muss ich was für das Mattscheiben-Best-of vorbereiten. Dazwischen bin ich an drei neuen Projekten dran. Das viele Springen ist eine Herausforderung. Was ich mit zunehmendem Alter merke: Es wird immer schwerer, sich auf eine Sache zu konzentrieren und da wirklich dranzubleiben und auch gegen die eigene Erschöpfung anzugehen. Aber ich komme erst dann zur Ruhe, wenn ich richtig Urlaub mache.
Mein/4: Wie hältst du deine Produktivität so hoch?
Oliver Kalkofe: Vor allem, weil mir all meine Projekte immer noch wahnsinnig viel Spaß machen. Dazu habe ich aber einen wirklich gestörten Rhythmus. Ich bin nachts wach, so lebe ich quasi immer im Jetlag. Gestern habe ich z. B. bis 5 Uhr geschrieben. Deswegen mache ich meine Termine möglichst erst ab 14 Uhr, weil ich dann bis 12 Uhr schlafen kann. Meine Frau ist Frühaufsteherin. Wenn ich aufwache, ist sie schon kaputt. Aber so können wir abends noch gemeinsam was unternehmen. Wenn alle schlafen und es ruhig ist, mache ich es mir gemütlich und schreibe. In der Zeit schaffe ich wesentlich mehr als am Tag, weil ich da abgelenkt bin. Irgendetwas passiert ja immer. Es ist nur schwierig, wenn wir drehen. Die anderen Menschen fangen natürlich morgens an.
Mein/4: Wie bist du nach Berlin gekommen?
Oliver Kalkofe: Bis kurz nach 2000 war ich in Hannover. Dann hat sich meine damalige Situation komplett geändert und ich brauchte einen Neustart. Alle, die ich kannte, gingen damals nach Berlin. Ich wollte nie hierher. In meinem Kopf war Berlin immer zu groß, zu schmutzig, zu laut, zu wild. Dann war ich hier und habe plötzlich gemerkt, wie schön es ist. Und ich habe ein paar nette Leute kennengelernt. Das Schicksal hat mich mit der Nase draufgestupst. Anfangs habe ich in CharlottenburgWilmersdorf gelebt, später am Adenauerplatz und jetzt in einem Haus in Zehlendorf. Ich habe es damals sehr genossen, vor die Tür zu gehen und alles da zu haben. Seit ich nach Berlin gekommen bin, fahre ich kein Auto mehr. Heute könnte ich mir keine andere Stadt vorstellen, in der ich leben möchte. Ich liebe Berlin und finde es toll, weil es hier für jedes Lebensgefühl etwas gibt.
Mein/4: Gefühlt bist du ein Urgestein, schon immer in der Mattscheibe zu sehen. Das Format ist relativ unverändert seit etwa 25 Jahren
Oliver Kalkofe: Eigentlich fing die Mattscheibe ja schon 1990/91 im Radio an. Ich bin im Grunde zufällig da reingerutscht und habe einfach immer weitergemacht, ohne mir Gedanken zu machen, was ich da eigentlich tue. Damals bin ich übers Studium als Praktikant zu radio ffn gekommen, damals der erste Privatsender in Niedersachsen. Dort gab es sogar Comedy mit dem Frühstyxradio, ich durfte mitmachen und weil ich so einen Spaß dran hatte, habe ich gearbeitet wie verrückt und meine komplette Zeit und Energie da reingelegt. Dann kam das Fernsehen dazu, und so entwickelte sich das immer weiter. Die TV-Mattscheibe begann 1994 bei Premiere, ist jetzt bei Tele5 und somit bereits 27 Jahre im Fernsehen, wenn auch mit einigen Veränderungen, Entwicklungen und Verbesserungen. Das Format wird aber nie alt werden, weil es sich immer durch neuen Wahnsinn speist. Dieses Jahr wird es allerdings keine neuen Mattscheibe-Folgen geben, stattdessen machen wir fünf wunderbare Bestofs mit meinen persönlichen Top 100 aus all den Jahren.
Mein/4: Wie sieht die Arbeit hinter den Kulissen aus?
Oliver Kalkofe: Wir haben bei der Mattscheibe wahnsinnig tolle Leute, sowohl im Bereich Regie, Postproduktion und Technik, wie auch bei Maske und Kostüm. Die stehen immer vor einer besonders großen Herausforderung, mich optisch möglichst nah an die Vorlagenfigur zu bekommen, der ich mich dann irgendwie versuchen muss, parodistisch anzunähern. Das ist nie perfekt, sondern ergibt immer eine „Kalk-Version“ des Originals. Im Gesamtzusammenhang mit Kostüm und Maske klappt das manchmal sehr gut, manchmal okay und manchmal nicht wirklich toll, aber ich bin zufrieden. Im Schnitt habe ich 20–30 Minuten Kostüm/Maske für eine Nummer, dann geht’s ins Studio, ich gucke mir die Szene ein- oder zweimal an, versuche den Charakter und die Eigenheiten der Figur zu erfassen und probiere dann mein Glück. Je bekloppter und exaltierter, desto einfacher – je normaler und ruhiger die Leute auftreten, desto schwieriger wird es für mich.
Mein/4: Wer ist dein Publikum?
Oliver Kalkofe: Als ich anfing, hatte ich eher jüngeres Publikum, von Studenten bis zu etwa 40-Jährigen. 50 galt damals ja noch als sehr alt. Von den Fans ist ein großer Teil mitgegangen und mitgewachsen, viele neue sind dazugekommen, natürlich auch durch Projekte wie die WiXXer-Filme oder #SchleFaZ. Die TV- und Mediennutzung hat sich zudem extrem verändert, das Publikum ist in viele unterschiedliche Gruppen aufgesplittert. Heute gibt es durch Internet und Streamingdienste unzählige Möglichkeiten, sich unterhalten zu lassen. Niemand ist mehr darauf angewiesen, irgendwas im linearen TV zu gucken, weil es nichts anderes gibt. Dadurch kannst du das Publikum auch viel schwerer einschätzen. Jeder Nutzer tickt anders. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man die besten Chancen hat, wenn man etwas authentisch macht, das einem selbst gefällt und das man auch selbst gerne sehen würde. Vorher zu überlegen, wie und was man genau tun muss, damit man auch ja allen gefällt, geht eigentlich immer in die Hose. Trotzdem wird ein Großteil der TV-Programme genauso entwickelt, was man leider auch merkt.
Mein/4: Ich habe immer den Eindruck, das Fernsehen ist voller durchtrainierter, geschminkter Menschen. Du bist sozusagen der Antiheld.
Oliver Kalkofe: Ich bin der, den sie heute nicht mehr ins Fernsehen lassen würden [lacht]. Allerdings ist jetzt gerade auch eine neue Debatte angestoßen. Da geht es um Diversität, auch im Bereich der Optik. Es gibt erste Plakatkampagnen für Mode, die auch fülligere Menschen zeigt und nicht mehr nur Menschen mit Modelmaßen. Aber die reale Modewelt interessiert das zum größten Teil immer noch nicht. Ich weiß selbst, wie schwer es ist, irgendetwas in meiner Größe zu bekommen, und da bin ich nicht der Einzige, das geht leider immer mehr Menschen so. Man ist ja nicht freiwillig dick, weil man das super findet. Ich habe einen gestörten Stoffwechsel und Gewichtsprobleme seit meiner Kindheit, bei steigendem Stress wird es schlimmer. Aber ich habe gelernt, das zu akzeptieren und mir davon nicht die gute Laune verderben zu lassen.
Mein/4: Bist du ein politischer Mensch?
Oliver Kalkofe: Ich bin immer mehr zu einem geworden. Ich bin nicht parteianhängig. Dieses Jahr finde ich es allerdings so schwer wie noch nie, weil ich wirklich niemanden habe, dem ich vertrauen kann. Ich bin schwer enttäuscht von allen. Wenn ich die AfD und die Linken mal rausnehme, hat theoretisch jede Partei Punkte, die ich akzeptieren kann und andere, die ich ablehne. Am Ende geht es aber auch immer sehr um Personen und Vertrauen. Du musst das Gefühl haben, dass sie das, was sie sagen, auch wirklich meinen und umsetzen können. Ein glaubhafter Politiker sollte auch so etwas Altmodisches vermitteln wie Tatkraft. Diese Wischiwaschi-Haltung momentan macht mich regelrecht aggressiv, und ich glaube genau diese Unsicherheit lässt auch die Bevölkerung zunehmend verzweifeln und wütend werden. Aber wenn wir nicht aufpassen, werden wir mehr und mehr zu einem Volk der frustrierten Wutbürger, weil die Menschen einfach nur noch genervt sind, aus welchem Grund auch immer. Und dann haben radikale Gruppierungen und Extremisten, egal welcher Seite, ein leichtes Spiel, da man Wut und Frust viel leichter kanalisieren und so Menschen manipulieren kann.
Oliver Kalkofe im
Restaurant “il Brunello”
Mein/4: Ich habe manchmal das Gefühl, in den sozialen Netzwerken geht es nur noch darum, seine Wut kundzutun oder dagegen zu sein. Die Gemäßigten posten wenig. Wie stehst du zu Social Media?
Oliver Kalkofe: Ich habe zum Glück eine sehr große, aktive und angenehme Fan-Community. Die fast schon automatischen Mechanismen im Social-Media-Bereich ganz generell sind allerdings kompliziert und bisweilen auch gefährlich, man darf sie nicht unterschätzen. Bei vielen Dingen, die ich schreibe oder poste, weiß ich im Vorfeld ganz genau, welche Reaktionen darauf kommen werden, vor allem, wenn sich die politisch stark rechts orientierten Nutzer kritisiert fühlen. Inzwischen besteht allerdings auch vermehrt die Gefahr, allein durch missverständliche Ausdrucksweisen einen Shitstorm oder einen Konflikt zu generieren, und am Ende streiten sich Menschen, die im Grunde eigentlich das Gleiche wollen. Social Media ist in erster Linie leider nicht der Platz für detaillierte, hintergründige und analytische Debatten, dafür braucht man meist mehr Zeit, Geduld und Buchstaben. Im Internet regieren eher die Emotionen und man muss sehr genau aufpassen, keinen Fehltritt zu begehen und sich nicht von negativen Reaktionen beeinflussen oder einschüchtern zu lassen.
Mein/4: Wie ist dein Verhältnis zum Kino, und wie schätzt du die Zukunft der Kinos ein?
Oliver Kalkofe: In jeder Stadt, in der ich gelebt habe, musste ich immer als Erstes den Weg zu ein bis zwei guten Kinos wissen. Ich bin glücklich, dass die Kinos wieder geöffnet sind und privat begrüße ich auch, dass aus Corona-Gründen der Platz neben mir automatisch frei ist, aber für die Betreiber ist das natürlich fatal. Es wird für die Kinos sehr schwierig werden, aus vielen Gründen. Die Menschen haben sich durch den Lockdown immer mehr daran gewöhnt, große Filme auch zu Hause zu gucken. Einige bekommst du zeitgleich zum Kinostart bereits über Sky, Disney+ oder andere Streamer. Einige Kinos bringen deshalb momentan aus Protest keine DisneyFilme mehr, weil die so das Kinokonzept beschädigen und gleichzeitig mehr Geld verlangen. Und dann haben Netflix und Amazon angefangen, ebenfalls große und teure Filme für das Heimkino zu produzieren. Das Kino hat es dadurch immer schwerer, die Leute zum Besuch zu motivieren, und muss deshalb den Eventcharakter weiter ausbauen. Ich glaube, vor allem die kleineren Filme werden deshalb in Zukunft viel größere Probleme im Kino haben. Es wird schwierig werden, die Vielfalt zu halten.
Mein/4: Wie stehst du zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen? Denkst du, es wird bestehen bleiben?
Oliver Kalkofe: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist ein solch riesiger Apparat, dass du den gar nicht mehr weg bekämst, selbst wenn du wolltest. Es ist momentan auch schwierig, sachlich darüber zu reden, weil das Thema politisch aufgeheizt ist und man nicht den Falschen in die Hände spielen möchte. Generell finde ich es gut und wichtig, dass es das öffentlich-rechtliche Fernsehen gibt, da gibt es gar keine Frage. Aber inhaltlich liegt es sehr weit hinter seinen Möglichkeiten zurück und bietet damit jede Menge Angriffsmöglichkeiten und Diskussionsbedarf. Ich finde, dass es bei seiner unabhängigen Berichterstattung – bis auf einzelne Dinge, über die man reden kann – sehr gute Arbeit leistet. Aber ein enorm großer Teil besteht auch aus Unterhaltung und Tagesprogramm – und da gibt es einen eklatanten Mangel an Mut und Innovation. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen müsste eigentlich dazu da sein, immer wieder etwas Neues auszuprobieren, uns täglich mit herausragend vernünftigem und intelligentem Entertainment zu überraschen – für alle Altersgruppen. Aber gerade auf diesem Gebiet erleben wir aktiven Stillstand gepaart mit Rückschritt und viel zu oft Fernsehen wie vor dreißig Jahren. Es geht also nicht um das System an sich, sondern darum, die Gebührengelder vernünftig anzulegen. Die Diskussion geht daher gerade in die falsche Richtung: Sie wird politisch, aber im Grunde ist sie inhaltlich.
Mein/4: Du hast schon vieles ausprobiert und realisiert. Gibt es etwas, das du gerne noch machen würdest?
Oliver Kalkofe: Ich fände es toll, doch noch mal eine Serie oder einen Film zu entwickeln, Ideen gäbe es auf jeden Fall mehr als genug. Irgendwann hätte ich auch Lust, mal ein richtiges Buch zu schreiben. Aber das kann ich auch später machen, wenn ich nicht mehr so viel vor der Kamera stehe. Da habe ich momentan noch zu viel Spaß dran.
Mein/4: Hast du noch ein Privatleben?
Oliver Kalkofe: Ich habe ein Privatleben, aber ich muss auch darum kämpfen. Mit meinem Kopf bin ich fast immer irgendwie beim nächsten Projekt, es fällt mir nicht leicht, mich völlig zu entspannen. Der Schreibtisch ist mein zentraler Ort, an dem ich mich die meiste Zeit aufhalte, aber dadurch bin ich zum Glück auch viel zu Hause. Wenn meine Frau nicht wäre, weiß ich allerdings nicht, wie es bei uns aussehen würde, sie kümmert sich um alle wichtigen Dinge des Lebens. Sie ist auch bei den Produktionen dabei und kümmert sich um die Finanzen, damit ich mich so gut wie möglich darauf konzentrieren kann, lustigen Schwachsinn zu verzapfen. Das ginge sonst gar nicht.
Mein/4: Vielen Dank für das Gespräch.
© Fotos: Pavol Putnoki
Info
Sein Ruf: Deutschlands schärfster Medienkritiker! Oliver Kalkofe wurde 1965 in Hannover geboren und ist in Peine aufgewachsen. Nach einem Publizistik-, Anglistik- und Germanistik- Studium in Münster machte der gelernte Fremdsprachenkorrespondent in der sonntäglichen Kultshow FRÜHSTYXRADIO des niedersächsischen Radiosenders FFN erstmals als Comedian mit seinem respektlos bissigen Humor auf sich aufmerksam.
SchleFaZ – Die schlechtesten Filme aller Zeiten (jeweils freitags, ab 22.00 Uhr, TELE 5)
27.08. – Disco Godfather (Jubiläums-SchleFaZ 125)
03.09. – Sloane
10.09. – Time Breaker
17.09. – Angriff der Riesenkralle
24.09. – Das Söldnerkommando
01.10. – Kampf um die 5. Galaxis
08.10. – Rise of the Animals
15.10. – Liebesgrüße aus Fernost
19.11./26.11./03.12./10.12. – SchleFaz
Best of KALKOFES MATTSCHEIBE: Top-Kalk100 (jeweils Freitags 20.15 Uhr, TELE 5)
22.10. – Frisch, fett & faltig
29.10. – Sinnlich, sexy & senil
05.11. – Prickelnd, peinlich & pompös
12.11. – Fröhlich, fesch und voll fatal