Kurz und Knapp Portrait

Frauke Sandig & Eric Black

„Kurz und knapp“ ist eine Interview-Serie des Berliner Fotografen Jens Wazel.

Kurz und knapp … wer seid ihr?

Frauke: Ich mache Dokumentarfilme und bin Redakteurin bei der Deutschen Welle.

Eric: Ich bin Dokumentarfilmer.

Jens: Ihr macht zusammen Filme?

Frauke: Nachdem wir uns 1996 kennengelernt hatten, ist Eric zu mir nach Berlin gezogen. Er war überrascht, dass die Berliner Mauer so vollkommen verschwunden war. Ich hatte mir darüber nicht viele Gedanken gemacht, weil ich froh war, dass die Mauer nicht mehr da war. Über diese Auseinandersetzung haben wir unseren ersten gemeinsamen Dokumentarfilm gemacht. In Nach dem Fall ging es um das seltsame und mysteriöse Verschwinden der Berliner Mauer.

Eric: Ich war in Rom und hatte die 60 Kilometer lange römische Mauer fotografiert. Als ich nach Berlin kam, war ich verliebt und hatte nichts zu tun. Also dachte ich: Okay, hier gibt es auch eine Mauer, die ich fotografieren kann. Aber es gab keine. Ich sah einen Prozess, die Geschichte auszulöschen, auch in unseren Köpfen. Aber, wie Pfarrer Fischer von der Bernauer Straße sagte: „Wenn man keine Bojen an der Wasseroberfläche hat, sind die Minen für das Unterbewusstsein immer noch da.“

Jens: Du bist auch Fotograf?

Eric: Ich habe in San Francisco Film studiert. Ich war auch Möbelbauer und habe auf einem Schlepper gearbeitet. Und ich bin schon sehr lange Fotograf: Mit 14 Jahren habe ich mir im Intershop am Alexanderplatz meine erste Kamera gekauft, eine Pentacon.

Mein Vater ist Bildhauer und kam mit einem DAAD-Stipendium nach Berlin. Ich war zwei Jahre auf der Kennedy-Schule in Zehlendorf. Mein Vater wurde beauftragt, eine Skulptur für die Neue Nationalgalerie zu machen: Sky Piece wurde 1977 aufgestellt und steht heute wieder im Garten der Neuen Nationalgalerie.

Eric Black

Jens: Was bedeutet Berlin für dich?

Eric: Ich liebe diese Stadt. Es ist nicht einfach, als Ausländer die deutsche Geschichte zu akzeptieren, wie es das ja auch für Deutsche nicht ist. Aber es ist eine Stadt, in der ich mich wohlfühle. Und ich habe gesehen, wie radikal sie sich verändert hat. Unsere Hoffnung war, dass dieser Ort einen Austausch zwischen Ost und West ermöglicht. In dieser Hinsicht ist Prenzlauer Berg eine Enttäuschung, weil die Ossis weggegangen sind oder besser gesagt, vertrieben wurden. Es ist sehr international, ein schöner Ort zum Leben. Aber es gibt nicht wirklich einen Austausch zwischen Ost und West.

Frauke: Ich habe mich nie irgendwo verwurzelt gefühlt. Deswegen fühle ich mich in Berlin so wohl, weil es eine multikulturelle und offene Stadt ist. Ich habe mich in vielen Filmen mit dem Thema Flucht und Exil beschäftigt, vom jüdischen Exil unter der Naziherrschaft bis zu den Geflüchteten von heute.

Als ich aus Franken nach Berlin kam, habe ich bei RIAS-TV angefangen. Das wurde dann zur Deutschen Welle, und ich hatte das Glück, in der Dokumentarfilmredaktion zu landen. Ich habe gemerkt, dass lange Filme meine Leidenschaft sind. Für die Deutsche Welle habe ich Reihen und Dokumentarfilme realisiert, zum Beispiel Friedland über das Flüchtlingslager Friedland.

Frauke Sandig

Jens: Ist Kinofilm anders?

Frauke: Ja, da muss man ganz anders denken, Kino hat einen anderen Rhythmus, eine andere Länge. Man sitzt im Schneideraum viele Monate daran. Es ist fast wie ein anderer Beruf. Eric und ich haben jetzt einige Kinofilme zusammen gemacht, und wir arbeiten an einem Film oft vier bis fünf Jahre.

Eric: Das Wunderbare ist, dass so viele unserer Talente ineinandergreifen. Wir denken sehr unterschiedlich, aber im Schneideraum sind wir uns einig. Wir reden über große Themen und Ideen, lesen 50 Bücher über ein Thema und diskutieren.

Frauke: Es ist, also ob man ein Fenster aufmacht in eine Welt, die man kennenlernen möchte, dann eintritt und sich sehr lange dort aufhalten kann. So war es bei unserem zweiten Film Frozen Angels, wo es um die Welt der künstlichen Fortpflanzung in Kalifornien ging. Und noch viel stärker bei unserem Film Herz des Himmels, Herz der Erde, der von den Maya von heute in Mexiko und Guatemala erzählt.

Wir nehmen uns viel Zeit. Wenn man nur einen Historiker interviewt, ist es etwas ganz anderes, als wenn man in ein Dorf mit indigener Bevölkerung geht, wo ein Genozid passiert ist oder wo nebenan eine Goldmine ist, die die Bevölkerung vergiftet.

Eric: Ich habe auch Anthropologie studiert, aber ich wollte keinen ethnografischen Film machen. Es ist ein Film, in dem nur die Maya sprechen, es gibt keinen Kommentar: Sie sagen, was sie sagen wollen. Es war vielleicht das Lohnendste, das ich je in meiner beruflichen Laufbahn gemacht habe. Dass die Maya wirklich gesagt haben: „Das ist unser Film.“ Er wurde in Guatemala-Stadt vor 2000 Menschen auf dem Menschenrechtsfestival gezeigt – und es gab kleine Lieferwagen, die durch El Salvador und Mexiko fuhren und den Film in den Dörfern zeigten.

Jens: Der Film ist der erste einer Trilogie?

Frauke: Unser letzter Film AWARE – Reise in das Bewusstsein entwickelte sich aus Herz des Himmels, Herz der Erde, wo wir auf eine völlig andere Denk- und Sichtweise gestoßen sind, was das Bewusstsein betrifft. Es begann damit, dass eine unserer Protagonistinnen – eine spirituelle Führerin bei den Maya – uns konfrontiert und gesagt hat: „Ihr im Westen, ihr Weißen, ihr seht alles als voneinander getrennt an: Hier ist das Haus, hier ist der Baum, hier ist das Tier, hier seid ihr. Für uns indigene Völker ist alles miteinander verbunden.“ Ein anderer Hintergrund für mich war, dass meine Mutter 2013 gestorben ist und dass ich mir dadurch sehr viele Gedanken über den Tod gemacht habe.

Wir haben überlegt, wie man das fassen kann, ohne New Age zu werden. Wir haben dann sechs Forscherinnen und Forscher ausgewählt, die sich – wie die blinden Gelehrten in der indischen Parabel mit dem Elefanten – dem großen Thema Bewusstsein aus unterschiedlichen Blickwinkeln annähern: ein Hirnforscher, eine Schamanin, eine Pflanzenforscherin, ein Professor für psychedelische Forschung, ein tibetischer Mönch und ein Philosoph. Von diesen völlig unterschiedlichen Perspektiven haben wir erhofft, dass sich ein Bild des gesamten Elefanten entwickeln kann.

Eric: Die größte Überraschung für uns war, wie ähnlich sie sich am Ende waren, viel näher beieinander, als ich je gedacht hätte. Es war kein verschwommenes Mosaik des Bewusstseins – wir sahen den Elefanten.

Jens: Wann kommt der dritte Film?

Eric: Wenn man Dokumentarfilme macht, sollte man sich Themen aussuchen, die einen wirklich interessieren. In gewisser Weise ist unser nächster Film – er wird Der 29. Tag heißen – eine Weiterentwicklung der beiden letzten Filme. In AWARE stellen wir die Frage, was Bewusstsein bedeutet. In diesem Film ist eine der dominierenden Fragen: Wie weit reicht das Bewusstsein?

Frauke: Wie viel Bewusstsein ist in der Natur und wie muss der Mensch umdenken, um sich nicht mehr als Maß aller Dinge und Krone der Schöpfung zu begreifen, sondern als Teil dieser Natur?

Eric: Es gibt eine Flut von Filmen über den Klimawandel, ein Wort, das ich nicht mehr verwende, weil ich denke, dass der Klimawandel im Vergleich zu dem, was auf uns zukommt, absolut harmlos ist. Wir wissen eigentlich, dass wir über Klimakollaps sprechen und dass er sehr schnell kommt. Wir wollen in dem Film auch fragen: Wie sind wir in diese Lage geraten? Was muss sich in unserem Denken ändern? Kollektiv, aber auch in Bezug auf ein Wirtschaftssystem. In unserem Film wird es darum gehen, über das Bewusstsein und unseren Platz in diesem Netzwerk nachzudenken, das sich vom kleinsten Atom bis hin zum Universum erstreckt. Inwieweit ist die Biosphäre selbst bewusst? Leben wir auf einem bewussten Planeten?

Jens: Habt ihr die Hoffnung, dass jemand etwas ändert aufgrund des Films?

Frauke: Wir können von den indigenen Völkern vieles lernen, von ihrer Sichtweise auf eine bewusste, vernetzte, verbundene Welt. Das wird ja auch in vielen Wissenschaften neu entdeckt: die Welt als riesiges Netzwerk. Das Grundproblem der westlichen Welt ist, sich selbst aus der Natur herauszustellen und getrennt zu sehen. Ich glaube, wenn es einen kleinen Anstoß gibt, diese Denkweise zu ändern, wäre schon viel gewonnen.

Eric: Wir haben keine Zeit mehr. Die Situation ist katastrophal, und ich glaube, die Menschen beginnen zu verstehen, wie schlimm es ist. Es sind vor allem die jüngeren Menschen, die etwas tun müssen. Und damit meine ich nicht, dass man sich an Van-Gogh-Gemälde klebt, sondern es gibt ganz konkrete Dinge, die man tun kann. Eines davon ist, Vegetarier zu werden.

Ich habe Angst, es ist allgegenwärtig in meinem Denken. Und ich glaube, dass wir etwas ändern können. Wir können nicht akzeptieren, was vor sich geht. Es muss eine Protestbewegung geben, die sich an den 1960er-Jahren orientiert. Die verursachte einen kulturellen Wandel, sie stoppte den Vietnamkrieg. Das ist auch, was in Bezug auf Kultur und Musik geschehen muss. Wo ist die Musik über den Klimakollaps? Wo ist Martin Luther King? Es gibt Greta, was fantastisch ist. Wir müssen das wieder schaffen, wenn wir buchstäblich überleben wollen. Und wenn alles, was wir lieben, überleben soll.

Jens: Ihr habt eine Patentochter in Mexiko?

Frauke: Ja, wir haben eine heute 19-jährige Patentochter aus einer indigenen Familie in Oaxaca, die jetzt auch eine kleine Tochter hat. Wir fühlen uns verantwortlich und überlegen: Wie kann man der Welt im Denken einen kleinen Anstoß geben? Dokumentarfilme können sicher nicht die Welt retten, aber manchmal können sie Denkanstöße geben.

Vielen Dank!

Eine längere Version dieses Interviews gibt es hier:

www.jenswazelphotography.com/Series/Stories/Frauke-Sandig-Eric-Black

Frauke Sandig & Eric Black

Aware Film Interview

Frauke Sandig und Eric Black sind international bekannte Dokumentarfilmer. Ihr letzter Film AWARE – Reise in das Bewusstsein ist weltweit auf Filmfestivals, im Kino, Fernsehen und auf Streamingdiensten zu sehen. In diesem Herbst wird er auch weiterhin im Berliner Zeiss-Planetarium gezeigt.

www.aware-film.com

Jens Wazel

ist Fotograf und Videofilmer. Im Osten aufgewachsen, wohnt er nach 25 Jahren in den USA wieder in Berlin.
Sein neuer Film LIGHT | Five Days with Janet Adler hatte im Juli 2023 Premiere.

www.jenswazelphotography.com