Wird da alles auf neu gestellt?
Habt ihr Pläne, Vorsätze, Wünsche?
Warum macht man das am 31.12.?
Bärbels ungebetener Ratschlag

Eine Kolumne von Bärbel Stolz

Ich erinnere mich an den letzten Dezember: Ich gehe am Helmholzplatz entlang, es ist dunkel. Eine Frau kommt mir entgegen. Sie geht die Straße entlang mit einem Korbschaukelstuhl auf dem Kopf. Es ist der 30. Dezember um 23:20 Uhr. Es ist zu warm für Dezember, aber das ist ihr vielleicht gerade recht, denn so ist es angenehm, mit dem Stuhl zu spazieren. Ihr Schritt ist fest und bestimmt, aber nicht trotzig. Als wüssten ihre Füße schon, wohin sie sie und ihren Stuhl bringen sollen. Weiß sie es selbst? Es ist ihr egal, sie vertraut sich ihren Füßen an und dem kleinen Wind, der ein paar Blätter vor ihr her treibt. Da ist der Park. Ob sie sich dort auf ihren Stuhl setzt und dem neuen Jahr entgegenschaukelt? Sie ist einfach ausgezogen. Jetzt. Kurz vor Silvester. Die Sektflaschen stehen schon im Kühlschrank, aber die gehören nicht mehr zu ihr. Die kann er trinken oder auf die Straße schmeißen.

„Willst du das wirklich machen?“, hat er gefragt. „Jetzt. Kurz vor Silvester.“

Sie hat die Schultern gezuckt.
Warum warten? Jetzt ist gut.

Es fühlt sich mehr nach Aufbruch als nach Abschied an. Vielleicht, weil sie nichts mitgenommen hat. Nur den Schaukelstuhl. Das ist ihr Zuhause und das kann überall sein. Sie hat ihn gekauft, als sie gerade nach Berlin gekommen war. In ihrem WG-Zimmer gab es nur eine Matratze. Das Laken hat sie lieber nie abgemacht, sondern immer neue oben drauf. Wie bei der Prinzessin auf der Erbse. Immer ein Laken mehr, bis sie den Schmutz derer, die vorher darauf herumgelegen sind, nicht mehr durchspürt. Aber es war nie ihre eigene. Der Schaukelstuhl stand auf dem Flohmarkt hinter einem Stand. Auf dem Tisch davor gab es alte Feuerzeuge, die wie alte Telefone aussahen und Hunde aus Porzellan. Sie hat sich in den Schaukelstuhl gesetzt, die Hände auf die geschwungenen Lehnen, die sich gleich gut hineinschmiegten.

„Was kostet der?“, hat eine Frau gefragt.

Sie hält ihr einen Porzellanhund hin, er ist schwarz und das linke Ohr ist abgeschlagen. Sie zuckt die Schultern.

„Ich geb dir nen Fünfer.“
„Gut.“
„Hast du was zum Einwickeln?“

Unter dem Tisch liegt eine Zeitung. Sie ist von heute.

„Nein. Tut mir leid.“

Sie nimmt die Zeitung und lehnt sich im Schaukelstuhl zurück. Er knarzt freundlich.
Das tut er immer noch. Und das reicht ihr als Beständigkeit.

Keine Vorsätze fassen, das ist ihr Plan. Keine Abos abschließen. Nicht in einem Fitnessstudio, um den Körper zu trimmen. Nicht für eine Nachrichtenseite, um umfassend informiert zu sein. Nicht für eine Meditationsapp, um die negativen Nachrichten wegzuatmen. Nichts aufräumen oder klären. Alles so liegen lassen. Sich vom Jetzt überraschen lassen, ohne es mindfulness zu nennen. Gesund essen, weil es ihr schmeckt, ohne es clean eating zu nennen. Keine Meinung zu allem haben. Gucken, was kommt. Nichts erwarten. Das Herz offen lassen.

„Wo die Liebe hinfällt“, hat ihre Patentante gesagt, als sie ihr sein Foto gezeigt hat.

Ja, wo sie hinfällt, liegt sie erstmal. Hingefallen, kann nicht mehr aufstehen, arme Liebe. 

Würde sie bleiben, wenn sie wieder hochkommt? Oder ist nur liegende Liebe von Dauer?

Liegt ihre noch in der Wohnung, aus der sie gerade mit dem Schaukelstuhl gekommen ist?
Es zieht. Durch ihr offenes Herz. Ein Winterwind. Sie legt die Hände auf die Armlehnen und richtet sich auf, als würde sie lauschen.

Es fängt an zu regnen. Erst ganz leicht, wie aus einer Sprühflasche, dann werden die Tropfen dicker. Er steht vor ihr. Mit dem großen Regenbogenschirm.

„Kommst du rein?“

Sie nickt, steht auf und stülpt sich den Schaukelstuhl wieder über den Kopf. Er hält den Schirm. Dann gehen sie die Straße zurück. Neben mir fliegt eine frühe Silvesterrakete in den Himmel.

Ist es jetzt Zeit für Vorsätze? Inkonsequenter sein, sich gehen lassen, mehr lügen …

Welches ist eure Lieblingslüge?
„Du siehst viel jünger aus!“ Das freut besonders die Menschen, die man damit besonders anlügt, sehr doll, damit ist es eigentlich die beste Lüge überhaupt.

„Sieht man gar nicht“, ist die, die ich am liebsten höre, wenn ich mich über Pickel beklage.

„Wir haben alle Zeit der Welt“, hilft am meisten, wenn morgens Chaos ausbricht und ein wichtiges Kuscheltier unauffindbar ist.

Eine Sache glaub ich nicht mehr, da fall ich nicht mehr rein:

„Wir schenken uns dieses Jahr nichts.“

Da bin ich vorbereitet! Wer das behauptet und mir trotzdem „eine Kleinigkeit“ überreicht, bekommt ein Paar Socken. Und die, die übrig bleiben, trage ich.

Infobox

Bärbel Stolz

… ist Schauspielerin und Autorin. Mit ihrer Figur die Prenzlschwäbin hat sie schwäbische, deutsche und großstädtische Eigenheiten aufs Korn genommen und mit ihren YouTubeVideos und Liveauftritten Menschen im ganzen Land begeistert.

www.baerbelstolz.com

Bärbel Stolz