Von Hans-Jürgen Schatz
Ja, da fand ich mich zwischen Arno Zillmer, Angelika Mann, Môrre, Delle Kriese, Jacob Heidel und vielen anderen gestandenen Rock- und Popkünstlern wieder, um dem Publikum etwas aus dem Leben dieses sympathischen großen Jungen von der Insel Usedom zu erzählen. Arno hatte sich das gewünscht, dieser „sensationell unerträgliche Euphoriker“. Und sein Publikum hat es gemocht.
Arno, der Träumer
Arnos Lebenstraum war, ist und bleibt die Musik. Für diesen Traum hat er die Insel Usedom mit 16 Jahren verlassen. Begonnen hat der Traum in der Kindheit. Arno erinnert sich an eine frühe Begebenheit in Schwerin, wo er „das halbe Schloss zusammenschrie, nur um ans Klavier zu dürfen“, das er dort entdeckt hatte. Vom Opa auf Usedom, begeisterter Hausmusiker, ist der Satz überliefert „Der Arno soll mal einen musikalischen Weg einschlagen“.
Arnos Vater stammt aus einer Berlin-Wilmersdorfer Familie, in der das Klavierspiel hochgehalten wurde. Kriegsbedingt hat es ihn nach Usedom verschlagen. Dort wurde Arnos Mutter in Swinemünde geboren. Beide haben den Sohn auf dem künstlerischen Weg unterstützt. Mama Gisela hat gegen familiäre Bedenken die Musik für Arno durchgesetzt, aber zusätzlich auch auf einen sogenannten ordentlichen Beruf gedrängt. Papa Günter hat Arnos Wege zur Musik hilfreich und praktisch begleitet und nicht nur seinen Jungen regelmäßig zum Probenraum gefahren. Seit 1995, mit 15 Jahren, hatte der seine erste Band und mit ihr seinen ersten Bühnenauftritt. Die Eltern waren zum Jubiläum nach Berlin gekommen und sahen sich mit dem Sohn gefeiert.
Arnos Traum vom Musikerleben wurde zeitig befeuert durch die Ost-Rockmusik und durch den Hinweis des Schwagers, sich doch mal mit der Klaus Renft Combo zu beschäftigen. Er wurde früh bekannt mit den Songs von Rio Reiser und beim Texten inspirierte ihn Udo Lindenberg. Und Arno träumt immer weiter – der Träumer, der Wanderer, der Poet. Das Leben steht uns frei! heißt sein neues Album.
Übrigens: Mutter und Sohn Zillmer haben 2012 den Liederwettbewerb zur Förderung der niederdeutschen Sprache gewonnen. Gisela Zillmer ist als Autorin aktiv. Ihren plattdeutschen Text zur Affäre um den damaligen Bundespräsidenten Wulff hat Arno vertont. Auf YouTube kann man die flotte Rocknummer finden unter arno.dei fall. Es ist ein Lied über die Machenschaften der Medien und der Politik und den Aufschwung der damals aktuellen Piratenpartei. Arno sagt über seine Mama: „Von ihr hab ich’s!“
Das neue Album
Kürzlich im Podcast-Interview mit Die Kulturfritzen gefragt, wie er es denn schaffen würde, Duettpartner wie beispielsweise Angelika Mann oder Erna Pachulke für seine Alben zu gewinnen, antwortete Arno Zillmer: „Ich sprech’ die Leute einfach an. Die Kraft dazu gibt mir die Blumenwiese, die ich in mir herumtrage.“ Und so hat der Freund von Duetten für sein neues Album Das Leben steht uns frei! gleich sechs realisiert.
Dieses neue Album, von dem am Abend im Columbia fünf Songs eine echte Premiere erlebten, ist ganz bewusst kein Konzeptalbum geworden. Kein an eine bestimmte Zielgruppe gerichtetes Album. Es fragt nicht nach dem Mainstream. Arno ist Arno geblieben und das „offensiver als je zuvor. Jeder, jede, jedes – soll sich in meiner Musik, in meinen Liedern wiederfinden können“.
Während der Krise der langen Monate seit 2020, die nicht zuletzt die freischaffenden Künstler besonders hart getroffen hat, hat Arno eine „total geile Egal-Haltung entwickelt“ und sich getraut, für dieses neue Album einfach zu machen, worauf er Lust hatte. Die Hälfte der Lieder auf der Platte sind neueLieder. Die andere Hälfte bezeichnet Arno als einen „gehobenen Schatz alter Lieder“ aus seinem Fundus unveröffentlichter Songs. Das neue Album Das Leben steht uns frei! sei sein wahrhaftigstes.
Wie die beiden vorangegangenen Alben, Der Wanderer (2011) und Ost West Rock (2017), hat es unbedingt mit Arnos Leben zu tun, nicht nur, weil es mit Berlin anfängt (Alexander platzt) und mit Berlin aufhört (Immer Berlin!). „2003 ist Berlin meine Heimat geworden und wird es immer bleiben.“ Das freut die Berliner und sie teilen gerne den steten Pendler Arno mit der Insel Usedom.
Die Zahl 40 an seinem Geburtstag im Jahr 2020 hat ein besonderes Nachdenken bei Arno ausgelöst. „Mit 40 hat man keine illusionären Träume mehr“, sagt er und sieht sich in der zweiten Lebenshälfte angekommen. Der Poet Arno Zillmer hat sich in seinen Songs immer gefragt: Was machen wir mit unserer Zeit und was macht die Zeit mit uns? Mit über 40 sucht er eine Antwort auf die Frage: „Wie geht man mit der verbleibenden Zeit um?“
Erstmalig hat der Sänger und Gitarrist ein Album selbst produziert. Die inhaltlichen Aufgaben hat er sich im Weimarer Studio mit dem Bassisten Robert Boddin als zweitem Produzenten geteilt. Arno ist der gestalterische Produzent und nun auch für die Arrangements der elf von ihm geschriebenen Songs verantwortlich.
Arno, der Wanderer
Auf Arnos Traum vom Musikmachen, Musik leben, Musik sein bezogen, bedeutet das wohl, dass er schon in ganz jungen Jahren gereist, gewandert, geflogen ist in eine andere Welt, sozusagen „auf den Flügeln des Gesanges“. Als es später um den „ordentlichen“ Beruf ging, da nahm das Leben erstmal einen anderen Weg. Mit 16 ging Arno nach Stralsund, um das Fachstudium zum Erzieher, später zum Sozialpädagogen aufzunehmen, das er 2002 erfolgreich abschloss. „Musikalisch-künstlerisch weiterbilden und zunehmend professionalisieren musste ich mich außerhalb des Studiums“, sagt Arno.
2003 der große Schritt nach Berlin und in sein Berufsumfeld, das bis heute ein Brennpunkt ist, nämlich am Kottbusser Tor. Jugend- und Freizeitpädagogik, Straßensozialarbeit, Betreuung von Drogen konsumierenden minderjährigen und obdachlosen Jugendlichen forderten Arno viel ab. Er beschreibt diese Jahre am Kotti als „intensivste Zeiten“, die ihn am meisten gelehrt haben. Er hat diese Arbeit gerne und mit Erfolg gemacht, hat sie jedoch nach drei Jahren aufgegeben, weil er von seinem Verdienst kaum leben konnte. Und natürlich nahm die Musik einen immer größeren Platz in seinem Leben ein.
Besonderen Auftrieb in jungen Jahren gab 2008 der Bühnenauftritt bei Udo Lindenberg und die Bekanntschaft mit ihm. Es wurde eine prägende Begegnung. Lindenberg hat sich auseinandergesetzt mit Arnos Songs, wovon das zentrale Lied damals Sonne war, das 2011 auf dem Album Der Wanderer erschien. Öfter haben die beiden miteinander an der Bar gequatscht und dabei verpasste Udo dem Arno den Spitznamen „Arno aus Schmusedom“.
Arnos pädagogisches Herz schlägt nach wie vor leidenschaftlich für die Betreuung, das Coaching von Jugendlichen im musikalisch-künstlerischen Bereich. Flaggschiff all seiner Initiativen ist derzeit die regelmäßige Open-Mic-Reihe in der WABE in Prenzlauer Berg. Erste Erfahrungen mit Open Mics hat Arno in den Jahren 2013–2015 auf Reisen nach England gemacht. Er möchte anderen Musik ermöglichen, organisiert das alles ehrenamtlich und bringt seine Erfahrungen als Musikpädagoge ein.
Arnos Weg über 25 Jahre ist ein weiter, kämpferischer und erfolgreicher Wanderweg. Und die Wanderschaft der „alten Poptante“ Arno Zillmer, wie er sich klassischen Musikern gegenüber gerne abgrenzt, geht weiter. Mit der „Schlüpperstimme“.
Als wir während der Vorbereitungen zum Columbia-Abend einmal telefonierten, fragte ich: „Arno, was ist denn eine Schlüpperstimme?“ Er zögerte und sagte dann: „Das ist schwer zu beschreiben, ich sitze gerade in der Bahn.“ Und prustete los.
Ein paar Minuten später kam die Aufklärung per WhatsApp: „In jungen Jahren, bei den ersten Rockkonzerten, warfen mir Mädels allen Ernstes Schlüpfer auf die Bühne, weil sie meine Stimme so toll fanden, besonders wenn ich tief gesungen habe. Da war sie geboren, die Schlüpperstimme. Beim neuen Duett mit Angelika Mann singe ich ja nun in dieser Lage und ich merke, sie funktioniert immer noch.“
Ost West Rock
Ost West Rock heißt das zweite Album, das Gunther Laudahn 2017 mit Arno produziert hat. Mit der Thematik und Problematik „Ost-West“ ist Arno aufgewachsen. Als 1989 die Mauer fiel, hatte er gerade seinen 9. Geburtstag gefeiert. Bis dahin kamen Verwandte aus dem Westen zu Besuch. Ab 1997 ist Arno regelmäßig nach Berlin gefahren, der Musik wegen. Sagt er. Berlin, das war für ihn gleichbedeutend mit Rock ‘n’ Roll, mit der Musik, die er machen wollte. Aber hier gab es auch ein anderes Nachtleben als am Studienort Stralsund.
Als die Idee zum Album Ost West Rock geboren wurde, fand Arno das großartig, denn selbst knapp 30 Jahre nach der Wende konnte ein solcher Titel noch polarisieren, man konnte damit ein Zeichen setzen, konnte die noch immer bestehende Mauer in den Köpfen der Menschen thematisieren. Das war das Konzept des Albums.
Ost-West, das ist in manchem auch 2021 immer noch ein Gegensatz. Gegensätze sind Arno nicht fremd. Seine Lieder sind voll davon. Einmal heißt es zaghaft: „Sonne, gib mir den Mut für den Sprung zu mir“, ein anderes Mal möchte der gelernte Kleinstädter weit hinaus aus der Enge und „Sex mit der ganzen Welt“ haben. Er singt eine neue Liebe an und ruft einer verflossenen trotzig eine meiner Lieblingszeilen nach: „Kauf dir doch ‘ne Katze und seid beide arrogant.“ Mut und Furcht, Glück und Enttäuschung, Lachen und Weinen liegen auch in Arnos poetischer Welt, hinter der sich sein Leben verbirgt, ganz nahe beieinander. Arnos Sternzeichen ist Skorpion. „Aber erster Tag. Ich hab noch ganz viel von der Waage.“ Stimmt.
Infobox
- Arno Zillmer, geb. 1980, Insel Usedom
- 1997 – Studium der Sozialpädagogik und Musik in Stralsund
- 2003 – Musiker und Straßensozialarbeiter in Berlin
- 2011 – Album Der Wanderer
- 2013 – England-Reisen, Entwicklung der Open Mic Show
- 2017 – Album Ost West Rock
- 2018 – erstmals Gastgeber Arno Zillmers Open Mic in der WABE Berlin
- 2021 – Album Das Leben steht uns frei!
- 15.12.21 – Jahresfinale Open Mic in der WABE Berlin
- 19.01.22 – Saisonstart Open Mic in der WABE Berlin
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