In der Comedy ist sie genauso zu Hause wie in anspruchsvollen Fernsehrollen: Bettina Lamprecht möchte dem Zuschauer abverlangen mitzudenken und seine eigenen Gefühle zuzulassen. Wir sprachen mit ihr über ihre Rollenwahl, wie sie die Corona-Zeit erlebt hat, wie sie Dreharbeiten mit der Familie verbindet und was ihr an ihrer Arbeit wichtig ist.
Mein/4: Du kommst aus einem kleinen Dorf in Thüringen. Ich habe gelesen, du hast es geliebt alleine durch die Wälder zu ziehen. Klingt nicht nach jemanden, der das breite Publikum als Schauspielerin sucht?
Bettina Lamprecht: Ich bin in einer Familie groß geworden, in der immer irgendwie gespielt wurde – egal, ob Musik oder Kabarett. Meine Mutter gründete das erste Kinder- und Jugendkabarett in dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin. Das hat die Lust und Leidenschaft für die Bühne in mir geweckt. Meine Mutter schrieb die Texte, mein Vater spielte Klavier, wir starteten mit drei Kindern, und am Ende waren wir zehn oder elf.
Mein/4: Nach deiner Ausbildung in Hannover hast du auch Kurse in New York besucht. Ein ziemlich großer Schritt, wie kam es dazu?
Bettina Lamprecht: Ich war das erste Mal 1997 in New York. Damals war es eine komplett andere Welt für mich. Dann ist meine Schwester hingezogen. Sie lebt und arbeitet dort als Künstlerin jetzt seit über 20 Jahren. Und über sie habe ich meinen Mann kennengelernt. In den Nullerjahren war ich häufig bei ihm. Wir haben zusammen in seinem staubigen Atelier in Brooklyn gewohnt, sind zum Duschen ins Schwimmbad gefahren, haben Malerjobs gemacht und dazwischen habe ich auch ein paar Kurse besucht, genau.
Mein/4: New York war ein Corona-Hotspot, wie ist es deiner Schwester ergangen?
Bettina Lamprecht: Gut. Sie ist rechtzeitig mit ihrer Familie nach Upstate New York aufs Land „geflohen“. Da ist sie seitdem. Viele Freunde von uns sind allerdings in der Stadt geblieben. Manche haben sich Fitnessgeräte aufs Dach gebaut. Andere sind an Covid-19 erkrankt und hatten schwere Wochen.
Mein/4: Wie seid ihr nach Berlin gekommen?
Bettina Lamprecht: Ich habe zu der Zeit wegen Ladykracher in Köln gelebt. Weil eine Fernbeziehung auf Dauer nicht so richtig „fetzig“ ist, hat mein Mann irgendwann gesagt: „Ich komme. Allerdings nur nach Berlin!“
Mein/4: Und dann? Ganz gezielt in den Wedding?
Bettina Lamprecht: Wir haben zuerst acht Jahre in Prenzlauer Berg gewohnt, in der Stargarder Straße. Den Wedding kannten wir ein kleines bisschen, viele befreundete Künstler haben hier ihre Studios. Durch Zufall haben wir dann unsere Wohnung gefunden. Einige Freunde von uns, die schon ihre Ateliers hier hatten, sind zur gleichen Zeit hergezogen. Das hatte anfangs etwas von Campusgefühl. Gleichzeitig existieren so viele andere Welten hier nebeneinander. Das finde ich sehr entspannend.
Mein/4: Durch Corona haben Kunst und Kultur sehr gelitten, Theater wurden geschlossen, Dreharbeiten abgesagt. Wie hast du die Zeit erlebt?
Bettina Lamprecht: Ich habe es genießen können. Das betrachte ich wirklich als Privileg. Es gibt genug Beispiele von sozialen Voraussetzungen, unter denen ich die Zeit nicht hätte erleben wollen. Ich hatte auch das große Glück, dass drei Projekte, bei denen ich mitgemacht habe, noch von Januar bis März Premiere feiern konnten. Eine Woche später hätte es wahrscheinlich keiner mehr mitgekriegt, weil jeder andere Sachen im Kopf hatte. Oder die Kinos geschlossen waren. Oder die Nudeln ausverkauft. Ich habe das sehr genossen, so viel zu Hause zu sein. Ich habe das erste Mal in meinem Leben UNO gespielt.
Mein/4: Du sprichst es an: Du hast Dreharbeiten überall und wahrscheinlich nie vor der Haustür. Wie funktioniert das in der Familie? Ist sie dabei?
Bettina Lamprecht: Wir waren immer Fans von einer gemeinsamen Basis, vor allem für das Kind. Es sollte sich nicht in irgendwelchen Wohnwagen am Set langweilen. Für andere mag das super funktionieren, für uns nicht. Also bin ich einfach immer sehr viel hin- und hergefahren.
Mein/4: Bekannt geworden bist du mit verschiedenen Comedyformaten. Angefangen bei Switch, Ladykracher, Heute Show, Pastewka – ist das dein bevorzugtes Genre? Oder Zufall?
Bettina Lamprecht: Eigentlich ist es Zufall, denn mit Fernsehen hatte ich so gar nichts am Hut. Wahrscheinlich ist es aber nicht total unbegründet. Ich denke, es hat etwas mit der Haltung zu tun, Dinge von der humorigen Seite zu betrachten.
Mein/4: Bei dir ist das Glas also halbvoll?
Bettina Lamprecht: Ja, das glaube ich schon, ansonsten schmeckt mir das Getränk echt viel zu bitter.
Mein/4: Dein letztes Filmprojekt war die Buchverfilmung „Unterleuten“ von Juli Zeh. Ein ganz anderes Genre. Was hat dich daran gereizt?
Bettina Lamprecht: Ich hatte vorher schon zweimal mit Matti Geschonneck gearbeitet. Wie alle meine Kollegen schätze ich ihn unendlich. Er hat ein unglaublich gutes Gespür für Schauspieler. Er weiß, wie wir uns wohlfühlen, die wir uns ja selten wohlfühlen. Als er mir die Rolle angeboten hat, gab es das Drehbuch noch nicht, also habe ich erst das Buch gelesen und es verschlungen. Ich als Dörfler konnte wirklich viel damit anfangen und es war an Relevanz nicht zu überbieten. Aber wahrscheinlich würde ich alle Projekte, die Matti macht, blind zusagen.
Ehrlich gesagt ist mir das sehr wichtig und wird immer wichtiger: dass ich mit guten Leuten zu tun habe, gut im Sinne von sich vertrauen, sich beflügeln, sich wertschätzen und Freude haben an dem, was man macht. Diese Konstellation zu finden ist gar nicht so einfach. Wenn man das mal hatte, dann will man das immer wieder.
Mein/4: Dein Gesicht ist vielen Leuten bekannt, kannst du friedlich durch die Straße gehen?
Bettina Lamprecht: Absolut! Speziell im Wedding interessiert es niemanden, was ich mache. Das ist ein so gut durchmischter Stadtteil. Da wäre es fast lustig, wenn man mich erkennt. Aber auch anderswo kommt es nicht zu Fanstürmen.
Mein/4: Ihr habt über 15 Jahre die Comedyreihe „Pastewka“ gedreht, ein langer Zeitraum. Wenn man Interviews der Darsteller liest, scheint es ein sehr freundschaftliches Verhältnis gewesen zu sein. War das so?
Bettina Lamprecht: Jetzt, wo es vorbei ist, kann ich hier in mein/4 die Wahrheit sagen (klopft auf den Tisch): „Es sind alles Arschlöcher“ (lacht). Nein, im Ernst, wir sind wirklich immer noch befreundet, und es ist eine parallel-existente Familie. Wir haben unseren Gruppenchat, in dem wir regelmäßig schreiben. Nur Basti ist nicht drin. Den will nun wirklich keiner dabei haben. Er schickt trotzdem ständig Schlagermusikvideos, außerhalb vom Chat.
Mein/4: Gibt es Momente, in denen du Angst hast, als Schauspielerin nicht mehr gefragt zu sein?
Bettina Lamprecht: Ich habe keinen Plan B, so viel kann ich schon mal vorwegnehmen. Im Moment bin ich zumindest „gefragter” als in den 20 Jahren, in denen ich jetzt schon professionell arbeite und damit mein Geld verdiene. Das macht mich glücklich. Lass mir die paar Jahre Glück – den Rest sehen wir später.
Mein/4: Gibt es Rollen, die du ablehnst, weil du sie nicht kannst, oder weil du sie nicht willst? Warum?
Bettina Lamprecht: „Will ich nicht“ gibt es ganz oft. „Kann ich nicht“ bestimmt auch. Aber das sind dann eher Rollen, die ich bei anderen sehe. Die werden mir gar nicht angeboten. Obwohl, neulich war ich bei einem Casting, da dachte ich während des Spielens: „Ich glaube, das kann jemand anderes besser. Das ist nicht richtig gut, was du machst.“ Komischerweise kam ich trotzdem weiter. Für „will ich nicht“ gibt es viele Beispiele. Die ganze „Schmonzettenabteilung“! Das ist nur der Gipfel dieser manipulativen Art, dem Zuschauer vorzuschreiben, wie er zu fühlen und zu denken hat. Da kriege ich Bauchschmerzen. Mich interessiert es Fragen zu stellen und den Zuschauer als eigenständig denkenden und fühlenden Menschen seinen Grundrechten zu überlassen. Dieses beantwortende Fernsehen ist für mich der Tod.
Mein/4: Und welche Rolle oder Figur reizt dich?
Bettina Lamprecht: Doppelagentin, ich weiß zwar nicht, was das genau ist, aber es hört sich besser an als nur Agentin (lacht). Das Spiel im Spiel hat mich schon immer fasziniert.
Mein/4: Liebe Bettina, danke für deine Zeit.
Bettina Lamprecht studierte von 1995 bis 1999 an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover und 2002 am Ward Studio in New York City. Zwischen 1999 und 2000 war Lamprecht Teil des Ensembles der Comedy-Serie Switch. Seit 2001 Auftritte neben Anke Engelke und Christoph Maria Herbst in der Comedy- Serie Ladykracher. Von 2005 bis 2020 spielte sie in der Sat.1-Comedy- Serie Pastewka Svenja Bruck. In der ZDF-Sendung heute-show verkörperte sie zwischen 2010 und Februar 2015 die Reporterin Petra Radetzky. Von 2015 bis 2017 spielte sie die Hauptrolle der Betty Dewald in der ZDF-Vorabendserie Bettys Diagnose. In 2020 Rollen in Die Känguru-Chroniken und Unterleuten – Das zerrissene Dorf. Bettina Lamprecht ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt in Berlin-Wedding.