Kurz und knapp … wer bist du?
Ich bin Andreas Dresen und von Beruf Filmregisseur.
Du hast 12 Jahre an Gundermann gearbeitet, warum war dir das wichtig?
Ich war und bin Fan seiner Musik und seiner Texte und habe mich nach seinem viel zu frühen Tod mit meiner guten Freundin und Drehbuchautorin Laila Stieler darüber unterhalten, dass das Leben von Gundermann ein toller Stoff für einen Film sein könnte.
Er ist ja ein sehr ungewöhnlicher Charakter: Kommunist und gleichzeitig Kritiker der DDR-Verhältnisse, ein Bergarbeiter, der in der Braunkohle die Erde aufgerissen hat, aber auch Kämpfer für den Umweltschutz war. Auf der einen Seite hat er für die Stasi gearbeitet und ist auf der anderen Seite selbst bespitzelt worden. Wir wollten anhand dieses Lebens eine exemplarische Geschichte über die DDR und die Umbruchzeit erzählen.
Ein Film, der die DDR erklärt?
Nun ja, das ist wohl schwer möglich. Aber er schlug ein wie eine Bombe, damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet, weil uns über die Jahre der Stoffentwicklung immer wieder gesagt wurde: „Das will doch keiner sehen, so einen singenden Baggerfahrer.“ Insofern waren wir dann sehr überrascht, als der Film plötzlich erfolgreich wurde. Und insbesondere Leute aus dem ehemaligen Westen sagten häufig: „Jetzt haben wir ungefähr verstanden, wie ihr gelebt habt.“
Es gibt auch eine Band …
Ich spiele mit Alexander Scheer und Jürgen Ehle von Pankow in einer Band Konzerte mit Gundermann-Liedern. Es gibt offensichtlich ein großes Bedürfnis, die Lieder live zu hören, Leute kommen dafür kreuz und quer durch die Republik gefahren. Wenn Gundi wüsste, dass seine Lieder jetzt auch auf die Reise in den ehemaligen Westen gegangen sind und immer noch von verschiedenen Bands in ausverkauften Locations gespielt werden … Mehr kann man sich eigentlich nicht wünschen.
Bist du ein „ostdeutscher Regisseur“?
Ich bin im Osten geboren, bin dort aufgewachsen und sozialisiert – und das werde ich natürlich mein Leben lang mit mir herumtragen. Ich habe auch kein Problem damit, wenn ich als ostdeutscher Regisseur bezeichnet werde, darauf bin ich eher stolz. Ich finde es trotzdem lustig, denn man würde ja nie auf die Idee kommen, beispielsweise Christian Petzold als westdeutschen Regisseur zu bezeichnen, über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung.
Und deine Themen?
Was die Themen betrifft, spielt das manchmal eine Rolle und manchmal nicht. Wenn ich zum Beispiel einen Film über Rabiye Kurnaz mache, hat das mit Ostdeutschland überhaupt nichts zu tun, das ist ein internationaler Stoff. Timm Thaler hat auch nichts mit der DDR zu tun, höchstens dass es in dieser Geschichte auch um bestimmte soziale Fragen geht. Ich habe immer alles Mögliche gemacht und in manchen Geschichten schlägt das Ostdeutsche sicherlich mehr durch, in anderen weniger.
Rabiye Kurnaz?
Ich habe jetzt nach fast zwei Jahren Arbeit einen neuen Film fertiggestellt: Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush. Es geht um die Mutter von Murat Kurnaz, einem in Deutschland geborenen Türken, der von 2001 bis 2006 unschuldig in Guantanamo gesessen hat. Wir erzählen die Geschichte seiner Mutter Rabiye, einer türkischen Hausfrau aus Bremen, die zusammen mit dem Strafverteidiger Bernhard Docke dafür gekämpft hat, ihn freizukriegen. Sie hat unter anderem vor dem Supreme Court, dem höchsten amerikanischen Gericht, George W. Bush verklagt und gewonnen. Das ist ein Projekt, das mich schon seit 2008 begleitet und jetzt konnten wir es endlich realisieren.
Deine Filme erzählen nah am Leben …
Man erzählt vor allen Dingen vom Herzen. Und das, was einem wichtig ist. Lachen und Weinen gehören zum Leben und für mich auch in Filme: dieses irdische Theater auszuschreiten mit allen seinen Höhen und Tiefen, mit allen positiven wie auch negativen Gefühlen. In einer guten Komödie muss man auch weinen können und in einer guten Tragödie lachen.
Hat das auch etwas mit dem Osten zu tun?
Die DDR war eher das Land der kleinen Leute als des Großbürgertums. Und ich bin mit einer solidarischen Sicht auf die Menschen groß geworden, die man damals Arbeiterklasse nannte: die Leute, die das Bruttosozialprodukt im Land schaffen und heutzutage in Film und Fernsehen viel zu selten vorkommen. Daher habe ich eine gewisse Affinität zu Leuten, die in der „normalen“ Welt unterwegs sind, die arbeiten dann eben in der Imbissbude, bei der Post oder als Straßenbahnfahrer.
Arbeitest du viel dokumentarisch?
Ich bemühe mich immer, dass die Leute aus dem Kino gehen und das Gefühl haben „Ja, so ist das, so erlebe ich das auch“. Obwohl es natürlich keinen schlechteren Ort gibt als das Kino, um die Wirklichkeit zu erleben. Wenn man die Wirklichkeit erleben will, sollte man auf die Straße gehen oder aus dem Fenster gucken, aber nicht ins Kino gehen. Ein Film ist ein künstlerisch verdichtetes Abbild von Leben und ich habe lustigerweise ganz häufig die Erfahrung gemacht, dass die Leute gesagt haben „Ja, genau so ist es“, wenn die Filme ganz besonders absurd verfremdet waren.
Manche deiner Filme sind improvisiert …
Insgesamt drei und es gibt auch ein paar Filme, wo ich normales Drehen und Improvisiererei vermischt habe, z. B. Sommer vorm Balkon. Das sind dann aber Filme, die kein großes Team haben, bei den rein improvisierten Filmen waren wir sowieso nur sieben Leute. Ich komme eigentlich aus dem Amateurfilm und ich mag es, einfach loszuziehen mit Freunden, da kann man dieses industrielle Gedöns, das auch zum Filmen dazugehört, mal über Bord werfen.
Aber bei großen Produktionen ist es schwierig, wenn man sich so ein Reich der Freiheit erschaffen will, denn da kollidiert man dann natürlich mit dem Aufwand, mit dem Apparat. Ich habe zuletzt tendenziell eher größere Filme gemacht, da ist naturgemäß weniger Raum, um so frei zu drehen.
Du bist der Chef am Set?
Das muss ich sein, denn wenn da 50 bis 80 Leute arbeiten, muss einer die Ansagen machen und die Richtung festlegen. Film ist wie kaum eine andere Kunstgattung von der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Menschen geprägt. Ich brauche die Kreativität und auch die Liebe von den anderen Leuten am Set, nicht zuletzt von den Schauspielern. Und so versuche ich eine Atmosphäre zu schaffen, in der jeder Lust hat, sich einzubringen. Deswegen habe ich auch immer schon etwas gegen die Formulierung „Ein Film von …“ – und dann steht da in möglichst dicken Lettern der Name des Regisseurs. Das gibt es bei mir in den Filmen grundsätzlich nicht. Bei Halbe Treppe steht vor dem Abspann „Ein Film von“ und dann kommen die Namen aller Beteiligten, und das finde ich eigentlich richtig so.
Ansonsten mache ich die Regie, ich muss alles zusammenhalten und bin derjenige, der den roten Faden der Geschichte spinnt und auch irgendwie Stellvertreter des Zuschauers ist: Ich muss im Zusammenspiel der ganzen Gewerke die Wirkung beurteilen und gucken, dass alles am Schluss eine Geschichte ergibt, die Menschen hoffentlich interessiert.
Wie war das Filmen in Amerika?
Wir haben für den letzten Film in Washington und Ankara gedreht. Das Arbeiten mit sehr flachen Hierarchien, wie ich es persönlich mag, geht in Amerika eigentlich nicht, da wird von oben nach unten gearbeitet. Wenn ich etwas gesagt habe am Set, dann haben die immer mit „Yes, Sir!“ geantwortet, wie beim Militär. Aber die Leute waren nett und wir hatten trotzdem im Rahmen der Möglichkeiten unseren Spaß. Aber mir hat es in der Türkei viel mehr Laune gemacht, da war es freier, die Leute waren auch toll und professionell, aber es war ein bisschen mehr Rock‘n‘Roll, das liebe ich halt.
Du bist auch Professor …
Ich habe in Rostock seit dreieinhalb Jahren eine Professur für Filmschauspiel und versuche den Schauspielstudenten beizubringen, wie man vor einer Kamera agiert.
… und Verfassungsrichter!
2012 wurde ich für 10 Jahre in das Landesverfassungsgericht Brandenburg gewählt. Momentan bin ich der einzige Laie, die anderen sind alle Volljuristen. Ich bringe meine Lebenserfahrung als Bürger und auch Filmemacher ein und erlebe dort sehr hautnah, wie demokratische Prozesse ablaufen. Jeder kann eine Verfassungsbeschwerde einreichen und dann werden sich neun Verfassungsrichter darüber beugen und damit auseinandersetzen, das finde ich gut.
Wie ging das los mit dem Filmen?
Eigentlich wollte ich mal Pilot werden, aber da musste man in der DDR 10 Jahre zur Armee, da hatte ich schlagartig keinen Bock mehr. Dann habe ich als Jugendlicher von meinem Vater eine Schmalfilmkamera geschenkt bekommen, eine AK 8. Damit habe ich angefangen Filme zu drehen und die Lust am Erzählen mit der Kamera ist geweckt worden.
Was kommt als Nächstes?
Ich werde dieses Jahr hoffentlich wieder drehen, und nächstes Jahr kommt dann ein Stoff, an dem ich schon eine halbe Ewigkeit arbeite und den viele Leute aus dem Osten kennen werden: die Neuverfilmung der Weihnachtsgans Auguste. Das ist ein bisschen aufwendiger, weil wir es mit einer animierten Gans machen wollen.
Ich bereite auch wieder eine Oper vor. Ich habe ja früher am Theater Schauspiel gemacht, aber momentan sind es überwiegend Opern. Oper ist schon was sehr anderes als Film, da muss man weg vom Realismus. Im Gegensatz zum wirklichen Leben wird nämlich ständig gesungen.
Vielen Dank!
Video: www.jenswazelphotography.com/Series/Stories/Andreas-Dresen
Andreas Dresen
ist ein Film-, Theater- und Opernregisseur. Sein neuer Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ kommt im April in die Kinos.
Jens Wazel
ist ein Berliner Fotograf und Videofilmer. Seine Ausstellung über Anna Halprin ist noch bis Ende März bei Einar & Bert zu sehen.
Fotos: Andre Röhner, Jens Wazel