„Kurz und knapp“ ist eine Interview-Serie des Berliner Fotografen Jens Wazel.

Leiterin des Tanzensembles cie. toula limnaios.

Kurz und knapp … wer bist du?

Ich bin Choreografin und künstlerische Leiterin des Tanzensembles cie. toula limnaios.

Was für Tanz macht ihr?

Wir machen zeitgenössischen Tanz. Wir beschäftigen uns mit aktuellen Themen und wünschen uns, dass sich die Zuschauer mit dem, was sie auf der Bühne sehen, identifizieren können…

Was sind das für Themen?

Die Themen sind sehr unterschiedlich. Im Stück wut wollte ich mich zum Beispiel mit der Emotion Wut auseinandersetzen, denn ich habe das Gefühl, dass unsere Gesellschaft sehr anonym geworden ist, fast ohne Farbe, ohne Geruch. Ich finde es nicht gut, sich immer anzupassen, es ist unser Recht als Menschen zu streiten und zu kämpfen für das, was wir lieben. Das ist ein Beispiel, die Umwelt ist ein anderes: Wohin gehen wir, wie können wir den Planeten besser für unsere Kinder und Enkelkinder hinterlassen.

Wie setzt du das um?

Zunächst mache ich für ein paar Monate meine eigene Recherche. Wenn ich dann mit den Tänzern im Studio bin, ist erst einmal alles möglich und ich sage zu nichts Nein. Ich erkläre kein fertiges Bild, sondern nehme oft indirekte Wege. Wir arbeiten viel mit Improvisation und auch mit Gedichten oder Texten, und langsam fokussiert sich dann der Blick.

Es ist so wie ein Haus zu bauen, aber es ist nicht logisch, denn wir fangen vielleicht mit den Fenstern an, ohne schon eine Wand zu haben. Ich mache viele Skizzen und versuche, einen organischen Faden zu finden, ohne dass es zu erzählerisch wird. Ich arbeite sehr viel mit freier Assoziation, denn ich möchte, dass jeder Zuschauer seine eigene Bedeutung in unseren Stücken sehen kann.

Geht das über den Kopf, den Körper, das Herz?

Für mich wäre es schön, wenn es körperlich und mit dem Herzen wäre. Aber jeder Mensch ist anders und es gibt Zuschauer, die versuchen es intellektuell zu verstehen, anstatt sich in einer Vorstellung einfach treiben zu lassen. Manchmal ist es schwierig, einfach nur da zu sein und den Kopf frei und offen zu halten.

Die Worte im Programmheft gehen auch erstmal in den Kopf …

Ich überlege mir immer sehr, sehr lange, wie ich es schreiben kann, damit es nicht zu ausdrücklich gesagt wird, weil ich weiß, dass Worte so stark sind. Ich versuche eine Balance zu finden, was nicht einfach ist und mir bestimmt auch nicht immer gelingt. Manchmal denke ich, dass wir gar kein Programmheft mehr machen sollten, so wie Pina Bausch, die hat keinen einzigen Text geschrieben und nur den Titel angekündigt.

Du bist ursprünglich aus Griechenland?

Ja, ich bin aber in Brüssel aufgewachsen, wo ich auch studiert habe. Später war ich dann in Essen im Folkwang Tanzstudio unter der künstlerischen Leitung von Pina Bausch. Da habe ich auch meinen Mann kennengelernt, den Komponisten und Musiker Ralf Ollertz. Mit ihm habe ich 1996 das Ensemble gegründet.

Wie wichtig ist Musik in euren Stücken?

Eine enge Verbindung zwischen Tanz und Musik ist mir sehr wichtig, und alle Stücke sind zusammen mit Ralf entstanden. Das Besondere dabei ist, dass ich nicht mein Stück habe und er kreiert dann seine Musik, oder umgekehrt – wir entwickeln Tanz und Musik zusammen, gleichzeitig. Das ist eine aufregende Arbeit und eine schöne Kollaboration.

Ralf kommt sehr oft in die Proben, schnuppert die Atmosphäre und probiert etwas mit dem, was er sieht. Dann reden wir darüber. Manchmal habe ich eine Idee für eine Musikrichtung, aber Ralf arbeitet sehr autonom. Es wäre langweilig, wenn die Musik nur Dekoration ist, oder wenn der Tanz genau einer Musik folgen würde.

Besprecht ihr Projekte am Frühstückstisch?

Am Anfang haben wir die ganze Zeit auch zu Hause gearbeitet, aber das machen wir nicht mehr, da haben wir eine gute Balance gefunden. Klar fällt uns ab und zu noch etwas ein, aber dann ist Schluss..

Deine Stücke sind sehr energetisch, sehr körperlich …

Diese Körperlichkeit ist mir sehr wichtig. Ich habe viele Quellen – literarisch, visuell oder philosophisch – und ich versuche, all das in den Körper zu übersetzen, denn Tanz ist Bewegung. Das ist sehr intensiv, auch weil es in unserem Raum keinen Ausgang gibt: Die Tänzer sind die ganze Zeit – oft 70 Minuten lang – auf der Bühne, deswegen muss ich für jeden Tänzer an die gesamte Dramaturgie denken. Aber ich liebe das.

Dein Ensemble ist sehr international …

Ich achte beim Vortanzen nie auf die Nationalität, aber ich mag das Internationale, weil jeder etwas Besonderes von seiner Kultur mitbringt, und das ist eine große Bereicherung für unseren gemeinsamen kreativen Prozess. Im Moment haben wir einen Japaner, eine Polin, zwei Brasilianer, drei Italiener und einen Spanier.

Sind die Tänzer schon lange dabei?

Ja, manche schon 10 oder 15 Jahre. Das ist eine lange Zeit für ein freies Tanzensemble. Es ist wie in jeder Beziehung: Es macht einen Unterschied, ob du nur ein Projekt zusammen machst oder ob du Kontinuität hast und tiefer gehen kannst. Alle Mitglieder der cie. toula limnaios sind sozialversichert fest angestellt.

Wie geht das?

Wir sind ein freies Ensemble, werden institutionell vom Senat unterstützt, aber wir sind kein Stadttheater. Das ist einzigartig, nicht nur in Berlin, sondern deutschlandweit. Das ist aber erst seit sechs Jahren so, vorher haben Ralf und ich ganz viel gekämpft und auch privat viel Geld investiert.

Habt ihr eine eigene Spielstätte?

Wir sind 1997 nach Berlin gekommen. 2000 haben wir dann eine leere Halle in Prenzlauer Berg entdeckt und konnten sie mieten, zunächst als Proberaum und seit 2003 auch als Spielstätte. Wir haben selbst viel investiert und konnten 2016 dank einer Förderung durch die Lottostiftung eine große Renovierung machen. Das Haus gehört mittlerweile einer Schweizer Stiftung, und wir haben einen Mietvertrag für 25 Jahre. Wir sind viele Risiken eingegangen, aber wir sind auch immer belohnt worden.

Tourt ihr auch?

Ja, wir touren sehr viel. Im Juli waren wir in Finnland und im September reisen wir nach Kanada, Italien, Georgien, Panama und Nicaragua. Wir zeigen dort nicht nur eine Vorstellung, sondern ich mache auch Vorlesungen oder Workshops, und es gibt einen Austausch mit anderen Künstlern, das ist uns sehr wichtig. Wir waren zum Beispiel schon sieben Mal in Brasilien, da gibt es Organisationen in unterschiedlichen Städten, die uns immer wieder einladen, und wir haben eine feste Kooperation mit einem Theater dort.

Wir werden vom Goethe-Institut und vom Auswärtigen Amt unterstützt und repräsentieren dabei die Tanzszene von Deutschland, von Berlin. Und wir haben begonnen, ein neues Netzwerk für zeitgenössischen Tanz, mit Ensembles aus Europa unter dem Namen utopia aufzubauen.

Ist Berlin ein Zentrum für Tanz?

Ein Zentrum in Europa eher nicht. Gerade in den letzten zehn Jahren gibt es viele Leute, die nach Berlin kommen, ein paar Projekte machen und dann nach ein oder zwei Jahren wieder gehen. Es gibt wenig Kontinuität, das finde ich schade. Viele zeigen dann auch nur Solos oder Duos, vielleicht fehlt der Mut und auch das Geld, größere Stücke zu machen. Ich habe das Gefühl, dass die junge Generation verwöhnter ist und dass sie Angst haben, das ganze andere Leben zu verpassen, wenn sie sich auf einen Ort einlassen. Aber du kannst nicht überall sein, und du musst Prioritäten setzen.

Tanzt du noch selbst?

Zu Anfang habe ich noch viel getanzt, aber dann irgendwann aufgehört, denn ich wollte mich ganz auf die Komposition und auf die Tänzer fokussieren. Wenn ich heute selbst tanzen will, dann mache ich Solos, aber nicht, weil ich mich auf der Bühne zeigen will, sondern nur, wenn ich wirklich etwas teilen möchte.

Gerade bei einem Solo ist die eigene Lebenserfahrung immer eine wichtige Quelle. Wie bei the rest of me, wo das Thema ist, dass man auf seinem Lebensweg viele Menschen kennenlernt, die alle in dir bleiben und kleine Spuren hinterlassen. So etwas wäre schwer umzusetzen mit einem Ensemble, und so habe ich es als Solo gemacht.

Unterrichtest du auch?

Ich habe zwei Jahre lang an der Ernst Busch in Berlin unterrichtet und mache das auch regelmäßig an der Hochschule für Darstellende Kunst in Frankfurt. Es ist mir wichtig, etwas von meiner Erfahrung weiterzugeben.

Was machst du sonst noch?

Ich lese sehr viel, für meine Arbeit natürlich, aber auch viel Philosophie. Ich zeichne, nur für mich. Und wir haben uns ein Haus in meiner Heimat Griechenland gekauft, da gibt es immer viel zu tun und wir genießen den schönen Garten.

Vielen Dank!

Toula Limnaios

ist Choreografin und künstlerische Leiterin des Tanzensembles cie. toula limnaios, mit dem sie seit 2003 in der Halle Tanzbühne Berlin ansässig ist.

www.toula.de

Jens Wazel

ist Fotograf und Videofilmer. Im Osten aufgewachsen, wohnt er nach 25 Jahren in den USA wieder in Berlin.

www.jenswazelphotography.com