Portrait

Ilja Richter: Vom schillernden, erfolgreichen ​Scheitern

 ​Auf einem Spaziergang mit Schauspieler und Autor Ilja Richter

„Ich betrete gern mit den Möglichkeiten, die ich habe, Neuland.“ ​Er blickt auf fast sechzig Jahre „Bühnenpraktikum“ zurück: Das Urgestein des deutschen Fernsehens, ​der Schauspieler und Autor Ilja Richter, nimmt uns mit auf eine Zeitreise seines Wirkens, die ​auch eng mit der Geschichte seiner Eltern verknüpft ist. ​

Im Alter von acht Jahren sprach Ilja Richter sein erstes ​Hörspiel auf, seine Bühnenlaufbahn startete er mit neun ​Jahren im Renaissance Theater. Seine Stationen führten ​ihn in den 70er Jahren vor allem ins Fernsehen, wo man ​ihn aus den ZDF Disco-Shows und aus den Wörthersee- Kinofilmen kennt. Später wandte er sich verstärkt ​dem Theater zu.

​Heute ist der Autodidakt, der sich selbst gern als „Bühnenpraktikanten“ ​bezeichnet, fast 68 Jahre alt und hat ​sich schon in allen möglichen Bereichen getummelt – ​ob als Schauspieler im Theater oder im Fernsehen, ob ​als Entertainer oder Autor, ob im Gesang oder gar als ​Tänzer.

Aktuell hat er einen persönlichen Liederabend ​mit autobiografischen Daten in sein Programm aufgenommen. ​Dieser Liederabend hätte nur aufgrund seiner ​Entwicklung, die „unfreiwillig ungewöhnlich“ gewesen ​wäre, entstehen können. „Ich kann nicht einfach sagen: ​Ich hatte die Liebe zu diesem Beruf von Anfang an, weil ​ein Kind nicht wissen kann, was die Liebe zu einem ​Beruf ist, wenn es gerade anfängt zu spielen. Das wäre ​eine Verkitschung“, versucht Ilja seine früh startende ​Laufbahn zu erklären. ​„Alles ist eine Art Summe“, sinniert er weiter. Es sei ein ​bisschen anders verlaufen als ein „normales“ Schauspielerleben ​– wobei, was sei schon normal?

Das Theaterspielen ​sei ihm genauso vertraut wie eine Showtreppe ​runterzulaufen oder einen Sketch zu spielen. In dieser ​Bandbreite ist auch Platz für Lesungen von Arthur ​Koestlers Sonnenfinsternis, in der es um einen brutalen ​stalinistischen Prozess geht. „Das alles ist innerhalb ​meines Lebens möglich“, fasst Ilja zusammen. Und doch ​sei „immer das, was ich gerade mache, das Wichtigste.“ ​Er hätte immer geschaut das zu machen, worauf er Lust ​gehabt hätte – was natürlich nicht immer funktioniert ​hätte. Aber er sieht: „Je älter ich werde, desto mehr hat ​das, was ich mache, mit mir zu tun.“ ​

Sein Programm Vergesst Winnetou! zählt sicherlich dazu. ​Entstanden sei die Idee aus dem Bewusstsein, dass die meisten ​Menschen bei Karl May sofort an Winnetou denken ​würden, dabei hätte der Autor ein OEuvre von 6.000 Arbeiten: ​„So habe ich mich auf das merkwürdige, schräge, ​widersprüchliche Leben des Karl May eingelassen. Herauskommen ​ist die erfolgreichste Produktion meiner ​eigenen Produktionen.“ Seine Intention beschreibt Ilja mit ​folgenden Worten: „Mir ist wichtig, dass sich die Leute ​gut unterhalten fühlen und irgendwas nach Hause mitnehmen, ​was sie vielleicht noch nicht wussten.“ Auf der ​Bühne würde er ganz praktisch denken: „Wie kann ich das ​Leben von Karl May so erzählen, dass die ganzen Widersprüche ​und Unmöglichkeiten herauskommen und man ​langsam den Menschen herausschält? Mit Pointen, mit ​was Klamottigem und was Feinfühligem.“ Diesen Ansatz ​verfolge er auch mit seinem Liederabend. ​

Ilja Richter ist Teil der Fernsehgeschichte. Gleich nach ​der Gründung des ZDF gehörte Ilja in den 60er Jahren ​ins Programm. Romantisieren könne er da nichts. Er ​hätte ein Gefühl von Enge erlebt, beschreibt Ilja uns die ​damalige Zeit, die geprägt gewesen sei von Rahmenbedingungen, ​redaktionellen Vorgaben und programmatischen ​Entscheidungen, die wenig Freiraum ließen: „Ich ​bin nicht sehr sentimental. Ich kann Ihnen keine rosigen ​Bilder schildern, auch keine düsteren Bilder. Ich kann ​Ihnen nur eine Art von Enge schildern, aus der ich mir ​erstaunlich viel Raum geschaffen habe, indem ich zum ​Beispiel einen Hauch von Ironie in den Plattenmarkt in ​einer Sendung gebracht habe.“ Doch der Plattenmarkt ​weltweit sei alles andere als ironisch. „Das habe ich versucht ​und bin auf sehr erfolgreiche Weise gescheitert“, ​gibt Ilja offen zu. Es sei aber ein „schillerndes, erfolgreiches ​Scheitern“ gewesen. ​

​Ilja Richter wurde 1952 in Karlshorst geboren. Im Alter ​von drei Jahren flohen seine Eltern vor den Russen nach ​Westberlin. So groß Westberlin war, so überschaubar ​wirkten die Ausflugsorte auf den jungen Ilja. Einmal ​Grunewald, Heiligensee und Spandau abgegrast, ließ ihn ​damals das Gefühl nicht los, es gäbe nichts Weiteres zu ​entdecken. Erst nach der Wiedervereinigung ​brachte er diesen Eindruck mit den ​„sentimentalen Momenten“ seiner Eltern ​in Verbindung, wenn sie voller Sehnsucht ​davon sprachen, dass sie nun zwar in ​Westberlin seien, aber die schönste Gegend ​und die schönsten Ausflugsziele ​drüben seien.

Oder wenn sein Vater dem ​etwa zehnjährigen Ilja vorschwärmte: ​„Ilja, das ist ein typisch brandenburgisches ​Dorf. Wenn wir weiterfahren dürften, ​musst du dir vorstellen: So geht es ​immer weiter. Da kommen die schönsten ​Dörfer.“ Ilja erklärt uns aus heutiger ​Sicht: „Es bekommt einen Reiz und den ​kindlichen Mythos von: Da müsste man ​jetzt sein, obwohl man gar nicht weiß, ob ​man das wirklich will.“ Die Erzählungen ​seines Vaters wirkten wie ein Spaziergang ​durch die Mark Brandenburg, weil ​sein Vater das bei Fontane gelesen hätte: ​„Er trank Bücher, er war regelrecht besoffen ​von Literatur.“

​Iljas Mutter war eigentlich Schauspielerin, ​konnte diesen Beruf aber nicht ausüben. ​1933 bis 1945 gingen die besten ​Jahre ins Land „und zwar in ein Land, in ​dem sie nicht nur nicht erwünscht war, ​sondern um ihr Leben laufen musste“, ​beschreibt Ilja die damalige Situation ​seiner Mutter bildlich. Lediglich als Statistin ​hätte sie ganz kurze Zeit das gefährliche ​Spiel gespielt und sich unter ​die Statistinnen gemischt. Ihre Mutter ​in Auschwitz, alle anderen Verwandten ​umgebracht, lebte Iljas Mutter unter ​falschem Namen mithilfe weniger als ​Berlinerin unter den Deutschen. Nach ​Kriegsende baute und eröffnete sie im ​Auftrag der Russen das Astoria Theater, ​in dem sie 1945 selbst auch kurzzeitig ​auf der Bühne stand. ​Die Mutter heiratete den Kommunisten ​und Bezirksvorsteher Georg Richter, ​der von den Russen eingesetzt wurde, ​nachdem er aus dem KZ gekommen war. ​

Die Theaterleitung hatte sie weiter inne, jedoch hörte ​sie auf Sketche zu spielen. Ehrgeizig wie seine Mutter ​gewesen sein soll, hätte sie ihren eigenen Schauspielerwunsch ​auf alle vier Kinder übertragen: „Ich nenne das ​eine Stellvertreter-Karriere. Das gibt es in allen Berufen, ​es ist kein typischer Fall für einen künstlerischen Beruf. ​Auch unter Anwälten, Ärzten oder Schlachtermeistern ​kommt das vor, dass die Kinder das machen sollen, was ​die Eltern gemacht haben – zum Beispiel ein Geschäft ​weiterführen – oder das tun, was sie selbst nicht tun ​durften oder konnten.“

​Heute lebt Ilja Richter in Pankow. Einst wäre er der Liebe ​wegen hergekommen. Bis heute schätze er die Bezirke ​dieser Stadt, die für ihn eng mit der Geschichte seiner ​Eltern verwoben seien. Gerade in Westberlin „versucht ​man zu kaschieren und alles so hinzubiegen, dass es ​gleich aussieht, wie Einkaufsketten oder Hotels. So versucht ​man es auch mit dem Verwischen von historischen ​Dingen“, erklärt Ilja, warum er als Westberliner so gern ​in Ostberlin lebe. „Jetzt ist Berlin das, was Westberlin ​immer behauptet hat, genauso wie Ostberlin: Die haben ​von Weltniveau gesprochen und hatten keins. Westberlin ​hat von Weltstadt gesprochen und war keine. Jetzt ​wird’s langsam. Um mit Tucholsky zu sprechen: ‚Berlin ​ist nicht. Berlin wird.‘“ ■ ​ ​ ​ ​ ​ ​ ​ ​ ​ ​ ​ ​ ​ ​ ​ ​ ​ ​ ​

​Ilja Richter – Meine Lieblingslieder ​von Disco bis Kabarett ​mit Harry Ermer am Flügel.
​Zusatzvorstellung am ​17.10.2020 / 16 Uhr ​Komödie am Kurfürstendamm ​im Schiller Theater. ​
Weitere Termine auf der Webseite: ​www.iljarichter.de ​