Allein aber nicht einsam
Text und Fotos: Christiane Kürschner
„Ich weiß, wie man Kaffee macht“, gibt Avin zu verstehen. „Dann solltest du weniger Wasser aufgießen, die Tasse ist zu klein“, gibt Mutter Heike zurück. Die Elfjährige nimmt eine größere Tasse aus dem Schrank und bereitet weiterhin mit großem Elan Kaffee zu. Zehn Minuten später ist die gute Laune von ihr gewichen – typisch Teenager. Mutter und Tochter sind ein eingespieltes Team und begegnen sich auf Augenhöhe. Heike gehört zu den 137.000 alleinerziehenden Müttern in Berlin (Mikrozensus 2015) und hat damit in diesem Frauenhaushalt das Zepter in der Hand. Sie möchte aus ihrem Status als Alleinerziehende kein großes Thema machen. Trotzdem sieht sie, dass die öffentliche Diskussion über die soziale Stellung von Alleinerziehenden in der Gesellschaft wichtig ist. Im Februar 2018 ging zuletzt die Nachricht durch die Presse, dass „die Einkommenssituation von vielen Familien und insbesondere Alleinerziehenden“ schlechter sei bislang gedacht, so die Bertelsmann Stiftung. Eine neue von der Stiftung in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass die finanzielle Belastung mit jedem weiteren Haushaltsmitglied steigt. Betroffen sind nicht nur Familien mit mehreren Kindern, sondern auch Alleinerziehende. „Lag deren Armutsrisikoquote nach früheren Berechnungen bei 46 Prozent – und damit schon sehr hoch –, sind es auf Basis der neuen Methode 68 Prozent“, so eines der Ergebnisse der Studie. In Haushalten wie dem von Heike und Avin fallen alle kinderspezifischen Ausgaben wie Schulsachen, neue Kleidung und die Freizeitgestaltung besonders ins Gewicht. Gleichzeitig sei es für Alleinerziehende aufgrund der aufwändigeren Betreuung und Fürsorge für die Kinder besonders schwer, ihren Erwerbsumfang zu vergrößern, so die Bertelsmann-Stiftung.
Aufgedrückter Stempel
Wie viele Alleinerziehende in Stadtteilen wie Prenzlauer Berg leben, ist statistisch nicht erfasst. Avin vermutet aber, dass sie in ihrer Klasse nicht die Einzige ist, die ohne Vater im gemeinsamen Haushalt aufwächst. Darüber rede man nicht, so die Schülerin. „Viele Mütter verschweigen ihren Familienstatus auch bewusst“, sagt Heike. Durch ihre pädagogische Arbeit an Schulen, zu der auch die Arbeit mit Eltern gehört, kennt sie die häufigsten Beweggründe. „Wer sich als alleinerziehend outet, der bekommt auch schnell einen Stempel aufgedrückt“, sagt sie, „insbesondere Mütter befinden sich immer wieder in der Position, sich rechtfertigen zu müssen, dass sie ihr Kind allein aufziehen.“ Im Job wird ihnen schnell nichts mehr zugetraut, denn sie hätten schließlich eine doppelte Belastung. Das gleicht eher sozialer Ausgrenzung als einer Rücksichtname. Um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Alleinerziehenden die Anerkennung als gleichberechtigte Lebens- und Familienform zusteht, wird nun des Öfteren der etwas sperrige Begriff„Ein-Eltern-Familie“ verwendet. Die Idee dahinter: Es besteht kein Mangel, wenn nur ein Elternteil da ist, es handelt wie bei jeder anderen Eltern-Kind-Konstellation um eine Familie. „Sie haben genauso ihre Höhen und Tiefen wie alle anderen Familien auch“, so Martina Krause, Geschäftsführerin des bundesweit agierenden SHIA e.V., einer Selbsthilfeinitiative alleinerziehender Mütter und Väter.
Der Verein im Nordosten von Prenzlauer Berg engagiert sich für die Interessen von Alleinerziehenden in ganz Deutschland und speziell in Berlin. „Alleinerziehende sind doppelt gefordert und oft unterschätzt“, resümiert Krause, deshalb sollten sie sich Unterstützung suchen.
Der Verein setzt sich mit seiner Arbeit auf gesellschaftspolitischer Ebene dafür ein, dass Alleinerziehende die gleichen Chancen und Rechte erhalten wie traditionelle Familien. In der täglichen Arbeit bieten die Mitarbeiter aber auch ganz klassische Hilfe an. Alleinerziehende Mütter und Väter können sich hier vernetzen, erhalten beispielsweise Rechtsberatungen und können Angebote der ergänzenden Kinderbetreuung wahrnehmen. Ein großes Thema sei auch immer wieder die Wohnungssuche, so Krause. Steigende Mieten und eine hohe Konkurrenz durch Besserverdiener macht es Alleinerziehenden schwer, Wohnraum in Berlin zu finden.
Keine Alternative zu Prenzlauer Berg
Heike lebt mit ihrer Tochter Avin in einer kleinen 3-Raum-Wohnung im Norden von Prenzlauer Berg; über die Hälfte ihres Einkommens geht für die Miete weg, die Jahr für Jahr steigt. Einen Plan-B zu Prenzlauer Berg gibt es nicht. Seit 20 Jahren lebt sie in der Wohnung, weshalb sie noch einen alten Mietvertrag hat. „Umziehen? Wohin denn?“, fragt sie. Billiger wird es nirgends. Auch wenn sie die Vorzüge von Prenzlauer Berg – schicke Klamottenläden, stylische Bars und Läden, in denen man für vier Euro Porridge essen geht – nicht genießen kann, sind sie und Avin hier tief verwurzelt. 2006 kam ihre Tochter zur Welt, die Beziehung im „Frühstadium“ hielt nicht. Avins Vater, promovierter Soziologe und Erziehungswissenschaftler, steht zu der Vaterschaft. Vater und Tochter sehen sich regelmäßig, mindestens alle zwei Wochen und zumeist über die Wochenenden.