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KIMBA: Ernährungsbildung an Schulen

Neben der originären Arbeit der Berliner Tafel, soziale Einrichtungen mit Lebensmitten zu beliefern, und der Laib-und-Seele-Aktion gibt es eine dritte Säule bei der Berliner Tafel: Mit KIMBA betreibt sie Ernährungsbildung an Schulen und macht die Kinder neugierig auf gesundes Essen. Im KIMBA-Express, einem Eisenbahnwaggon mit Lehrküche beim Deutschen Technikmuseum, dürfen die Schülerinnen und Schüler gemeinsam Gemüse schnippeln und Essen zubereiten. In dem alten Waggon findet Unterricht für ganze Schulklassen, Kinder- oder Jugendgruppen statt. „Das ist etwas, was wir für die Generation von morgen tun möchten“, betont Werth. „Wir haben festgestellt, dass die Kids in der Regel keine Ernährungsberatung bekommen, weder in den Schulen noch zu Hause. Das ist keine Frage des finanziellen Hintergrunds der Eltern, sondern es ist einfach eine gesellschaftliche Randerscheinung. Über Essen wird nicht groß gesprochen und nicht groß nachgedacht. Es steht halt auf dem Tisch und soll satt machen.“

Die Intention dieser Säule ist Aufklärung mit Genuss, die Kinder sollen für die Wertigkeit von Lebensmitteln und deren Zubereitung sensibilisiert werden. Damit sie als Erwachsene bewusst mit Lebensmitteln umgehen können und im besten Fall sogar jetzt schon ihre eigenen Eltern abholen.

Trödel tauschen: Haltbar in Charlottenburg

Seit zweieinhalb Jahren gibt es den Tauschladen Haltbar in Charlottenburg. Im Laufe der Jahre haben sich viele materielle Dinge wie Geschirr, Spielzeug, Schmuck und hochwertige Antiquitäten angesammelt, die gegen haltbare und originalverpackte Lebensmittel oder gegen Geldspenden eingetauscht werden können. Diese Lebensmittel werden an die Ausgabestellen weiterverteilt. Auf diese Weise kamen seit der Ladeneröffnung im Oktober 2020 sechs Tonnen Lebensmittel zusammen. Der Verein zahlt die Miete für die Räumlichkeiten und bekommt das Geld als Spende direkt wieder zurück.

Mit Tatkraft und Optimismus dem Elend trotzen

Wenn sie mit ihrem Team zusammenarbeitet, geht es Werth gut. „Ich bin nicht immer fröhlich, aber ich bin ein positiver Mensch“, sagt sie von sich. „Mich haut so schnell nichts um, weil ich immer versuche, das Beste aus jeder Situation zu machen. Besonders, wenn ich die Forderungen von uns Tafeln nach außen vertrete, kann ich sehr ernst sein.“ Doch mit Fröhlichkeit lasse sich das Leben viel besser gestalten und leichter ertragen, findet die Gründerin der Berliner Tafel e. V.

Dank ihres Studiums der Sozialarbeit fällt es Werth relativ leicht, sich vom Elend anderer Menschen emotional nicht so sehr runterziehen zu lassen: „Dazu habe ich einfach zu viel professionellen Abstand.“ Erfährt sie von konkreten Problemen, packt sie tatkräftig mit an. So schickt sie beispielsweise Menschen mit Zahnproblemen zu ihrem Zahnarzt, der Teil des Netzwerkes ist: „Ich habe schon den stärksten Mann hier bis zum Zahnarztstuhl begleitet und so lange Händchen gehalten, bis ich gehen durfte.“

Politische Forderungen und gesellschaftliche Veränderungen

Öffentliche Gelder für die Berliner Tafel lehnt Werth ab, um Abhängigkeiten zu vermeiden: „Es müsste woanders abgezogen werden, und ich bin sicher, es würde bei allen sozialen Einrichtungen abgezogen werden, die wir mit Lebensmitteln beliefern. Außerdem müssten wir genaue Angaben machen, wie viel, wie oft usw. Das will ich nicht. Wir verteilen gespendete Lebensmittel, und wir wissen nie, was wir gespendet bekommen. Wir sind somit nicht berechenbar in unserer Belieferung. Es kann sein, dass wir auch mal einen Tag gar nicht liefern.“

Werths größter Wunsch wären einige Gesetzesänderungen seitens der Politik: „Ich möchte gern, dass wir dieses Gesetz bekommen, was es in Frankreich und anderen europäischen Ländern schon gibt, wonach Verkaufsstellen, Händlerinnen und Händler mit einer Verkaufsfläche von mehr als 400 Quadratmetern an Tafeln bzw. soziale Einrichtung ihre überschüssigen Lebensmittel abgeben müssen. Gerade weil wir ohnehin schon mit fast allen zusammenarbeiten, wäre dieses Gesetz so wichtig. Zum einen hätte es eine Außenwirkung und zum anderen, wenn wir schon alle dabeihaben, würde es auch niemandem schaden. Wenn wir aber irgendjemanden bisher noch nicht dabeihaben, hätten wir diese Firma dann auch an Bord.“ Das zweite politische Dilemma sieht sie bei der Umsatzsteuer: Augenblicklich müssen spendende Firmen für gespendete Ware Umsatzsteuer zahlen, obwohl sie keinerlei Umsatz haben. „Sie haben die Lebensmittel mal eingekauft, spenden sie dann und darauf zahlen sie auch noch Umsatzsteuer. Das heißt, sie haben doppelt Verluste. Sie können es zwar steuerlich absetzen, aber bei Weitem nicht in dem Verhältnis, wie sie zahlen mussten. Im Augenblick ist diese Gesetzgebung zwar ausgesetzt und wird nicht angewandt, aber ich finde, sie muss verschwinden, damit hundertprozentig sicher ist, dass wirklich keine Anwendung in der Richtung stattfindet.“

Andere Projekte wie Foodsharing sind in den gleichen Läden unterwegs wie die Berliner Tafel, aber sie stehen miteinander in Kontakt. „Foodsharing übernimmt die Stellen, bei denen es sich für uns nicht lohnt, denn wir fahren nicht mit einem 7,5-Tonner irgendwohin und holen drei Brötchen ab. Das kann Foodsharing sehr schön machen. Eine Kollegin von Foodsharing ist fünf Tage in der Woche hier auf dem Fruchthof und sammelt Lebensmittel. Sie benachrichtigt uns sofort, wenn sie weiß, das ist eine Menge, die sie weder transportiert noch verteilt bekommt. Da kooperieren wir gut.“

Problematisch sind für Werth Start-ups, die Geld damit verdienen, Lebensmittel entweder billig aufzukaufen und dann in Umlauf zu bringen oder den Abverkauf mitzuorganisieren. Selbst wenn es heißt „Tafel first“: „Sind wir einmal dort gewesen, bleibt für die anderen nichts mehr übrig, weil wir alles mitnehmen. Es ist nachvollziehbar“, sagt Werth, „dass der Handel mit solchen Firmen sehr viel lieber zusammenarbeitet, weil sie dadurch noch ein bisschen Geld bekommen.“ Ein anderes Phänomen, das den Tafeln die Arbeit erschwert, sind die sogenannten Rettertüten, die mittlerweile immer mehr Supermärkte zusammenstellen: eine Tüte voller unterschiedlicher Lebensmittel für rund fünf Euro. „Gerade junge Menschen, die in der Lebensmittel-Retterblase leben, denken natürlich, dass das toll ist. Aber im Grunde haben sie die Lebensmittel vor uns „gerettet“, weil das alles Läden sind, bei denen wir am nächsten Tag genau diese Waren abgeholt hätten. Die sind stattdessen verkauft worden. Das ist in Ordnung für den Handel. Der Handel ist zum Handeln da. Für uns ist es aber ein Problem, weil wir immer weniger Ware bekommen. Doch ich sage mir, wir sind alle auf dem Ding von Lebensmittelrettung, und das ist in Ordnung. Wir bekommen immer weniger, weil halt immer mehr gerettet wird.“

Die studierte Sozialarbeiterin Sabine Werth gründete 1993 die Berliner Tafel

Berliner Tafel bedeutet logistische Großleistung

Rund 6000 Quadratmeter umfasst die Sortierhalle der Berliner Tafel. Insgesamt sind 28 Fahrzeuge im Einsatz. Inzwischen arbeitet die Berliner Tafel mit 36 Festangestellten und 2700 Ehrenamtlichen, allein 1600 von ihnen sind in den Ausgabestellen eingesetzt. Alle schaffen sich die Logistikkenntnisse vor Ort in der Praxis drauf: „Gerade in den Anfängen war unsere Logistik wahnsinnig chaotisch. Mittlerweile ist die Logistik sehr professionalisiert, ohne dass wir normale Logistikstandards hätten. Bei uns macht eine Person alles, also Lagerhaltung, Disposition usw. Es funktioniert, und nur das zählt.“

Werths Wunsch? „Wir wünschen uns alles. Auf jeden Fall Ehrenamtliche!“ In der Coronazeit und während des Lockdowns stand die Berliner Tafel vor der immensen Herausforderung, 1500 neue Ehrenamtliche sinnvoll einzusetzen. Jetzt braucht die Ausgabestellen dringend jüngere Menschen – ein herausfordernder Wunsch, weil tagsüber geöffnet ist und die jüngeren Ehrenamtlichen sich vom Job frei machen müssen. „Die Gründerin und Leiterin einer Ausgabestelle ist Ärztin. Sie hat mittwochs praxisfrei und hat extra die Ausgabe auf den Mittwoch gelegt, damit sie das machen kann. Statt einen freien Tag zu machen, arbeitet sie im Ehrenamt.“

Aktuell stehen größere Umbaumaßnahmen in der Halle der Berliner Tafel an: Es wird eine professionelle Küche eingebaut. Firmen, die beim Umbau unterstützen, sind herzlich willkommen! Geldspenden sind auf jeden Fall hilfreich und sinnvoll – am besten, wenn sie nicht projektbezogen, sondern frei verfügbar sind. Sachspenden werden ebenfalls hin und wieder gebraucht, wenn auch nicht im großen Stil und nur zielgerichtet. Eine Nachfrage bei einer Ausgabestelle oder der Berliner Tafel e. V. kann hier helfen.

Infobox

Berliner Tafel
Sabine Werth

Spendenkonto:
Berliner Tafel e. V.
IBAN: DE92 1009 0000 5457 7930 08
BIC: BEVODEBB

www.berliner-tafel.de

Zielgerichtete Sachspenden werden ebenfalls hin und wieder gebraucht. Bitte bei einer Ausgabestelle oder der „Berliner Tafel e. V. “ nachfragen.