Gesellschaft Portrait

Franziska Giffey: “Jetzt ist die Zeit für Berlin”

Im Gespräch mit der Bundesfamilienministerin und Vorsitzenden der SPD Berlin Franziska Giffey

Die Corona-Krise erfordert Fokus und zügige Entscheidungen in der Politik. Es ist eine Gratwanderung zwischen dem Schutz der Gesundheit und dem Allgemeinwohl der Menschen. So gilt es immer wieder in den Blick zu nehmen, wie ältere, alleinstehende Menschen oder Familien in Not unterstützt werden können. Wir haben mit einer Frau gesprochen, die in diesen Diskussionen, Gesetzesvorlagen und Marschrichtungen mittendrin steckt und die daran glaubt , dass Berlin nach der Krise zu seiner Kraft zurückkommen kann: die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und Vorsitzende der SPD Berlin Franziska Giffey.

Mein/4: Sie arbeiten in einem sehr schönen Ministerium, wo man viel bewegen kann. Aber dann kommt Corona. Betroffen sind viele Bevölkerungsgruppen, auch Familien oder Senioren. Wie erleben Sie diese Zeit?

Giffey: Auch wir in der Politik befinden uns in einer Ausnahmesituation. Da geht es uns nicht anders als allen anderen. Natürlich verlief das letzte und verläuft auch dieses Jahr ganz anders als geplant und anders, als wir uns alle das gewünscht haben. Einerseits verzichten wir auf Dinge, die wir gerne gemacht hätten, andererseits besteht die dringende Notwendigkeit, permanent auf eine Akutsituation zu reagieren. Es ist eine große Herausforderung.

Wir befinden uns in einem ständigen Abwägungsprozess zwischen dem Gesundheitsschutz auf der einen Seite und dem Wohl der Menschen auf der anderen: Kinderschutz und Kindeswohl oder die Fragen, was wir für ältere Menschen tun können, damit sie nicht vereinsamen, und wie wir Familien unterstützen können, die jetzt nur sehr geringe Einkommen oder große Schwierigkeiten dabei haben, Homeoffice, Homeschooling und Kinderbetreuung zu vereinbaren.

Deswegen war das ganze letzte Jahr geprägt von Akut- und Nothilfemaßnahmen. Wir haben den Kinderbonus und den Notfall-Kinderzuschlag umgesetzt. Wir haben die Regeln für das Elterngeld verändert, damit Eltern keine Nachteile entstehen, wenn sie in Kurzarbeit sind. Wir haben ein Sonderprogramm aufgelegt, um die Jugendherbergen und den internationalen Jugendaustausch zu retten. Wir haben versucht, etwas für die Seele zu tun, indem wir denen, die jetzt alleine sind und Hilfe brauchen, die Möglichkeit geben, dass sie jemanden anrufen können. Dafür haben wir unsere kompletten Hilfetelefone aufgestockt: die Nummer gegen Kummer für Jugendliche, das Hilfetelefon gegen Gewalt an Frauen, das Pflegetelefon, das Elterntelefon.

Es geht also um finanzielle Hilfe, aber auch um Rat, Tat und Unterstützung. Die neueste Maßnahme ist die Ausweitung der Kinderkrankentage, damit Eltern eine Möglichkeit haben, Kinderkrankentage auch für gesunde Kinder zu nehmen und ihre Kinder zu betreuen, solange der Lockdown noch andauert – dies eben auch aus der Erkenntnis vom letzten Jahr heraus, dass Homeschooling und Homeoffice nicht zusammengehen.

Mein/4: Die Politik muss sich ja oft dem Vorwurf stellen, sie reagiere zu langsam. Im Umkehrschluss heißt es, es würden ganz schnell Entscheidungen im Kabinett oder auf Ministerpräsidentenebene getroffen und wir werden gar nicht gefragt. Woran liegt das?

Giffey: Die normalen parlamentarischen Abläufe brauchen ihre Zeit. Demokratie braucht Zeit.

Wir haben im letzten Jahr in rasender Geschwindigkeit umfangreiche Gesetze wie das ganze Nothilfepaket oder das Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket verabschiedet. Das sind Milliardenbeträge, die in kürzester Zeit gängig gemacht wurden. Oder auch die Überbrückungshilfen für Unternehmen, die Regelungen zur Kurzarbeit, auch jetzt die Kinderkrankentage. Das hat von der Beschlussfassung in der Ministerpräsidentenkonferenz bis zum Bundesrat anderthalb Wochen gedauert. So schnell haben wir noch nie ein Gesetz durchgebracht! Und das ist nur dann zu machen, wenn alle Fristen für Beteiligung verkürzt werden, wenn man Prozesse aussetzt und beschleunigt.

Am Tag, nachdem die Ministerpräsidentenkonferenz den Beschluss gefasst hatte, wurde schon gefragt: „Warum dauert das so lange?“ Aber es ist klar, dass von der Beschlussfassung bis zur Umsetzung einfach Zeit benötigt wird. Viele Menschen aus den Regierungsverwaltungen arbeiten nahezu Tag und Nacht, um das hinzubekommen. Gleiches gilt für die Gesundheitsämter und alle anderen Bereiche. Ich wünsche mir manchmal, dass das auch gesehen wird. Wenn man auf der anderen Seite allerdings eine breite Parlamentsbeteiligung möchte, dann kostet diese Zeit. Das Schwierige ist, dabei den Mittelweg zu finden.

Nach einer Ministerpräsidentenkonferenz werden jetzt immer alle Fraktionsvorsitzenden und die Ausschüsse informiert, es gibt Regierungserklärungen im Parlament, wir diskutieren diese Maßnahmen. Trotzdem sind das sehr kurze Zeiträume. Man kann nicht einerseits erwarten, dass die Entscheidungen direkt umgesetzt werden und andererseits sagen: „Wir brauchen einen mehrmonatigen parlamentarischen Prozess.“ Das wird nicht funktionieren.

Für uns ist jetzt Priorität, dass die Maßnahmen schnell greifen. Und dass wir schlicht und einfach sowohl die sozialen Einrichtungen retten – von der Jugendherberge über die Familienferienstätte bis zu den Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen – als auch, dass die Wirtschaft Hilfen bekommt, damit die Unternehmen nach der Krise noch da sind und Arbeitsplätze nicht verloren gehen. Und natürlich bedeutet das, Familien zu unterstützen, die in finanzielle Not geraten sind. Das ist der Versuch, dass wir es alle gemeinsam schaffen, durch diese schwere Zeit zu kommen.

Mein/4: Bald bricht Ihr viertes Jahr in der Bundespolitik an. Wie hat sich die Politik in den drei Jahren gewandelt?

Giffey: Ich kann diese Zeit einteilen. In den ersten beiden Jahren haben wir schon große Teile des Koalitionsvertrages umgesetzt. Zum Beispiel unsere beiden großen Flaggschiffe, das Gute-KiTa-Gesetz und das Starke-Familien-Gesetz. Das sind ganz konkrete Hilfen, von denen die Berlinerinnen und Berliner wirklich profitieren. Die Kinder- und Jugendhilferechtsreform, das Jugendschutzgesetz, die Ganztagsbetreuung in der Grundschule – das sind unsere großen Projekte, die noch in dieser Legislatur abgeschlossen werden sollen.

In der Anfangszeit war ich auch extrem viel unterwegs im ganzen Bundesgebiet – überall da, wo der Bund fördert und wo wir Schwerpunkte setzen. Dann kam Corona und wir haben natürlich alle Veranstaltungen, alle Vor-Ort-Besuche komplett zurückgefahren. Wir sind umgeschwenkt auf Telefonschalten, Videokonferenzen und Krisenstäbe. Das geht jetzt seit fast einem Jahr so. Insofern würde ich sagen: Für mich ist diese Regierungszeit absolut zweigeteilt. Und natürlich sind die ersten beiden Jahre die schöneren gewesen.

Mein/4: Sie wissen, was Sie verändern möchten. Und dann kommt ein neuer Krisenmodus, der wahrscheinlich noch mindestens ein halbes Jahr dauert. Wie gehen Sie damit um?

Giffey: Ich bin ein grundoptimistischer Mensch. Die Dinge sind, wie sie sind, und man muss das Beste daraus machen. Es nützt ja nichts zu jammern. Die ganze Situation macht einen fokussiert und rückt die Frage ins Zentrum: Was können wir jetzt tun, damit es besser wird? Niemand von uns kann das Virus überreden, von einem Tag auf den anderen wegzugehen. Aber wir können alles Mögliche tun, um die Lage in den Griff zu bekommen. Und darum geht es jetzt.

Ich habe 16 Jahre Brennpunkterfahrung hier in Berlin hinter mir. Unsere Devise war immer: mit den vorhandenen Ressourcen flexibel umgehen und dann Hingehen, Zuhören, Anpacken. Mit diesem Ansatz mache ich meine Arbeit. Und das werde ich auch in Zukunft so halten.

Mein/4: Warum haben Sie entschieden, wieder nach Berlin zu gehen?

Giffey: Weil Berlin meine Stadt ist und ich etwas für Berlin bewegen will. Ich will dafür arbeiten, dass die SPD in Berlin wieder zu neuer Stärke kommt und dass wir es schaffen, wieder führende Kraft in der Stadt zu werden, weil ich davon überzeugt bin, dass eine soziale und demokratische Politik gut für die Stadt ist.

Ich glaube, dass ich etwas tun kann, was Sinn macht und der Stadt auch wirklich hilft. Und es geht darum, bei den Wählerinnen und Wählern Vertrauen für die SPD zurückzugewinnen. Da will ich nicht einfach zugucken, sondern zu der Veränderung beitragen, dass die Menschen sagen: „Die kriegen das hin, und das wird gut.“ Dass sie uns vertrauen, dass sich Berlin unter der Führung der SPD gut entwickelt. Dass wir uns darum kümmern, dass die Stadt gut funktioniert und wir die Themen angehen, die den Leuten unter den Nägeln brennen.

Wir haben sie die fünf B für Berlin genannt: Bauen, Bildung, Beste Wirtschaft, Bürgernähe und Berlin in Sicherheit. Aus zahlreichen Gesprächen mit Berlinerinnen und Berlinern weiß ich, dass diese Themen viele Menschen bewegen. Ich will das hier machen, und ich entscheide mich dafür, nach Berlin, nach Hause zurückzukommen. Ich bin Berlinerin mit Leib und Seele. Die Bundesebene ist auch eine tolle Aufgabe. Aber ich glaube, jetzt ist die Zeit für Berlin. Ich mache das wirklich gerne.

Mein/4: Wenn es klappen sollte, dass Sie im September Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden: Was für eine Stadt erwarten Sie dann vorzufinden? Was werden die dringlichsten Themen sein?

Giffey: Wir werden noch eine schwierige Zeit haben, bis der Lockdown aufgehoben werden kann bzw. bis wir schrittweise wieder öffnen. Aber wenn sich alle an die Regeln halten, ist das ein Stück weit absehbar. Dann wird es die Phase der Impfungen geben. Wir könnten im Sommer wirklich soweit sein, dass wir einer breiten Bevölkerung ein Impfangebot machen. Wir werden natürlich dafür werben müssen, dass es auch alle annehmen, sodass wir im Herbst auch hier in Berlin einen guten Impfschutz haben.

Wir sind sehr gut aufgestellt, auch im bundesweiten Vergleich. Die sechs Impfzentren sind vorbereitet, fünf sind am Start. Das ist nicht selbstverständlich. Andere Bundesländer sind nicht so weit. Deshalb haben wir auch im Vergleich ein relativ hohes Level. Das reicht natürlich noch nicht, es muss noch mehr werden. Aber es ist davon auszugehen, dass wir im Herbst einen guten Impfstatus in der Bevölkerung haben, sodass wir wieder ein relativ normales Leben führen können.

Natürlich werden wir dann die Folgen der Krise sehen: In der Wirtschaft, bei den Kindern, den Familien, in den sozialen Einrichtungen, den Geschäften – überall dort werden wir sie sehen, wo Menschen jetzt ganz stark eingeschränkt waren. Deswegen wird es auch darum gehen, die Stadt nach der Krise wieder zu stärken. Dabei ist für mich der Wirtschaftsstandort Berlin ganz essenziell. Er sorgt dafür, dass Wohlstand in der Stadt erhalten bleibt und zukunftsweisende Entwicklung erfolgen kann. Deshalb müssen wir ihn stärken und als SPD ganz klar sagen: „Gute Arbeit, gute Jobs, starke Wirtschaft.“ Das muss die Priorität sein, damit wir aus der Krise wieder herauskommen.

Das andere sind die stadtentwicklungspolitischen Themen. Wir sind eine wachsende Stadt. Wir haben einen großen Bedarf an Mobilitätsmöglichkeiten. Das heißt: Wir brauchen eine gute Stadtentwicklung, die Berlin auch in der Metropolregion mit Brandenburg denkt und nicht nur als Innenstadt sieht. Die Frage muss lauten: Wie binden wir die Außenbezirke besser an? Denn dort leben viel mehr Menschen als in der City. Wir müssen also darüber reden, wie wir deren gute verkehrliche Anbindung erreichen können. Dabei werden die Stichworte U-Bahn-Ausbau und Straßenbahn-Ausbau zentral sein.

Das sind einige der unmittelbaren Aufgaben, die dann anzugehen sind, damit wir in diesen Punkten voran kommen und dabei auch Mittel des Bundes gut nutzen – sowohl für die Wirtschaftsförderung als auch für die Infrastruktur.

Mein/4: Sie sprachen das Thema Sicherheit in Berlin an. Was schwebt Ihnen da vor?

Giffey: Gerade in diesen Krisenzeiten wird deutlich, wonach sich die Leute am meisten sehnen: nach Sicherheit – nach sozialer Sicherheit, aber auch nach innerer Sicherheit. Im Moment sehnen sie sich natürlich auch nach Planungssicherheit, weil niemand so richtig eine Perspektive hat. Das Thema Sicherheit ist also in dieser Situation, in der wir gerade sind, von ganz immenser Bedeutung.

Sicherheit ist ein Grundbedürfnis, das Menschen von Geburt an in sich tragen. Auf dieses Grundbedürfnis muss die SPD eine Antwort haben. Das muss eines unserer Schwerpunktthemen sein. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Dabei geht es uns darum, dass wir einerseits denen, die jeden Tag vor Ort auf der Straße für Sicherheit und Ordnung sorgen – Polizei, Feuerwehr, Ordnungsämtern – den Rücken stärken, dass wir andererseits aber auch den starken zivilgesellschaftlichen Organisationen und Menschen, die sich für die Demokratie einsetzen und die teilweise bedroht und angegriffen sind, genauso zur Seite stehen.

Mein/4: Sie sprachen von sozialer Sicherheit und haben angekündigt, den Mietendeckel nicht zu verlängern.

Giffey: Ich habe gesagt, dass es keinen Automatismus für die Verlängerung gibt. Das ist keine politische Aussage, sondern ein schlichter Fakt. Der Mietendeckel ist mit einer begrenzenden Wirkung auf fünf Jahre eingeführt worden. Berlin ist ganz stark von Mieterinnen und Mietern geprägt, weil wir einen hohen Anteil an Mietwohnungen in der Stadt haben. Daher ist es wichtig, dass wir auf die großen sozialen Fragen eine Antwort geben: Kann ich mir meine Miete leisten? Ist meine Wohnung sicher?

In der Stadt gab es auf dem Wohnungsmarkt eine extreme Entwicklung mit riesigen Mietsteigerungen. Das konnte man nicht einfach dem freien Markt überlassen, da braucht es Regularien. Der Mietendeckel ist eines der Instrumente, um dieser rasanten Entwicklung einen Riegel vorzuschieben und den Mieterinnen und Mietern eine Atempause zu geben. Aber es ist klar, dass so ein Eingriff nicht automatisch auf Dauer gestellt werden kann, zumal ja auch noch ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist.

Das heißt aber wiederum nicht, dass wir uns nicht auch über fünf Jahre hinaus für die Interessen der Mieterinnen und Mieter stark machen und uns für eine Wohnungspolitik einsetzen, die exorbitante Mietsteigerungen verhindert. Wir müssen uns nach den fünf Jahren die Rechtslage anschauen, das Ganze evaluieren und überlegen, was gut geeignete Instrumente sind, um hier in Berlin einen funktionierenden Mietmarkt sicherzustellen und zielgerichtet jenen zu helfen, die wirklich unter zu hohen Mieten leiden. Die befristete Zeit muss aber auch für Neubauten und für die Schaffung eines größeren Angebotes genutzt werden.

Mein/4: Große Konzerne sind in der Krise ja eher flexibel, während Einzelunternehmer Wege finden müssen, um Löcher zu stopfen. Berlin hat für mich dank der unzähligen kleinen Läden und gemütlichen Cafés sehr viel Charme. Wird Berlin nach der Pandemie dadurch einen Vorteil oder einen Nachteil haben?

Giffey: Wir haben in Berlin einen starken Dienstleistungs- und Tourismussektor. Dazu kommen Gastronomie und Hotellerie. Deshalb ist Berlin auch so stark von den wirtschaftlichen Auswirkungen getroffen. Wir haben aber auch eine beeindruckende Produktion, Handwerk und Industrie in der Stadt, auf die wir zu Recht stolz sein können.

Berlin als Industriestandort bietet eine riesengroße Chance. Denken Sie an die Siemensstadt 2.0, an Adlershof – den Wissenschafts- und Technologiestandort. Da werden Produkte hergestellt, die in den Weltmarkt gehen. Oder denken Sie an Biotronik, die Herzschrittmacher-Technologie. Allein in Neukölln haben wir drei Kaffeeröster: Tchibo, Jacobs und Dallmayr. Zusammengenommen ist das der größte Kaffeerösterei- und Produktionsstandort Europas. Und die Berliner Seilfabrik produziert für die USA, für Kanada und die ganze Welt: Spielgeräte made in Berlin.

Die ersten Wirtschaftshilfen sind sehr unbürokratisch gelaufen. In der Unternehmerschaft der kleinen Läden ist das als große Hilfe angenommen und wahrgenommen worden. Es ist wichtig, dass die Leute merken, dass sie unkompliziert Unterstützung in der Not bekommen, damit sie eben noch da sind, wenn die Krise vorbei ist. Das ist ganz entscheidend.

Und wenn ich noch einmal einen Schlenker zur Kulturwirtschaft machen darf: Die Kulturwirtschaft leidet gerade extrem unter dieser ganzen Situation. Die SPD will auch die Kultur und den Kulturstandort Berlin in den Blick nehmen, wenn es darum geht, wie wir die Stadt wieder beleben und neu entwickeln wollen nach der Pandemie. Es gibt leider schon jetzt einige Cafés und kleine Läden, die sagen: „Wir schaffen das nicht mehr. Wir können nicht wieder aufmachen.“ Da wird schon etwas verloren gehen in der Stadt. Aber wir bemühen uns, dass wir so viel wie möglich Unterstützung geben, damit auch die Einzelunternehmerinnen und -unternehmer nach der Krise weitermachen können.

Mein/4: Sie sind Mutter eines 11-jährigen Kindes. Wie läuft’s mit Homeschooling?

Giffey: Es läuft deutlich besser als letztes Jahr. Ich sehe eine Entwicklung. Mein Sohn hat eine regelmäßige Videokonferenz mit seiner Klassenlehrerin. Es gibt einen Lernraum, die Schüler können ihre Aufgaben verschicken oder auch einmal etwas im Schulsekretariat vorbeibringen. Sie stehen im Austausch und können die Lehrerinnen und Lehrer anmailen. Und das ist eine ganz normale öffentliche Schule. Es gibt sicherlich Unterschiede von Schule zu Schule, aber auch von Lehrer zu Lehrer. Je nachdem, ob eine Affinität zum digitalen Lernen besteht oder nicht.

In der Zukunft muss darauf geachtet werden, dass wir flächendeckend zu einem guten digitalen Lernangebot kommen. Das geht mit technischer Ausstattung auf der einen Seite, aber auch ganz klar mit zusätzlicher Kompetenz für die Lehrerinnen und Lehrer. Wir erleben gerade einen Digitalisierungsschub, den es ohne diese ganze Situation nicht gegeben hätte. Auch wenn es noch nicht optimal ist, eine positive Entwicklung ist aber auf jeden Fall erkennbar.

Inzwischen haben sich alle darauf eingerichtet: Die Kinder arbeiten ihre Aufgaben ab, chatten mit ihren Freunden, verabreden sich telefonisch, machen zusammen Mathe am Telefon. Es funktioniert, und ja, es ist nicht schön. Sie warten, dass sie wieder zur Schule gehen und etwas unternehmen können. Aber stellen Sie sich einmal vor, wir hätten diese ganzen digitalen Möglichkeiten jetzt nicht. Dann wäre es noch viel schwerer.

Mein/4: Frau Giffey, vielen Dank für das Gespräch!

 

Erschienen in mein/4-Heft 1-2021.