…dürfen nicht die drängenden Probleme überlagern
Im Gespräch mit dem Senator für Kultur und Europa, Dr. Klaus Lederer
Die Landes- und Bundespolitik hat gerade eine multiple Krise zu bewältigen, die schnelle Problemlösungen verlangt. Für politische Eitelkeiten fehlt die Zeit. Und doch steht Berlin eine Neuwahl bevor, die wichtige Zeit kostet. Aber welchen drängenden Problemen muss sich Berlin eigentlich stellen? Wie kann die deutlich strapazierte und gespaltene Gesellschaft mitgenommen und gestärkt werden? Wir sprachen mit Dr. Klaus Lederer darüber.
Mein/4: Von Corona redet keiner mehr. Gibt’s das nicht mehr in der Kultur? Oder haben wir wichtigere Themen?
Klaus Lederer: In der Tat haben wir gerade ein verkraftbares Infektionsgeschehen mit Blick auf die Gesamtsituation. Hinzu kommen ganz reale Ermüdungserscheinungen. Und dann wird das Ganze noch durch die Ereignisse überlagert, die uns gerade begleiten, wie die Lieferkettenengpässe, Inflation, der Preisanstieg bei zentralen Naturschätzen und – natürlich – die Sorgen, die mit dem Ukrainekrieg einhergehen. Wir haben gerade eine multiple Krisensituation. Diese Ansammlung unterschiedlichster Verunsicherungen, Sorgen und regelrecht existenzieller Ängste hat die Pandemie tatsächlich in den Hintergrund rücken lassen. Wir merken das in unseren Einrichtungen: Die Besucherzahlen in den Museen und Gedenkstätten haben sich deutlich verbessert. Nicht ganz so einfach ist es bei den Bühnen und Orchestern. Die Nachwirkungen der Pandemie sind aber auch anders spürbar, so fehlen die Menschen, die als Selbstständige gearbeitet und aus der Pandemiesituation heraus die Entscheidung getroffen haben, sich einen festen, sozialversicherungspflichtigen Job zu suchen.
Mein/4: Als Corona kam, hat die Berliner Politik schnell reagiert. Wir hatten das Gefühl, nicht allein zu sein. Jetzt habe ich ein völlig anderes Gefühl, es herrscht totale Verunsicherung. Als sei die Politik, egal ob Landes- oder Bundespolitik, selbst sehr ratlos, was zu tun ist. Wie erleben Sie das?
Klaus Lederer: Zum einen glaube ich, dass die Menschen tatsächlich sehr ermüdet sind von diesem inzwischen fast drei Jahre andauernden Krisengeschehen. Das Zweite ist, dass in der Pandemie nach der anfänglichen absoluten Verunsicherung in der Tat auch beherzt gehandelt wurde. Jetzt ist das Problem vielschichtiger: Inflationsgeschehen, steigende Energiekosten, Hilfe für Menschen in Not. Da kommt ganz viel zusammen. Und das verbindet sich dann mit individuellen Verunsicherungen und mit der Tatsache, dass die Leute das alles im Portemonnaie merken. Auf der anderen Seite hat die Ampelkoalition im Bund das letzte dreiviertel Jahr zu dieser Verunsicherung beigetragen, weil es keine klar erkennbare Strategie gab, mit dem Problem real umzugehen. Erst Gasumlage, dann Gasumlage zurückgenommen, dann Gaspreis- und Energiepreisdeckel im Frühjahr, wenn der Winter vorbei ist, jetzt rückwirkend zum Januar – da entsteht nicht das Gefühl, dass da Leute am Werk sind, die wissen, was sie tun und niemanden hängen lassen. Wir haben in Berlin dagegen recht schnell gehandelt. Wir haben in einer Höchstgeschwindigkeit, die es in der Geschichte Berlins noch nicht gegeben hat, einen Nachtragshaushalt beschlossen. Wir haben ein Paket von drei Milliarden Euro verabschiedet, mit dem unter anderem das Mietenmoratorium abgesichert wird und das Hilfsprogramme für Wirtschaft und Kulturbetriebe umfasst, wo Härtefallregelungen geschaffen werden für Menschen, die aufgrund gestiegener Preise ihre Energierechnung nicht mehr zahlen können und vieles andere mehr. Nur hängen wir als Land ein Stück weit immer auch an den Aktivitäten des Bundes, weil wir ja nur in die Lücken stoßen können, die der Bund nicht schon geschlossen hat. Und da haben wir es tatsächlich das letzte halbe, dreiviertel Jahr sehr, sehr schwer gehabt, weil es bis heute beispielsweise in der Kultur noch nicht sicher ist, was der Bund tun wird und welcher Handlungsbedarf für uns als Land übrig bleibt. Das ist die Situation, mit der wir konfrontiert sind. Mal abgesehen von der Blockade der FDP bei vielen Maßnahmen, die dringend geboten gewesen wären – Stichwort Übergewinnsteuer – oder der geradezu wohlstandschauvinistischen, sozial-zynischen Kampagne der CDU gegen das Bürgergeld, das ja letztlich nichts weiter ist als eine Regelsatzerhöhung für Hartz IV – dass all das nicht einlädt, Vertrauen zu haben, ist nachvollziehbar.
Mein/4: Im Februar wird es Neuwahlen geben. An sich bräuchten wir aber jetzt auf Landesebene eine handlungsfähige Politik. Wie läuft das im Moment kommissarisch?
Klaus Lederer: Erstens muss man ganz klar sagen, dass das Urteil des Verfassungsgerichtshofs eine Klatsche für die Berliner Politik und insbesondere für die Innenverwaltung der letzten Legislaturperiode ist. Da lässt sich überhaupt nicht drum herumreden. Das ist natürlich auch eine Aufforderung an uns. Ich finde, dass ein bisschen Demut durchaus angebracht ist angesichts dieser klaren und wirklich drastischen Worte, die da gefunden wurden. Das Zweite ist, dass das Verfassungsgericht zwar festgestellt hat, dass die Wahl wiederholt werden muss, aber nicht alle Rechtsakte, die das Parlament bis dahin vollzogen hat, als rechtswidrig einstuft. Das heißt, wir sind durchaus in der Lage, sowohl als Senat als auch als Parlament, bis zum Wahltermin und darüber hinaus weiter zu handeln, bis ein neues oder entsprechend verändertes Parlament seine Arbeit aufgenommen hat.
Mein/4: Ich habe die Koalition bis jetzt als ruhig und geschlossen wahrgenommen. Meine Sorge ist, dass nun Wahlkampf ausbricht und man sich praktisch gegenseitig blockiert, weil jeder die Position seiner Partei für den Februar verbessern will. Teilen Sie diese Sorge?
Klaus Lederer: Der Wahlkampf läuft im Grunde seit September, seit das Verfassungsgericht angedeutet hat, dass es zu einer kompletten Wahlwiederholung kommen kann. Bis dahin war es so, dass wir sehr konzentriert und intensiv miteinander gearbeitet haben. Ich bin seit sechs Jahren Senator. Die Hälfte dieser Zeit habe ich ausschließlich im Krisenmanagement zugebracht. Es ist so, dass die aktuellen Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Grünen und SPD geradezu herausfordern, das wird ja auch medial befeuert. Natürlich wollen es beide Frauen jetzt wissen, und da bleibt kein Auge trocken. Ich sage klar, dass ich es für schwierig hielte, wenn sich diese Prioritätensetzung auf öffentlichkeitswirksame Auftritte und auf eine Zuspitzung innerhalb der Koalition die nächsten Monate bis zum Wahltag fortsetzt. Ich glaube nicht, dass wir den Berlinerinnen und Berlinern ernsthaft zumuten können, jetzt drei oder vier oder fünf Monate in Selbstfindungsprozesse zu gehen. Das würde keinerlei Verständnis auslösen, und ich finde, das können wir uns auch nicht erlauben. Ich habe hier jeden Tag Probleme abzuräumen. Diese Wiederholungswahl ist eine Chance, auch für die Berlinerinnen und Berliner, sich noch einmal mit der Frage auseinanderzusetzen, worum es eigentlich geht, worum es eigentlich gehen muss und was gerade das Wesentliche ist.
Mein/4: Die Theater füllen sich nur sehr langsam. Viele Vorstellungen werden vorsorglich abgesagt, gerade an kleinen Bühnen, denen es zu heikel ist, auf die Verkäufe an der Abendkasse zu vertrauen. Was sind in der Kultur in diesem Winter die drängendsten Probleme?
Klaus Lederer: Wir sind wirklich jeden Tag dran dafür zu sorgen, dass in diesem Winter niemand hängen gelassen wird. Das ist unser Anspruch. Wir werden auf jeden Fall vermeiden, dass die soziale Infrastruktur, die kulturelle Infrastruktur, auch die klein- und mittelständische Wirtschaft in Berlin Schaden nimmt.
Und wir haben im vergangenen Jahr eine Menge getan, um den Kulturbetrieb neu zu starten, Publikum und Künstlerinnen und Künstler wieder zueinanderzubringen. Zum einen haben wir im Sommer den Kultursommer veranstaltet, der außerordentlich erfolgreich war. Mit Blick auf die Entlastung auch breiter Bevölkerungsschichten werden wir jetzt ein Jugendkulturticket an den Start bringen, mit dem junge Menschen im Frühling die Möglichkeit haben, Kulturangebote in der Stadt kostenlos zu nutzen. Wir haben über den Nachtragshaushalt auch Ressourcen erkämpft, um private Kulturbetriebe, die freie Szene, die Institutionen zusätzlich stützen zu können. Und wir haben Mittel bereitgestellt, um auch im nächsten Jahr wieder einen Kultursommer veranstalten zu können. Das alles will und muss vorbereitet werden. Parallel dazu ist mir die soziale Frage des Produzierens und Präsentierens von Kunst schon immer ein ganz zentrales Anliegen. Deswegen ist es jetzt insbesondere auch durch Druck auf die Bundesebene ganz, ganz wichtig, dass wir uns weiter um die Frage kümmern: Wie kann die soziale Absicherung, insbesondere im freien, im selbstständigen Bereich, deutlich verbessert werden? Da muss man an dieser Stelle auch mal sagen, dass das, was Friedrich Merz und seine CDU gerade abgezogen haben im Vermittlungsausschuss, flankiert von der FDP, volle Kanne zulasten von Soloselbstständigen und Freiberuflern geht. Die Reduzierung des Schonvermögens, die Verkürzung von Vertrauensfristen, das alles macht rückgängig, was an kleinen Öffnungen während der Pandemie auch für Soloselbstständige und Freiberufler bei Hartz IV ermöglicht worden ist. Ich glaube, in anderen Konstellationen könnte man da mehr und Anderes und Besseres erreichen für die Leute und ihnen damit auch Sorgen und Ängste nehmen. Um das wieder auf die Berliner Situation zurückzubrechen: Der Unterschied zwischen der Ampel und dem, was wir in Berlin machen: Hier ist nicht die FDP, sondern die Partei Die Linke mit in der Regierung. Das führt dazu, dass hier in Berlin ein anderer Fokus auf gesellschaftlichen Zusammenhalt gelegt wird. Die Vielzahl von Herausforderungen, die in dieser multiplen Krise gesellschaftlich zu stemmen ist, wird mit einer sozial zutiefst gespaltenen Gesellschaft nicht zu lösen sein. Insofern ist die Schaffung von mehr sozialer Gerechtigkeit, auch von mehr persönlicher Sicherheit, ein Beitrag dazu, als Gesellschaft insgesamt mit so einer Krise adäquat umgehen zu können. Wir können nach Schweden oder Italien gucken, wozu es führt, wenn die soziale Spaltung der Gesellschaft sich auch noch mit einer ideologischen verbindet. Das ist desaströs, und das ist etwas, was mir ernsthaft Sorgen macht.
Deswegen hoffe ich wirklich sehr, dass zum einen der Wahlkampf diese Herausforderung nicht komplett überlagert und zum anderen – was auch immer am 12. Februar passiert – danach die Prozesse zur Neubildung einer Regierung schnell und mit Blick auf die Probleme der Stadt über die Bühne gebracht werden. Dass wir nicht den Eindruck erwecken, die Politik in Berlin sei vorrangig erst mal mit sich und ihren eigenen Eitelkeiten beschäftigt.
Mein/4: Vielen Dank für das Gespräch.