Gesellschaft Portrait

Konstantin Wecker: “Ich singe, weil ich ein Lied habe, nicht, weil es euch gefällt.”

Im Gespräch mit Liedermacher Konstantin Wecker

© Fotos: Pavol Putnoki

Seit rund 50 Jahren steht er auf der Bühne, aber die Jahrzehnte als Kunstschaffender sieht man ihm nicht an. Bis heute ist er umtriebig, tourt für Konzerte durch die Republik und möchte mit seinen bewegenden Texten die Menschen aufrütteln. Sein Engagement gilt den Nachwuchskünstlerinnen und -künstlern, denen er mit seinem Musiklabel Sturm & Klang eine Plattform bietet. Konstantin Wecker ist ein Mensch mit Tiefe und Humor. Wir sprachen mit dem Musiker, Liedermacher, Schauspieler und Autor im Wintergarten Berlin.

Mein/4: Lieber Konstantin, wohin führt dich dein nächstes Konzert?

Konstantin Wecker: Nach Hessen. Wir hatten gestern wieder sieben Stunden Fahrt. Seit wir mit dem Auto unterwegs sind, hatten wir noch nie so verstaute Strecken.

Mein/4: Wir haben uns anlässlich deines Solokonzertes im Wintergarten getroffen. Du gehst durch die letzten 50 Jahre deines Schaffens. Diese Zahl klingt unglaublich. Aber noch erstaunlicher: Man sieht dir diese 50 Jahre überhaupt nicht an. Wie stemmst du das alles körperlich?

Konstantin Wecker: Ich hatte ein bisschen körperliche Probleme von der einseitigen Haltung am Flügel. Aber jetzt geht’s wieder. Ich glaube wirklich, dass mir in der Corona-Zeit das Fitnesstraining gefehlt hat. Denn normalerweise absolviert man das praktisch auf der Bühne. Privat habe ich in der Zeit keine Fitness gemacht, da fehlte mir ganz deutlich die Bewegung. Wenn ich einen Schrittzähler bei mir hätte, käme ich an einem Abend auf der Bühne bestimmt auf 10.000 oder 15.000 Schritte.

Mein/4: Du sprachst eben Corona an. Nun bist du ja lange nicht aufgetreten. Und das für jemanden, für den Konzerte so ein Lebenselixier sind. Du ziehst deine Kraft doch auch aus dem Kontakt zum Publikum. Wie bist du damit psychisch umgegangen?

Konstantin Wecker: Das war der ursprüngliche Grund, das Buch Poesie und Widerstand in stürmischen Zeiten zu schreiben. Wobei, ich weiß gar nicht, ob ich wirklich ein Buch machen wollte. Ich wollte einfach nur über die Tatsache schreiben, dass ich plötzlich kein Publikum mehr habe, das mich ja auch ermutigt hat. Das fiel mir erst dann so richtig auf, weil ich gerade in den letzten Jahren so viele liebe Briefe und Mails von meinem Publikum bekommen habe. Ein Mann hat mir beispielsweise geschrieben: „Lieber Herr Wecker, ich wollte eigentlich den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Aber jetzt war ich in Ihrem Konzert, und ich verspreche Ihnen, ich engagiere mich weiter.“ Das ist natürlich eine tolle Rückmeldung. Auch wenn die Leute schreiben, dass meine Texte ihnen Mut machen. Und da fiel mir noch mal ganz deutlich auf, dass auch mein Publikum mir immer schon Mut gemacht hat durchzuhalten und hoffnungsfroh zu bleiben. Ich glaube, wenn ich die letzten Jahrzehnte allein auf einem Berg oben geschrieben hätte, dann wäre ich sicherlich nicht in der Lage gewesen, Utopia zu schreiben. Überhaupt die Idee zuzulassen, dass es möglich sein könnte … Und das ermöglicht mir mein Publikum jeden Abend – wenn ich sehe, da sind ein paar Hundert Leute, oft ein paar Tausend Leute, die die gleichen verrückten Ideen haben wie ich.

Mein/4: Nun leben wir ja in stürmischen Zeiten, es bewegt sich viel. Du bist der Inbegriff eines Antifaschisten. Macht dir das Sorge? Erlebst du das auch gerade als Veränderung, dass vieles sich wieder nach rechts verschiebt in einigen Bereichen?

Konstantin Wecker: Es macht mir natürlich große Sorgen. Du musst dir mal vorstellen, als ich meinen ersten Willy geschrieben habe, da gab es zwar noch jede Menge alter Nazis, aber ganz wenige Neonazis. Ich hätte mir damals nicht in den schlimmsten Träumen vorstellen können, was dann nach der Wende passiert ist, nämlich dass Ausländerheime brennen. Und das hat sich ja noch erweitert. Mittlerweile haben wir richtige Nazis im Bundestag sitzen. Das Gefährlichste sind meines Erachtens die Verschwörungstheorien. Als junger Psychologiestudent habe ich mit Begeisterung Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus gelesen. Da machte Reich ganz klar, dass Faschismus sich ausschließlich aus Mythen nähren kann. Mit der Logik und mit Ratio ist alles widerlegbar an dieser schrecklichen Ideologie. Aber mit Mythen kannst du natürlich so was aufbauen. Und was sind die Mythen heute? Das sind Fake News. Wir leben schon in einer Zeit, in der sich wieder ganz viel aus Mythen speist. Du kannst einen Mythos rational nicht widerlegen, weil in dem Moment sagt dir sofort jemand: „Schau doch ins Internet, da siehst du es auf YouTube.“ Das ist ganz gefährlich im Moment.

Mein/4: Aber du wirst nicht müde: Du mahnst weiter, du versuchst weiter aufzuklären und aufzurütteln.

Konstantin Wecker: Ich finde, das ist eine Aufgabe der Kunst und der Kultur überhaupt. Seit Jahrtausenden hat uns die Kunst immer wieder ans Menschsein erinnert und eigentlich an die Utopie – im Grunde ist das an der ganzen Kultur ersichtlich, die sich durch die Menschheitsgeschichte zieht, angefangen von der Odysee über Dostojewski und Tolstoi bis hin zu modernen Autorinnen und Autoren. Es ist immer diese utopische Idee eines herrschaftsfreien, liebevollen Lebens miteinander. Nur die Kunst kann uns daran erinnern, und deswegen muss diese Idee in der Kunst weitergetragen werden. Sie darf nicht aussterben.

Mein/4: Du fährst zwar gerade nach Hessen, kommst aber bald wieder nach Berlin, zusammen mit Fanny Kammerlander und Jo Barnickel.

Konstantin Wecker: Da wollen wir Utopia machen – wenn alles gut geht im Herbst und wir auftreten können. Natürlich hatte ich ursprünglich vor, Utopia in größerer Besetzung zu machen, aber das wird wahrscheinlich nicht möglich sein. Das geht einfach finanziell nicht.

Mein/4: Du hast auch weniger Zuschauer im Moment. Normalerweise hast du ausverkaufte Säle. Was ist das gerade für ein Gefühl, als Künstler da oben zu stehen?

Konstantin Wecker: Die Säle sind ja zum Teil ausverkauft. Nur bedeutet ausverkauft heute mit viel Abstand. Wenn 2.000 Leuten reinpassen, dürfen jetzt vielleicht 400 rein und das Ganze auch Open Air. Aber was ich für pervers halte: Ich war zur Zeit der Festspiele in Bayreuth. Da habe ich Open Air mit Abstand gespielt, die Bedingung war: 300 bis 400 Leute. Im Festspielhaus, das 2.000 Personen fasst, durften 1.000 Leute sein. Warum? Weil der Herr Söder sein Foto bei der Festspieleröffnung brauchte.

Mein/4: Du warst in Corona-Zeiten nicht untätig, sondern du engagierst dich auch sehr für Nachwuchskünstler. Felix Meyer ist einer von ihnen. Und du hast dich zusammen mit Hannes Wader und Reinhard May für die nachwachsende Liedermacher-Generation eingesetzt – zumindest habe ich euch so als Dreier-Gang wahrgenommen.

Konstantin Wecker: Das ist sicher so. Mit Reinhard habe ich leider schon seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr. Mit Hannes telefoniere ich manchmal.

Mein/4: Ihr seid eine Generation. Dir sieht man dein Alter wirklich nicht an. Und ich nehme es auch nicht wahr. Für mich bist du immer noch 40 Jahre jünger, aber du hast noch so viel Power und strahlst die auch aus. Macht es dir manchmal Sorgen, dass da nichts nachwachsen könnte?

Konstantin Wecker: Es wächst was nach. Darum geht es auch bei meinem Label Sturm und Klang. Am Anfang habe ich es gegründet, um mich von großen Plattenfirmen oder Konzernen unabhängig zu machen. Dann habe ich mich dazu entschieden, es auch für junge Liedermacher zu öffnen. Ich habe so tolle Künstlerinnen und Künstler dabei! Da sind auch viele begabte Sängerinnen dabei und interessanterweise sehr viele Pianistinnen. Sie bezeichnen sich alle gerne als Liedermacher. Das heißt, sie verwenden diesen altmodischen Begriff, um zu sagen, dass sie eben nicht nur Musik machen, sondern auch einen Inhalt haben. Und das Motto meines Labels ist das gleiche wie das Motto meines Lebens, nämlich ein Lied, das ich vor 50 Jahren geschrieben habe: „Ich singe, weil ich ein Lied habe, nicht, weil es euch gefällt.“ Und ich kann wirklich sagen, meine Künstlerinnen und Künstler singen, weil sie ein Lied haben. Klar, die haben vielleicht ein kleines Publikum, und ich hoffe, dass es auch hier wächst. Für sie ist die Corona-Zeit natürlich ein viel größeres Drama als für arrivierte Künstler. Denn sie verkaufen eigentlich nur live, und da ging halt gar nichts. Deswegen habe ich auch mit den Streams meiner Label-Konzerte für die Künstler gesammelt, für die Musikerinnen und Musiker und für meine Techniker. Das war wirklich toll, da kamen am Anfang beim ersten Lockdown über 60.000 Euro rein. Das ist vom Publikum ist schon sehr, sehr schön. Ich bin so glücklich drüber.

Mein/4: Aus vielen Gesprächen klang die Sorge raus, dass sich die Leute von der Kunst abwenden, weil sich viele Künstlerinnen und Künstler andere Einkommensmöglichkeiten gesucht haben. Und dass für diese Leute die Kunst und Kultur verloren ist. Es braucht ja auch den Mut zu sagen: Ich will von meiner Kunst leben.

Konstantin Wecker: Unbedingt. Es braucht Mut. Es war für mich unvorstellbar, etwas anderes zu machen, weil ich im Schreiben meine ganze Erfüllung gefunden habe. Ich bin einfach ein Bühnenmensch. Mein Papa war Tenor und hatte eine wunderschöne Stimme. Aber er hatte nie Erfolg als Sänger. Ich habe mich immer gewundert, weil die Stimme wirklich atemberaubend schön war. Später im Alter sagte er mir mal: „Konstantin, ich hatte so eine Angst vor Publikum.“ Klar, das konnte nicht gehen. Wenn man Angst vor Publikum hat, ist das keine gute Voraussetzung für einen Bühnenkünstler.

Mein/4: Hast du persönlich mal finanzielle Not gelitten, sodass du kaum von deiner Kunst leben konntest?

Konstantin Wecker: Natürlich. Ich musste währenddessen unglaublich viel jobben. Nicht zuletzt habe ich deswegen auch die Softporno-Filme angenommen. Da gab es gutes Essen und 500 Mark am Tag. Das war ein Wahnsinn: 500 Mark, das war kaum vorstellbar. Aber damit musste ich dann aufhören, weil ich gemerkt habe, dass es da einen Widerspruch gibt. Irgendwann kam die erste Schallplatte und die zweite. Da waren auch Lieder drauf, die einfach nicht mehr mit Softporno zu vereinbaren waren.

Mein/4: Ich erlebe dich als unheimlich offen und ehrlich. Gibt es irgendwas, das du nicht erzählst, selbst wenn dich jemand danach fragt?

Konstantin Wecker: Wenn es um andere geht. Ich habe in meiner Biografie ganz eindeutig alles über mich offenbart, auch Probleme. Ich habe immer auch viel über meine Drogensucht geschrieben. Aber wenn es zum Beispiel um Partnerinnen geht, ist für mich Schluss. Das geht niemanden etwas an. Auch über meine Ehe möchte ich keinen Klatsch verbreiten lassen.

Mein/4: Was ist dein Wunsch für das nächste Jahr?

Konstantin Wecker: Ich bin nun wirklich in einem Alter, wo ich aufhören muss, von den nächsten Jahren zu träumen. Als junger Mensch träumt man noch von den ganz großen Vorstellungen. Obwohl das rückblickend bei mir auch interessant war: Ich konnte über Dieter Hildebrandt meine ersten Konzerte in der Münchner Lach- und Schießgesellschaft geben. Ich war ein ganz junger Mann und Dieter mochte meine Lieder. Er hat mir da einen Auftritt verschafft. In die Lach- und Schieß gehen 100 Leute rein und es waren 70 da. Damals habe ich mir gesagt, wenn dieser Laden ausverkauft ist, dann habe ich es geschafft. Ich habe wirklich nicht von irgendwelchen großen Hallen geträumt. Viele Jahre später habe ich dann sehr junge Musiker getroffen und gesagt: „Geht doch mal in irgendwelche kleinen Clubs, geht auf Kleinkunstbühnen.“ Nein, das wollten sie nicht, sie seien Hallenkünstler. Ich habe nie mehr etwas von ihnen gehört. Ich habe auch schon sehr große Konzerte gehabt, vor allem dann, wenn ich mit Joan Baez aufgetreten bin, und auch bei den Friedenskonzerten. Da waren manchmal ganze Fußballstadien voll. Aber ehrlich gesagt, so ein Theater mit 800 bis 1.200 Leuten finde ich viel spannender. Weil du da noch in der Lage bist zu improvisieren, und du kannst selbstironisch sein. Vor zigtausenden Menschen wird man irgendwie starr. Du nimmst auch den Einzelnen nicht mehr wahr, nur noch die Masse. Das wollte ich nie. Ich möchte immer auch ein bisschen Licht im Saal, um die Leute zu sehen.

Mein/4: Lieber Konstantin, vielen Dank für das Gespräch.

Erschienen im Heft 3-2021.