Der Jazzsänger Atrin Madani im Gespräch mit Hans-Jürgen Schatz
Fotos: Pavol Putnoki
Atrin Madani ist ein Weltreisender in Sachen Jazz, in seinem Schöneberger Kiez fest verwurzelt. 1998 geboren, ist er ein Berliner ohne Ost- oder West- davor, hat er die Teilung der Stadt nicht erlebt, die Mauer nie gesehen. Berlin wurde Hauptstadt und Regierungssitz, für ihn ist es vor allem die deutsche Hauptstadt des Jazz. Und da gibt es keine Grenzen, keine Mauern. Jazz ist eine universelle Sprache.
In Berlin trifft man verdammt talentierte junge Menschen. Einer von ihnen ist der Jazzsänger Atrin Madani. Als ich ihn 2016 zum ersten Mal hörte, war er gerade 18 geworden. Er sang Konzerte an ausgesuchten Orten, begleitet von verschiedenen Formationen, einmal sogar nur von einem Bassisten. Ein faszinierender Abend. Bereits damals hatte er eine unverwechselbare Stimme, eine starke Bühnenpräsenz und besaß eine hohe Professionalität.
2017 machte er sein Abitur und ebnete sich damit den Weg zum Hochschulstudium. 2018, inzwischen hatte er sich innerhalb weniger Tage drei Studienplätze in Deutschland ersungen und sich für Dresden entschieden, wurde ihm die Ehre zuteil, ins Vokalensemble des Bundesjazzorchesters aufgenommen zu werden. Diese Mitgliedschaft endet regulär nach zwei Jahren, in denen man an etlichen Arbeitsphasen und Auftritten rund um die Welt teilnimmt.
Im Herbst 2019 wechselte er von der Elbe an die Spree und setzte nun sein Studium am Jazz-Institut Berlin (JIB) fort.
Wie vertragen sich Studium und zahlreiche Auftritte?
Atrin Madani: „Meine Professoren sind nicht immer glücklich mit mir, wenn ich z. B. mal nicht Klavier üben konnte. Klar, die Auftritte nehmen Zeit weg. Mancher musste schon Prüfungen verschieben, Studienzeit dranhängen. Aber das wahre Studium findet eben auf der Bühne statt. Man kann noch so viel üben, man muss das Geübte auch auf der Bühne anwenden können.“
Atrin Madani ist ein waschechter Berliner. Wo liegen seine familiären Wurzeln?
Atrin Madani: „Meine Eltern stammen aus dem Iran. Papa ist vor fast vierzig Jahren nach Deutschland gekommen, kurz vor der Revolution. Meine Mutter viel später.“
Unter Kindern ist es kein Problem, wenn man anders aussieht. Wie ist das heute?
Atrin Madani: „In manchen Teilen Deutschlands wird man nicht als Deutscher gesehen. In Berlin ist es völlig normal, dass du als südländischer Typ super deutsch sprichst. In meiner Kindheit hatte ich gar keine Probleme, hatte Freunde, die kamen von überall. Das ist Berlin! Aber es gibt Teile dieser Welt, wo du es als ‚person of color‘ nicht so einfach hast.“
Seit ein paar Wochen erobert Atrin einige der feinsten Adressen der Berliner Jazz- und Entertainmentszene: Donau 115, Bar jeder Vernunft, Maison de France, Jazzclub A-TRANE. Weitere Auftritte in der Bar jeder Vernunft und im Jazzclub Schlot werden folgen – siehe Kasten.
Am 7. März spielt Atrin Madani mit seiner Band in der WABE an der Danziger Straße. Dort hatte der Jazz schon vor 1989 ein Zuhause und der neue Chef der WABE, Marc Lippuner, arbeitet erfolgreich daran, dass es wieder so wird.
Ist das Repertoire begrenzt, wenn man so jung ist?
Atrin Madani: „Ja, ganz sicher. Inhaltlich und von der Umsetzung her. Es gibt Songs wie ‚Lush Life‘, die sind sehr poetisch, tiefgründig und technisch sehr anspruchsvoll. Das muss man sprachlich und tonal erstmal in den Hals kriegen, um es authentisch rüberzubringen. Aber wenn einem ein Song zu fordernd erscheint, soll man ehrlich zu sich selber sein und den lieber erst in ein paar Jahren singen.“
Woher kommt die für einen so jungen Mann ungewöhnlich starke Vorliebe für die Songs aus der Zeit der Weimarer Republik, geschrieben von Werner Richard Heymann, Walter Jurmann oder Friedrich Hollaender?
Atrin Madani: „Ich habe damals den Film über die ‚Comedian Harmonists‘ gesehen. Ich liebte diesen Sound und Lieder wie ‚Irgendwo auf der Welt‘. Dann bekam ich die CD ‚Übers Meer‘ mit Max Raabe und Christoph Israel in die Finger. Und bald habe ich Max dann live im Admiralspalast erlebt. Seitdem habe ich großen Spaß daran, diese Sachen auf meine Art zu singen.“
Aber es ist nicht nur der Spaß an der schönen Musik und den oft witzigen Texten, der ihn für dieses Genre begeistert:
Atrin Madani: „Was hatten wir für eine Hochkultur in Deutschland! Es macht mich traurig, wenn ich daran denke, was wir in dieser Stadt, in Deutschland einmal hatten. Es darf nicht wieder passieren, dass so etwas von hier gehen muss. Diese großartigen Künstler, die Texte voller Humor, diese Selbstironie, die witzigen Melodien.“
Über Selbstironie verfügt Atrin Madani auch auf der Bühne reichlich. Manchmal zeigt er echte Entertainerqualitäten. War er in der Schule sowas wie der Klassenclown?
Atrin Madani: „Ja, so ziemlich. Ich war schon mit fünf der Alleinunterhalter. Ich glaube für einige Lehrer war ich kein angenehmer Schüler. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Tut mir leid! Selbstironie finde ich sehr wichtig. Man sollte sich nicht immer allzu ernst nehmen. Das Leben ist schon ernst genug!“
Und wie sieht es mit Vorbildern aus?
Atrin Madani: „Oh, ich habe zu viele, um sie alle aufzuzählen. Man kann von jedem etwas lernen. Bei einem Workshop sagte der Schlagzeuger Jerry Granelli zu mir: ‚Wenn du wissen willst, wie ein Song perfekt gesungen wird, dann hör‘ dir Sinatra an.‘ Man darf ihn oder andere natürlich nicht kopieren, nur das Handwerk übernehmen, nicht Ticks oder Eigenheiten. Ich darf einen Song nicht wie Sinatra singen, sondern muss ihn singen wie Atrin Madani.“
Woher kommen Atrins enorme englische Sprachkenntnisse, die vorbildliche Aussprache? Wie bei Sinatra versteht man jede Silbe, jeder Ausdruck macht Sinn, die Pointen sitzen, das Storytelling ist beeindruckend, jeder Verse macht neugierig auf den Song. Der Wortschatz ist umfangreich. Ein Live-Radiointerview anlässlich eines Konzerts in Toronto absolvierte er perfekt. Auf Facebook konnte man es sehen.
Atrin Madani: „Das fing zu Hause an. Bei uns lief immer Musik, im Radio, auf Schallplatte. Dann hatte ich fünfmal die Woche Englisch-Leistungskurs. Ich musste gut Englisch lernen. Meine Mutter lebte inzwischen in Kanada. Und wenn man Songtexte verstehen und singen möchte, muss man Redewendungen, Sprichworte usw. kennen. Manchmal muss ich auch Ausdrücke nachlesen, um Cole Porters Wortspiele zu verstehen. Wenn ich sie nicht verstehe, wie soll ich dem Publikum damit Spaß machen? Und am JIB sprechen wir mehr Englisch als Deutsch. Wir sind eine internationale Hochschule, meine Professorin ist Amerikanerin. ‚You gotta know your shit‘, sagt man in den USA.“
Mit Schumann, Mahler und Bach fing alles an. Im Alter von zehn Jahren trat Atrin in den Staats- und Domchor Berlin ein. Er sang mit dem DSO und den Berliner Philharmonikern unter Ingo Metzmacher und Simon Rattle:
Atrin Madani: „Mit Simon Rattle beim Schlussapplaus auf dem Podium zu sein, war ein großes Erlebnis für uns.“
Als der Stimmbruch kam, dachte Atrin daran, Schauspieler zu werden. Aber das kam ihm zu trocken vor. Es fehlte die Musik. Also Musical? In London besuchte er die Profis, sprach ausführlich mit dem Music-Supervisor von „Miss Saigon“ und „Les Misérables“. Aber das dabei wichtige Thema Tanz interessierte ihn wenig:
Atrin Madani: „Mir ist die Stimme wichtiger, da sehe ich meine Stärke. En suite zu spielen liegt mir nicht. Acht Shows die Woche! Ich finde Musical toll und schaue mir das gerne an. Die meistens Songs, die ich singe, kommen ja aus Musicals von Gershwin oder Jerome Kern. Aber mein Herz schlägt für den Jazz.“
Nächste Auftritte von Atrin Madani:
07.03.
Kulturzentrum WABE (Prenzlauer Berg):
ATRIN MADANI & Band
16.03.
Bar jeder Vernunft:
Gast bei Erik Leuthäuser & Gäste
Wünschen
27.04.
Kunstfabrik Schlot –
Jazzclub Berlin:
Atrin‘s Swingin‘ Affair
24.05.
Bar jeder Vernunft:
Gast bei Erik Leuthäuser & Gäste
Wünschen
Vorabveröffentlichung aus mein/4 Stadtmagazin 3/2020 (erscheint im März 2020)