Jeder Mensch hat seinen Zerreißpunkt
Die meisten von uns kennen ihn nicht
Aber die Wildnis kennt ihn
Und sie flüstert Dir Dinge zu
Über Dich selbst, über Dämonen
Von denen Du nichts wusstest
Bis Du ihnen begegnest
Da draußen in der großen Einsamkeit
Ich bevorzuge den Albtraum meiner Wahl
Ben Becker liest Joseph Conrad
Fotos: Jens Wazel
Es gibt nur wenige Schauspieler, die der Originalerzählung von Francis Ford Coppolas filmischem Meisterwerk Apocalypse Now über den Vietnamkrieg eine Stimme geben können. Ben Becker ist dafür die Idealbesetzung. Nicht nur, weil er den Namen des Autors Joseph Conrad als Tattoo auf seinem linken Arm trägt, sondern auch, weil er von der Reise ins Herz der Finsternis mehr als die meisten zu wissen scheint.
In Conrads Herz der Finsternis heuert der englische Kapitän Marlow auf dem Dampfer einer belgischen Handelsgesellschaft im Kongo an. Seine Mission: den schwarzen Fluss hinaufzufahren, ins Herz des afrikanischen Kontinents, wo ein Handelsagent namens Kurtz sich ein eigenes Reich geschaffen hat, in dem er Gott spielt. Diesen Mann soll Marlow finden und in die Zivilisation zurückbringen, doch stattdessen zieht ihn Kurtz immer tiefer hinein in das Grauen.
Gemeinsam mit der künstlerischen Leiterin Marike Moiteaux, dem Dramaturgen John von Düffel und mit der Musik von Yoyo Röhm gelingt Becker eine ausdrucksstarke Interpretation. In einer szenischen Lesung erschafft er auf der Bühne eine reale, dichte und berührende Atmosphäre, die durch die Reduziertheit des Textes und seine direkte Ansprache an das Publikum durch Mark und Bein geht.
Bei einem Pressetermin erzählt Becker, dass er neben Joseph Conrad auch schon früh an Marlon Brando interessiert gewesen sei, dem Schauspieler, der in Apocalypse Now legendär die Rolle des Kurtz besetzt hat. In dessen Biografie hatte Becker einmal gelesen, dass Brando Bühnentechniker gewesen war, bevor er die Bühne als Schauspieler betreten hat – davon inspiriert hat dann auch Ben Becker vor seiner Schauspielausbildung zwei Jahre als Bühnenarbeiter gearbeitet.
Obwohl Apokalypse schon vor über einem Jahr Premiere hatte, konnte die Tour coronabedingt erst im Herbst 2022 starten. Ben Becker zeigt sich glücklich darüber, obwohl auch er sich in die Riege derer einreiht, die es schwierig finden, in heutigen Zeiten Publikum ins Theater zu bekommen – gerade dann, wenn man sich auf der Bühne mit solch schweren Inhalten auseinandersetzt. Andererseits hatte aber schon der große Erfolg seines Programms Ich, Judas gezeigt, dass es eine Bereitschaft des Publikums zu einer existenziellen und intensiven Form der Auseinandersetzung mit großen Themen gibt.
Und auch in Apokalypse vermag der stimmgewaltige Ausnahmekünstler von der ersten Minute an sein Publikum zu fesseln. Kein Szenenapplaus, kein Aufatmen und kein Lacher unterbrechen die Aufführung – großes Theater!
Infobox
Ben Becker
Ben Becker ist ein Schauspieler, der seit Jahrzehnten mit seinen Liveprogrammen, Filmen und Eigeninszenierungen wie Ich, Judas und Berlin Alexanderplatz die Film- und Theaterlandschaft prägt. Er spielte bislang in über 80 Film- und Fernsehproduktionen und wirkte in vielen Theaterinszenierungen mit.
Jens Wazel
Jens Wazel ist ein Berliner Fotograf und Videograf. Er war für Mein/4 bei einer Lesung für die Medien und bei einer Aufführung von Apokalypse im Berliner Renaissance Theater dabei.