Mitte der 80er-Jahre kam Gayle Tufts das erste Mal ins damalige Westberlin, kehrte aber wieder in die USA zurück. 1991 zog es sie dann endgültig der Arbeit wegen nach Berlin. „Ich war immer der witzige, singende Mensch in einem ernsthaften Tanztheaterstück. Und in dieser Zeit gab es eine starke Verbindung in diesen Tanztheater-Communities zwischen Berlin und New York. Es war eine ganz kleine Welt, und durch Freunde habe ich einen Job in Berlin bekommen“, blickt die Künstlerin zurück.
Sprache verbindet
Zu der Zeit sprach sie noch kein Deutsch. „Meine Deutschkenntnisse waren sehr limitiert: Kindergarten, Doppelgänger, Schadenfreude, Blitzkrieg, Gesundheit“, lacht Gayle Tufts. Sie begann, in einer internationalen Tanzgruppe zu arbeiten und gab auch Unterricht: „Das war eine tolle Company“, erinnert sich die Entertainerin, „das war so ein Kollektiv in Kreuzberg, heutzutage würde man das vielleicht mit dem Radialsystem vergleichen.“ Wegen der internationalen Ausrichtung war Englisch die gemeinsame Sprache. „Letztlich war ich aber nie lang genug hier, um richtig Deutsch zu lernen“, bedauert sie und ergänzt: „Ich sage oft zu Leuten, die aus anderen Ländern nach Berlin kommen oder die ich auf Tournee treffe: ‚Lern die Sprache!‘ Denn ich habe das nicht gemacht, ich war immer zu busy. Ich habe erst keine Zeit gehabt und auch nicht das Geld. Ich würde sagen, ich habe Deutsch ‚learning by doing‘ gelernt. Dabei finde ich es wahnsinnig wichtig, die Sprache zu lernen, und zwar so schnell wie möglich und auch korrekt. Alle diese ‚dies‘ und ‚das‘ und ‚dem‘ und ‚jeden‘, das finde ich bis heute schwer.“ Doch das vielleicht wichtigste Argument, das sie anbringt: „Ohne die Sprache ist es sehr einsam. Wenn man die Sprache beherrscht, lernt man andere Menschen kennen und kann Verbindungen aufbauen.“ Auch beim Sprechen geht es ihr immer ums Machen und Ausprobieren, genauso hält sie es mit ihren Bühnenshows. Wenn sie schreibt, probiert sie immer wieder Neues aus. Und so hat Gayle Tufts auch ihr vermeintliches Versäumnis, die deutsche Sprache nicht richtig gelernt zu haben, zu ihrer Stärke gemacht und ihr legendäres Denglisch auf die Spitze getrieben. „Ich schreibe für die Bühne, probiere aber immer, meine Pointe auf Deutsch zu haben. Das hängt aber auch ein bisschen davon ab, wo ich auf Tournee bin. Das Plattdeutsche in Norddeutschland zum Beispiel hat ein bisschen was mit Englisch zu tun. Die Leute verstehen das gut. In Berlin sowieso. Aber wenn ich im Osten bin, ist es schwieriger. Dort gab es nicht so viele englische Kinos oder englische Fernsehserien, auch in der Schule hatten sie kein Englisch. Da muss ich bewusst ein bisschen langsamer sprechen. Ich möchte mit meinem Denglisch niemanden ausschließen.“ Gayle Tufts feiert all die Optionen, die ihr das Denglisch bietet: „Ich habe zwei Mal so viele Möglichkeiten, die Sprache zu benutzen, Reime oder Pointen zu machen. Aber am Ende mag ich das auf Deutsch. Wir sind in Deutschland und ich möchte, dass deutsche Leute darüber lachen können.“
Bye bye New York, hello Berlin
Während des Mauerfalls war Gayle Tufts gerade in New York. Auch wenn im Jahr zuvor etwas in der Luft lag, war die Sängerin überrascht, als schließlich wirklich die Mauer fiel. Wochenlang habe sie versucht, ihre Freunde in Berlin anzurufen. „Es gab kein Internet, keine E-Mails. Ich habe es immer wieder auf dem Festnetz probiert, aber die ganzen Telefone waren überfordert.“ Die Tanzfabrik bot ihr dann einen Zweijahresvertrag an: „Ich dachte, wenn ich das jetzt nicht miterlebe, ist meine Chance vorbei. Und ich habe Berlin sowieso geliebt.“ Zu der Zeit war sie bereits 13 Jahre in New York und erfolgreich. Sie überlegte hin und her, in New York zu bleiben und ihren Job mit Agentur und Castings zu kommerzialisieren, in dem Wissen, sich auf einen bestimmten Typ festlegen zu müssen. „Ich würde immer die beste Freundin sein“, war sie damals überzeugt. In ein anderes Land zu ziehen, dessen Sprache sie nicht kannte und wo ihr die Menschen fremd waren, schien ihr wesentlich mehr Entwicklungspotenzial als Mensch und Künstlerin zu versprechen. „Ich dachte, ich könnte dann etwas in mir entdecken, von dem ich vorher nichts wusste“, erzählt uns „Germany’s best-known American“ (Stern Magazin). Das Leben in einem anderen Land birgt so viele Optionen: „Da bist du nicht nur die Tochter von … oder die beste Freundin von … Du kannst dich neu definieren oder mehr entwickeln.“ In New York arbeitete Gayle Tufts damals am Lincoln Center. Sie hatte einen guten Job als Performer. Tagsüber verdiente sie sich ein Zubrot als Kindergärtnerin an einer Waldorfschule. „Ich habe in einer WG gelebt, trotzdem braucht man in New York immer einen zweiten oder dritten Job.“ Ihr Traum schien greifbar, sich in Berlin ein Leben als Vollzeitkünstlerin aufzubauen und sich voll und ganz auf ihr Schaffen zu konzentrieren. Aus heutiger Sicht können wir bestätigen: Dieser Glaube hat sich bewahrheitet!
„With a little help from my friends“: Auftakt als Solokünstlerin in Berlin
Als Gayle Tufts im Tanztheaterstück Die Nacht die Nacht spielte, war ihr klar, dass sie etwas anderes machen musste. „Ich habe echt gedacht, ob es nicht etwas witziger sein könnte. Anfang der 90er-Jahre gab es nicht so viele witzige Frauen, die als sie selbst auftraten. Es gab Frauen, verkleidet als Putzfrauen – wie Elke Heidenreich oder die Misfits – und es gab Männer in Frauenkleidern. Da waren Barbara Schöneberger oder Anke Engelke noch Kinderstars. Ich sah eine Marktlücke für mich“, schildert sie ihre Anfänge in Berlin. Ihr Vorhaben, als witziger, singender Mensch die Bühne zu erobern, setzte sie schließlich selbst um, indem sie für damals 75 Mark pro Abend das ehemalige Friends of Italian Opera in Kreuzberg, heute das English Theatre, mietete, inklusive Technik und Licht. Dabei kam Gayle Tufts ihr Studium des Schauspiels und der Theaterwissenschaft zugute: „Dort haben wir gelernt, wie man einen Pressetext schreibt und eine Show produziert. Also habe ich ein Budget erstellt. Wenn ich 50 Leute kriege, kann ich das meistern. Freunde von der Tanzfabrik haben mir auch geholfen. Das war eine Zeit in Berlin, wo man sich das noch leisten konnte.“ Zu Beginn lebte sie noch in einem Zimmer bei Freunden, dann mietete sich etwas für 200 Mark im Monat und duschte einfach in der Tanzfabrik.
„Ich habe Glück gehabt in meinem Leben“, blickt die Entertainerin dankbar zurück und zitiert die Beatles: „with ‚a little help from my friends‘ konnte ich hier Fuß fassen. Es war neu, es war anders, es war aufregend, hier zu sein so kurz nach dem Mauerfall. Es war ein sicherer Job, so sicher, wie man eben am Theater sein kann, bis ein Lockdown kommt“, heute kann sie darüber schmunzeln.
Brückenbauerin zwischen Deutschland und Amerika
Über die Jahre hat sich die Figur Gayle Tufts weiterentwickelt: „Ich glaube, sie ist witziger geworden, weil ich mehr diesen Außenseiterblick einnehme. Erst denkt man vielleicht, dass Deutschland gar nicht so anders ist als Amerika. Aber ich bin jetzt seit 30 Jahren hier, und Deutschland ist anders. Über die Jahre bin ich mehr zur Deutschen geworden, auch mit der Sprache und meiner Mentalität. Dann habe ich meinen Mann kennengelernt, der Bremer ist, das ist wieder ein ganz anderes Ding“, zeigt sich die Solokünstlerin amüsiert. „Ich war ein Spiegel for America, und wir wissen, dass Amerika über die Jahre auch sehr interessant geworden ist. Spätestens mit ‚the orange monster‘, wie ich ihn nenne, habe ich mich ein bisschen als Brückenbauerin zwischen zwei Kulturen gesehen. Wenn ich sage, ihr versteht uns nicht, dann mache ich einen deutschen Vergleich. Wahlen in Amerika z. B. liegen immer auf einem Dienstag und man kriegt nicht frei von der Arbeit. Man stelle sich das in Deutschland vor. Man muss immer diese Vergleiche machen.“
Den Amerikanern eilt das Vorurteil voraus, oberflächlich zu sein. „Dabei sind wir nur freundlich. Wir sind ein Einwanderungsland“, sagt Gayle Tufts. „Aber die meisten Deutschen sind etwas überwältigt von dieser Offenheit, von dieser Aufgeschlossenheit. Wenn dich in Amerika jemand fragt ‚How are you‘, antwortest du immer ‚fine‘. Wenn dich hier jemand fragt, wie es dir geht, bekommst du gern die Antwort: ‚Muss ja‘. Das ist eine ganz andere Mentalität. ‚How are you‘ ist von der Bedeutung eher vergleichbar mit ‚Moin!‘, es geht nicht darum, dein Herz auszuschütten.“ Ist es nun eher Optimismus oder Ahnungslosigkeit? Am Ende ist es eine Frage der Perspektive, und das arbeitet Gayle Tufts in ihren Shows pointiert heraus. Dazu braucht sie nur genau zu beobachten und findet so mitten im Leben das beste Material.
Berliner Kultur-Schatzkiste
Mit dem Programm Wieder da!, entwickelt während des Lockdowns, erobert Gayle Tufts gerade die Bühne im Schiller Theater. Was hat der Lockdown gelehrt? „Ich bin wirklich gut im Kreuzworträtseln und kann gutes deutsches Brot backen“, witzelt die Denglisch-Comedian. Wie andere Künstlerinnen und Künstler auch, gibt sie zu, anfangs froh gewesen zu sein über die Pause. „Ich war in den letzten Jahren viel auf Tournee. Viele von uns haben sich vermutlich am Rande eines Burnouts bewegt und waren erst einmal happy über diese Pause. Aber nach drei Monaten habe ich in den Himmel geguckt und gesagt: ‚Ich meinte es nicht so.‘ Ich habe realisiert, wie viel mir mein Job bedeutet und wie sehr ich den Austausch mit anderen Menschen vermisse. Ich liebe den sozialen Aspekt des Theaters.“
Gayle Tufts Herz schlägt für die Bühne und das Liveformat. Mit der Zoom-Alternative hat sie sich schwergetan. „Das ist nicht so mein Ding. Ich habe es zwar auch gemacht, und es war okay, weil ich auch seit Jahren Radio mache. Aber diese Energie und dieses Adrenalin haben mir wirklich gefehlt.“ Heute holt sie privat viel nach und bezeichnet sich selbst als „Kulturjunkie“. Sie probiert sich regelrecht aus, indem sie nicht nur häufig Shows von Kolleginnen und Kollegen besucht, sondern auch Kulturorte, an denen sie zuvor nie war, darunter die Staatsoper. „Im Publikum zu sitzen und jemanden live zu erleben, tut einfach gut. Und man kommt ins Gespräch mit anderen Leuten im Publikum.“ Sie vergleicht die Atmosphäre mit einem Festivalgefühl. Außerdem ist ihr in Zeiten des Lockdowns richtig bewusst geworden, wie viel Kultur es eigentlich in Berlin gibt: „Wir haben eine Schatzkiste hier in Berlin, einen großen Reichtum an Kultur.“
Wohnzimmeratmosphäre im Theater
Dass sie heute vor nicht ausverkauftem Publikum auftreten muss, stört die Künstlerin nicht. Ihr ist dieses Raumgefühl aus New York vertraut, wo sie ihre Karriere in kleinen Clubs begann. Im Laufe der Jahre ist sie an so vielen verschiedenen Orten aufgetreten, vom Opernhaus über Funky Night Clubs bis zu Museen: „Ich kann adaptieren, das ist okay für mich. Hauptsache, es sind Leute da.“ Den Raum im Schiller Theater mit seinen Holzwänden mag sie besonders, denn da fühlt sie sich nicht, als würde sie in einer Arena auftreten, ohne das Publikum zu sehen. „Ich lasse meinen Lichtmann einfach das Licht einschalten, sodass ich mein Publikum sehen kann. Es ist wie mein Wohnzimmer hier, ich fühle mich zu Hause.“ Dieses unangestrengte Gefühl möchte sie auch ihrem Publikum vermitteln, damit es sich wohlfühlt. „Niemand möchte es anstrengend dieses Jahr“, ist sie sich sicher.
Zwischen den Jahren und an Silvester plant Gayle Tufts eine Mischung aus Jahresrückblick und Vorschau: „Jetzt machen wir die Klammer zu und gucken nach vorn. Es wird viel Musik geben, viel zu lachen, ein paar Lieder, und bestimmt werden auch ein paar Tränen vergossen.“ Die Silvestershow startet um 23 Uhr, um Mitternacht gehen alle nach draußen, mit Blick auf die Straße des 17. Juni, und kommen anschließend für die Fortsetzung wieder rein. „Ich darf aber nur ein halbes Glas Champagner trinken“, lacht Gayle Tufts, „sonst würde ich mich nicht mehr an meinen Text erinnern. Ich liebe es, so an Silvester zu arbeiten. Es liegen genug Silvester hinter mir, ich brauche keine Böller. Hier ist es so schön friedlich.“ Mit ihrer Crew, ihrem Mann und mit Freunden lässt die Entertainerin das Jahr auf diese Weise gemütlich starten. „Wenn nachher the curtains go down, dann sitzen wir hier alle zusammen, essen Buletten und stoßen an.“ Ganz besonders ist für sie dann der Neujahrstag, den sie gern im Wald verbringt, bevor sie es sich zu Hause gemütlich macht.
It’s a family business
Die Planungen für 2022 sind bereits in vollem Gange. Neben ihrer eigenen Show ist ein Ensemblestück im Theater am Kurfürstendamm angedacht, doch mehr darf an dieser Stelle noch nicht verraten werden. Ein neues Projekt in Bremen zählt ebenfalls zu den Vorhaben. Auch 2023 rückt mehr und mehr ins Blickfeld, mit einer neuen Weihnachtsshow, für die im kommenden Jahr die Texte entstehen. Zunächst schreibt die Künstlerin allein, unterstützt durch ihren besten Freund und Pianisten Marian Lux. „Und mein Mann ist natürlich mein first reader. Die beiden kennen mich so gut. Und ich mache ja diese Mischung aus Comedy und Liedern, also wissen sie, wenn ich eine Comedynummer mache, welche Musikalität dahinterstehen muss.“ Auch andere Freunde lässt sie zuvor reinhören und bittet um ihre Meinung. Auf diese Weise probiert sie Dinge aus und kommt ihrem Konzept schrittweise näher. „Es passt alles. It’s a family business”, zieht sie ihr persönliches Fazit.
Was im Leben wirklich zählt
Auch wenn Planungen wichtig sind, hält Gayle Tufts nichts von Fünfjahresplänen. In der Pandemie ist ihr noch mal mehr bewusst geworden, wo eigentlich die Prioritäten liegen. „Ich habe zwei Freundinnen an Covid verloren. Wenn das passiert, dann denkst du anders über langfristiges Planen“, gibt sie zu. „Wir müssen adaptieren und Prioritäten setzen.“ Was zählt wirklich im Leben? „Ich denke, in diesem Moment zu bleiben und ihn zu genießen, ist das Wichtigste. Und dankbar zu sein, was wir haben. Das klingt a little bit schleimig, but ich glaube, es ist wahr.“ Als Beispiel bringt sie einen Vergleich zwischen Deutschland und Amerika an: „Ist das Glas halb voll oder halb leer? In Deutschland sagen wir oft ‚das Glas war früher besser‘ oder ‚die nehmen unsere Gläser weg‘, ein Amerikaner würde sagen ‚guck mal, ein echtes Glas‘, weil das in Amerika ja aus Plastik wäre.“
Neben ihrer Leidenschaft für Kultur frönt sie gern ihrem anderen „Lieblingsding“, das ihr Halt gibt: Sie geht raus in die Natur. „Ich glaube, seit dem Lockdown kenne ich jeden Waldweg in Berlin und in der Brandenburger Pampa. Selbst in Berlin findet man immer wieder kleine Ecken, wo man allein ist und ein bisschen durchatmen kann.“ Nachdem Gayle Tufts jahrelang in Kreuzberg lebte, wohnt sie heute in Schöneberg und fühlt sich dort so richtig zu Hause.
Gayle Tufts
ist Entertainerin, Autorin, Sängerin, Kommentatorin und „Germany’s best-known American“ (Stern Magazin)
Sie schreibt und produziert ihre eigenen Shows.
Tufts ist die Erfinderin des Denglisch, ein poetischer und pointierter Mix aus Deutsch und Englisch.
Ihre Shows sind eine Vermischung von Sprachen, Kulturen und Genres, von Musik, Comedy und Choreografie, um die absurden Wunder des Alltags zu zelebrieren.
Ihre Weihnachts- und Silvestershows im Schiller Theater, Theater am Kurfürstendamm und Tipi sind mittlerweile eine Berliner Holiday- Tradition.
Sie veröffentlichte fünf Bücher, darunter ihr neuestes American Woman: How I Lost My Heimat and Found My Zuhause, das 2017 im Aufbau Verlag erschien.