Ukrainisches Musikerpaar Yanushkevych plant ein Album mit Arno Zillmer
Von Konstantin Paul, Wien
Fotos: Pavol Putnoki
Ein kleines Gedankenspiel: Man ist auf einer Dienstreise für ein paar Meetings und Besprechungen im Ausland und kann wegen einer militärischen Invasion plötzlich nicht mehr heim. Das ist Diana und Oleg Yanushkevych aus Cherson, Südukraine, passiert. Seit dem alles verändernden 24. Februar lebt die kleine Musikerfamilie in Berlin und vertieft ihr künstlerisches Netzwerk nun mit einem neuen Album in Zusammenarbeit mit Arno Zillmer.
Öffnet man einschlägige Medien, liest man in diesen Tagen wieder vermehrt von Cherson. Die Großstadt, seit 2. März von russischen Truppen besetzt, ist endlich befreit und steht nahe der Front unter ukrainischer Kontrolle. 1.500 Kilometer nordwestlich sitzen drei Musikerinnen und Musiker in einem Berliner Tonstudio, um ein ganz besonderes Album aufzunehmen. Zum einen Arno Zillmer, eine weitbekannte Größe in der Musikszene Ostdeutschlands. Neben ihm groovt das Ehepaar Yanushkevych, bestehend aus dem Violinisten und Gitarristen Oleg und der Pianistin Diana. Sie sind seit dem 21. Februar mit ihrem zwölfjährigen Sohn Ilja in der Stadt, denn aus einer gewöhnlichen Dienstreise in die deutsche Hauptstadt wurde eine Zuflucht vor den gewaltvollen Truppen Russlands.
Eine ganze Existenz auf Eis
Vor dem russischen Großangriff führte die Familie Yanushkevych ein viel beschäftigtes Dasein, hatte alles, was man zum Leben braucht: ein Haus, Auto, Musikstudio. Oleg und Diana traten als Musikduo Manhattan auf, und fast schon nebenbei gründete das Paar mit der Vivaldi School die erste private Musikschule der Stadt. Hier gaben sie Kindern und Jugendlichen Unterricht in Violine, Synthesizer, Rock- und Jazzkomposition mit neuem Konzept: frei von den Zügelungen „alter Schule“ und dem Stress akademischer Konzerte. Nun liegt alles kriegsbedingt auf Eis, der Besitz der Familie ist in den Händen der Besatzungsmacht. Die gerade einmal vier Jahre junge Bildungseinrichtung blieb von den viel kolportierten Plünderungen durch russische Truppen zum Glück verschont. Eine befreundete Helferin konnte das teure Equipment rechtzeitig in Sicherheit bringen. Vor dem Krieg spielten Oleg und Diana außerdem in der Band Gorod Nespjaschtschich – Stadt der Schlaflosen –, die in der Heimatstadt bekannt sowie beliebt ist. Vor 14 Jahren wurde die Rockband, die eigene Songs spielte und bekannte coverte, gegründet. Oleg spielte hier Geige und Diana Keyboard. Zudem managte sie die Band. „Jedes Mal, wenn ich Videos von Auftritten der Band sehe, vermisse ich Cherson besonders“, berichtet sie wehmütig.
Durch das Theater gerettet
Zur deutschen Hauptstadt haben beide schon länger eine Verbindung. Seit mehreren Jahren arbeiten sie mit dem Dokumentartheater Berlin von Marina Schubarth zusammen, für das sie ursprünglich die Dienstreise im Februar antraten, und steuern die Musik zu den Theaterstücken bei, die mit aufklärendem Anspruch die komplexe und hierzulande häufig unbekannte Geschichte der Ukraine aufarbeiten. Einmal unfreiwillig in Berlin Schutz gefunden, setzt das Musikerpaar hier seine rege Arbeit fort: Im Duett nahmen sie das Album Voice of Ukraine mit populären Liedern aus dem Heimatland auf, dessen Verkaufserlös Familien in Not während der Besatzungszeit zugutekommt. Das Cover der CD ist in den Farben der Flagge gehalten und zeigt beide vor der aufgehenden Sonne. Seit Beginn des Großangriffs entsteht in der ukrainischen Musikwelt eine Art Renaissance der Tradition. Viele besinnen sich auf die eigene Landessprache, vertonen Texte von klassischen, berühmten Schriftstellerinnen und Schriftstellern wie Taras Schewtschenko und entdecken auch die ukrainische Popmusik neu. Bekannte Sängerinnen und Sänger, die vormals auf Russisch sangen und auftraten, wechseln inzwischen gänzlich zur ukrainischen Sprache. Auch Oleg und Diana empfinden – rückblickend auf die Jahre mit Gorod Nespjaschtschich – das Spielen russischer Musik als Fehler.
Der große, positive Schicksalsschlag
Auch von der klassischen Musik nahm die Familie Yanushkevych in Berlin keinen Abschied. Oleg arbeitete mit mehreren deutschen Sinfonieorchestern zusammen. Durch eine ukrainische Pianistin wird der Bariton Burkhard von Puttkamer, Gründer der Schleusenkonzerte (R), auf das Ehepaar aufmerksam, holt sie für Carl Orffs Carmina Burana wortwörtlich an Bord und vernetzt sie sogleich mit Arno Zillmer, als er deren Leidenschaft für Songwriting und Rockmusik entdeckt. „Das erste Treffen war knallbummbäng“, verrät uns Letzterer, „es war ein besonderer Moment mit einer besonderen Energie.“ Große Worte liegen in der Luft. Von „Schicksal“ und „Magie“ ist die Rede und man merkt: Hier passiert etwas künstlerisch und emotional Einzigartiges.
Ein Berliner mit gutem Herz
Wer sich in Ostdeutschland, besonders im Raum Berlin bis zur Insel Usedom, für Singer-Songwriter interessiert, kommt über kurz oder lang nicht um den Namen Arno Zillmer herum. Der 42-Jährige zählt zu den vielseitigsten Künstlern der Szene. Aufgewachsen an der Ostseeküste verschlug es den Ost-Rock-Liebhaber nach Berlin, wo er mit der Musik von Rio Reiser und Udo Lindenberg in Kontakt kam. Nach seinem Musikstudium widmete er sich seinen eigenen Songs und trat neben seinem früheren Idol Lindenberg auf, der den ehemaligen Sozialarbeiter in liebevoller Udo-Manier „Arno aus Schmusedom“ nannte. Drei Alben hat Arno Zillmer schon auf den Weg gebracht, arbeitet mit seiner Mutter, der Lyrikerin Gisela Zillmer, zusammen und coacht Jugendbands. Neben Berlin und der Insel Usedom wurde auch England eine große Inspirationsquelle für ihn. Dort faszinierte er sich für die Open-Mic-Konzerte in Pubs: Lokalen Künstlerinnen und Künstlern wird hier eine Bühne angeboten, damit sie sich dem Publikum präsentieren und ihrer Musik Gehör verschaffen können. Von der Idee völlig eingenommen startete er in der WABE in Prenzlauer Berg 2018 seine eigene Open-Mic-Reihe – die perfekte Verbindung aus seiner Leidenschaft für Musik und seinem ausgeprägten Sozialbewusstsein.
Wenn aus Musikerinnen und Musikern kleine Kinder werden
Genau zu diesen Konzerten lädt Arno Zillmer nach dem schicksalshaften Treffen auch Oleg und Diana Yanushkevych ein, damit sie hier als Special Guests ihre eigenen Songs auf Ukrainisch performen können. „Besonders, wenn wir gemeinsam musizieren, fühlen Oleg und ich uns wie kleine Kinder oder gar Brüder“ – so beschreibt Arno die musikalische Verbindung. Eines ist besonders auffällig: In den Gesprächen schwärmt jede und jeder über die jeweils anderen und kann nicht aufhören, deren Talente zu bewundern. Alle bringen füreinander viel Achtung und Wertschätzung auf und strahlen so mal mehr mal weniger bewusst immer das Match Made in Heaven aus.
Musik für die einfachen Menschen
Diesen besonderen Moment und die einzigartige Verbindung gilt es zu würdigen, gemeinsame Auftritte reichen dafür jedoch nicht aus. Der Weg führt also geradewegs in eine Zusammenarbeit. Ein Album soll entstehen, in dem beide musikalischen Flüsse zu einem großen, sich selbst verstärkenden Strom zusammenkommen. Es dauert nicht lange, bis sich alle drei gemeinsam im Tonstudio wiederfinden. Auf dem Plan stehen Demoaufnahmen für den ersten gemeinsamen Song. Child of Euphoria nennen sie ihre Arbeit. Der Titel ist die geistige Quintessenz des Kollektivwerkes. Der Text vollzieht den Weg der Yanushkevychs nach Berlin nach mit einer ganz klaren Botschaft: Zerstören lässt sich vieles, jedoch nicht die Musik. Sie soll dem Trio nach weiterleben und die Menschen im Privaten erreichen. Das Kind des Glücksgefühls soll also Licht ins Dunkel bringen. Diese unerschütterliche Kraft der Musik treibt alle drei an, insbesondere Oleg und Diana, die schon über die Art des Comebacks ihrer Band nachdenken für die Zeit nach dem Krieg, nach dem Sieg der ukrainischen Streitkräfte.
Dialektische und intuitive Musik
Die Arbeitsweise des Trios spiegelt die Bedeutung der großen Leidenschaft für die drei Künstlerinnen und Künstler wider. Am Anfang steht eben nicht das Wort, sondern der Ton. Oleg beginnt zu komponieren und schickt seine Idee an Arno. Dieser komponiert dann im besten Sinne der Dialektik weiter, sucht nach neuen Wendungen und setzt neue musikalische Impulse. Diana hat dabei immer das Werk als Ganzes im Blick: „Sie ist eine große Visionärin“, beschreibt Arno seine Kollegin. Allen Beteiligten ist wichtig, dass der Stil und die Aussagekraft der jeweils anderen Künstlers hervorscheint. Oleg beschreibt versiert, wie er seine Berliner Violine – sein eigentliches Instrument liegt in Cherson – einsetzt, um die melodische Klangfarbe zu erreichen, die so gut zu Arnos Stimme passt. Letzterer beschreibt den Einfluss ukrainischer Tradition auf die Musik und deutet den großen Raum an, den er dem so vielseitigen Paar lassen möchte. Für das Trio ist es zur Maxime geworden, dass sich die sehr individuellen Prägungen und Einflüsse komplimentieren, um am Ende zu einem magischen Ganzen zu entwickeln. Den Text zu den einzelnen Songs schreibt Arno dann nachträglich. In seinem für ihn typischen Stil lässt er sich von der Musik treiben, beobachtet die Richtung, in die sie ihn lenkt und versucht dann schließlich, die passenden Worte für das spezifische Gefühl zu finden. Doch auch hier ist er nicht auf sich allein gestellt, sondern sucht die Zusammenarbeit. Oleg und Diana haben eigens für ihn manche ihrer Songs auf Englisch übersetzt.
Auf die Hilfe aller angewiesen
Das Gemeinschaftsalbum der drei begabten Künstlerinnen und Künstler soll bis zu zehn Songs umfassen. Die genaue Zahl ist vom Crowdfunding abhängig, mit dem die Produktion finanziert werden soll. Für Arno Zillmer ist das kein neues Unterfangen: Sein letztes Album konnte er komplett mithilfe der Community umsetzen. Am Ende kommen die Einnahmen nicht nur dem Album zugute, sondern auch dem guten Zweck: Ein Teil der Einnahmen wird an Bekannte in Not und Freiwillige der Ukrainischen Armee gespendet, damit auf jede erdenkliche Weise das Licht ins aufgezwungene Dunkel bis nach Cherson scheint.
Infobox
Oleg und Diana Yanushkevych
Arno Zillmer
Die Crowdfundingkampagne für das Album von Arno Zillmer mit Oleg und Diana Yanushkevych startet Anfang Dezember auf Kickstarter. Neben einer CD als Dankeschön hofft das Trio auf zahlreiche Wohnzimmerkonzerte, bei denen man die drei Künstlerinnen und Künstler ganz unverstellt in heimeliger Atmosphäre erleben kann. Zeitgleich wird auch die Single Child of Euphoria auf YouTube und allen gängigen Streamingplattformen veröffentlicht. Alle Informationen zum Projekt und Crowdfunding findet ihr hier:
www.arno-zillmer.de
www.facebook.com/Diana-Yanushkevych
www.facebook.com/yanusholeg