Folge 2
Der Schöneberger Akazienkiez
Im 13. Jahrhundert stand hier die Wiege des Dorfes Schöneberg, 800 Jahre später ist die Gegend rund um die Akazienstraße ein belebtes Berliner Stadtquartier mit zahlreichen kleinen Läden, Cafés und Restaurants, in dem es auch kulturell einiges zu entdecken gibt.
Der Akazienkiez verdankt seinen Namen der ihn von Norden nach Süden durchquerenden Akazienstraße, die ihrerseits 1840, im Jahr ihrer Benennung, an einem Akazienwäldchen vorbeiführte. Dieses musste ein halbes Jahrhundert später der Apostel-Paulus-Kirche weichen, die zweifelsohne das imposanteste Bauwerk des Viertels ist. Das im historisierenden Stil der märkischen Backsteingotik errichtete Gebäude entstand nach Entwürfen des Königlichen Baurats Franz Heinrich Schwechten, der zeitgleich in Charlottenburg die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche schuf. Am 29. Dezember vor 125 Jahren wurde das Gotteshaus in Anwesenheit des Deutschen Kaiserpaars feierlich eingeweiht; sein 85 Meter hoher Turm ist der fünfthöchste Kirchturm Berlins.
Dagegen fallen die anderen Kirchenbauten im Kiez verhältnismäßig bescheiden aus, wenngleich sie mindestens ebenso von architekturhistorischem Interesse sind. Allen voran das zwischen 1958 und 1962 entstandene Bauensemble aus evangelischer Paul-Gerhardt-Kirche, Gemeindezentrum und katholischer St. Norbert-Kirche am südwestlichen Zipfel des Akazienkiezes. Die Architekten Hermann Fehling, Daniel Gogel und Peter Pfankuch schufen aus unregelmäßig übereinander geschichteten Stahl- und Sichtbetonelementen einen beeindruckend schroffen Kontrast zur direkt daneben liegenden rosaverputzten Dorfkirche aus friderizianischer Zeit. Das barocke Gotteshaus ist das letzte Zeugnis der dörflichen Struktur Alt-Schönebergs, dessen historischer Siedlungskern entlang der Hauptstraße zwischen der heutigen Dominicus- und Akazienstraße lag.
Erst Mitte des 18. Jahrhunderts entstand an der nordöstlichen Ortsgrenze ein weiteres, Neu-Schöneberg genanntes Dorf. Es erstreckte sich bis zum heutigen Heinrich-Kleist-Park, dessen Gelände zu dieser Zeit bereits mehr als 100 Jahre als landwirtschaftlicher Muster- und kurfürstlicher Küchengarten genutzt wurde. 1801 erfolgte die Umgestaltung der 7,5 Hektar großen Fläche zum botanischen Garten. Das dazugehörige Königliche Botanische Museum mit seinem prachtvollen Treppenhaus entstand in den Jahren 1878 bis 1880 an der Grunewaldstraße 6-7.
Seit den 1960er-Jahren ist das Haus am Kleistpark Sitz des Kulturamtes Schöneberg und mit einer Ausstellungsfläche von fast 300 Quadratmetern eine der größten kommunalen Galerien Berlins. Bei freiem Eintritt lädt es in den ehemaligen Herbariumssälen zu hochkarätigen Wechselausstellungen ein, die hauptsächlich zeitgenössische Kunst, aber auch aktuelle und historische Fotografie in den Fokus rücken.
Einen ganz anderen Schwerpunkt hat das ebenfalls kostenfrei zu besichtigende Schöneberg-Museum in der Hauptstraße 40, unter dessen Dach sich auch das Jugendmuseum und das Bezirksarchiv befinden. Ziel des Museums ist es, Menschen aller Generationen dazu anzuregen, die Stadt und ihre Quartiere in Tempelhof-Schöneberg neu zu entdecken, indem es relevante Themen aus Politik und Gesellschaft unter lokalen Gesichtspunkten lebendig aufbereitet.
So plädiert die aktuelle Ausstellung Welcome to diversCity (noch bis 18. August 2019) für einen offenen Umgang mit den vielfältigen Lebensweisen in Berlin, beleuchtet hier im Besonderen den „Regenbogenkiez“ rund um den Nollendorfplatz und stellt zahlreiche queere Persönlichkeiten aus der Schöneberger Geschichte vor.
Vergessen wird einer natürlich nicht: David Bowie, der zwischen 1976 und 1978 nur 800 Meter nördlich in der Hauptstraße 155 gewohnt hat. Eine Berliner Gedenktafel an der Fassade erinnert daran, dass hier vor etwas mehr als 40 Jahren Musikgeschichte geschrieben wurde. Wer mehr darüber erfahren möchte, sollte sich Tobias Rüthers Buch Helden – David Bowie und Berlin (Rogner & Bernhard, 12,95€) besorgen, in dem die beiden intensiven Jahre mit Liebe zum Detail und sehr unterhaltsam dokumentiert sind.
Mindestens ebenso unterhaltsame Zeitdokumente sind die Geschichten der erhörten Objekte im Museum der Unerhörten Dinge. Auf sorgsam laminierten Handzetteln finden sich absonderliche Geschichten zu darüber drapierten Objekten – sie erzählen von gestrandeten Walen im Greifswalder Bodden, von lesbischen Hochzeiten im Jahr 1950 oder davon, wie Joseph Beuys auf den Hasen kam. Die literarisch erhörten Fundstücke stellen in ihrer musealen Erhöhung einen feinen ironischen Kommentar zum gegenwärtigen Ausstellungsbetrieb dar – kein Wunder, dass das Museum in der Crellestraße 5-6, das regulär mittwochs bis freitags zwischen 15 und 19 Uhr geöffnet hat, das meistbesuchte Museum Berlins ist, zumindest, wenn man die Besucherzahl mit den Quadratmetern des vermutlich kleinsten Museums Berlins verrechnet.
Direkt um die Ecke findet sich auch das kleinste Kino Schönebergs, das, 1909 eröffnet, zugleich auch das zweitälteste Berlins ist: In der Kolonnenstraße 5-6 zeigt das Xenon-Kino mit seinen 140 Plätzen queere Filme, Dokumentationen, Kinderprogramm und deutsch untertitelte Filme in Originalfassung. Das erste Lichtspielhaus Berlins, das „OmU“ etablierte, und sich darin bis heute treu bleibt, ist das zur Yorck-Kinogruppe gehörende Odeon in der Hauptstraße 116.
Wer im Akazienkiez jedoch nicht ins Filmtheater möchte, sondern Live-Unterhaltung auf Bühnen sucht, sollte im 1956 eröffneten Kulturzentrum Weiße Rose am Wartburgplatz vorbeischauen. Vor der prachtvollen Rückseite des Schöneberger Amtsgerichts steht der schlichte Flachbau, in dem regelmäßig Konzerte, Slams und Theateraufführungen stattfinden. Ein festes Zuhause hat hier das Theater Strahl, das sich mit seinen anspruchsvollen Inszenierungen vor allem, aber nicht nur an ein junges Publikum richtet.
Live-Musik gibt es gelegentlich auch andernorts im Kiez. So finden in der Apostel-Paulus-Kirche gelegentlich Konzerte international renommierter Musikerinnen und Musiker statt, auch in zahlreichen gastronomischen Lokalitäten gibt es hin und wieder Live-Musik als Weinbegleitung, so zum Beispiel im Café Bilderbuch in der Akazienstraße 28, dessen sonntäglicher Brunch zudem mit Pianomusik untermalt wird.
Drei Häuser weiter, an der Ecke zur Belziger Straße, ist seit nahezu 25 Jahren der Querverlag beheimatet, Deutschlands erster und einziger Verlag mit schwul-lesbischem Programmschwerpunkt. Unter den brandaktuellen Neuerscheinungen findet sich mit Schöneberger Steinigung (14,00€) erstmals ein Kriminalroman, der hauptsächlich im Akazienkiez spielt. Wenngleich der Autor Peter Fuchs den Mord an einem rechtspopulistischen Ex-Priester knapp außerhalb des Viertels, im Rudolf-Wilde-Park hinter dem Rathaus Schöneberg, passieren lässt, so fokussieren sich die Ermittlungen doch schnell auf eine Handvoll Personen, die im Akazienkiez leben, lieben, arbeiten und sich – ganz selten – auch mal mit Messern auf offener Straße hinterher jagen. Erhältlich unter anderem in der Akazienbuchhandlung in der Akazienstraße 26. ■
Text & Fotos: Marc Lippuner
Marc Lippuner hat Germanistik, Geschichte sowie Kultur- und Medienmanagement studiert. Nach Jahren als Theatermacher leitet er seit 2017 die WABE im Herzen von Prenzlauer Berg. Nebenbei frönt er mit den von ihm gegründeten Kulturfritzen, einem kleinen Projektbüro für kulturelle Angelegenheiten, seiner Berlin-Liebe.
Auf Twitter postet er nahezu jeden Tag einen #Berlinfakt, im Frühjahr erschien sein Spaziergangsführer für den Großbezirk Pankow im Elsengold-Verlag.
Für unser Magazin begibt er sich auf kulturelle Entdeckungsreisen durch die Berliner Kieze, darüberhinaus gibt es immer eine Handvoll Empfehlungen für Kultur-Events, die man im kommenden Quartal seiner Meinung nach nicht verpassen sollte.