Literaturtipps der Kulturfritzen. Literaturempfehlungen aus und über Berlin.

Literaturtipps der Kulturfritzen

 

Fälle lösen im Berlin der Zwanziger Jahre

© Marc Lippuner

Dank Volker Kutschers Romanen um den Kriminalkommissar Gereon Rath und der nach Motiven seines ersten Falls entstandenen Fernsehserie Babylon Berlin liegen die 1920er ja wieder voll im Trend. Wer Lust auf mehr Kriminalfälle aus der Hauptstadt in der Zeit der Weimarer Republik hat, sollte sich mal die Romane von Susanne Goga und Joan Weng anschauen.

Goga lässt mit Leo Wechsler in bereits sechs Bänden einen sympathischen Kriminalisten ermitteln, der sich zwischen seinem professionellen Anspruch und der Überforderung als verwitweter Vater zweier Kinder nahezu aufreibt.

Weng hingegen schickt den proletarischen und etwas grobschlächtigen Kriminalkommissar Paul Genzer ins Rennen und stellt ihm den hochadligen Filmstar Carl von Bäumer zur Seite, den schönsten Mann der Ufa, der seine Erfahrung als Leinwanddetektiv auf unkonventionelle Weise bei den Ermittlungen in der Berliner High Society einzusetzen weiß.

Beide Autorinnen liefern spannende Fälle mit zahlreichen überraschen-den Wendungen. Weng besticht darüber hinaus durch ihren feinsinnigen Humor und ihre abgedrehten Geschichten, Goga durch ihre psychologisch feinfühlige Figurenzeichnung.

Die Romane von Susanne Goga erscheinen bei dtv.
Joan Weng ist Autorin des Aufbau-Verlags.

 


 

Die Geschichte der Berliner Vergnügungsparks

480 Seiten Lesevergnügen © Marc Lippuner

Lange bevor es den Kulturpark im Plänterwald gab, der 2002 als Spreepark ein unrühmliches Ende nahm, war Berlin so etwas wie das Epizentrum der Vergnügungsparks in Europa. Zwischen 1880 und Ende der 1930er-Jahre existierten sechs dieser sommerlichen Vergnügungsorte in und um die Reichshauptstadt herum.

Der berühmteste und am längsten bestehende war der Lunapark, der älteste entstand in der Hasenheide. Hinzu kamen großflächig angelegte Rummelplätze in den Parks am Weißen See, am Lehrter Bahnhof und in der Schönholzer Heide.

Einer hatte sogar – ganz planmäßig – nur eine Saison Bestand, er wurde als zusätzliche Attraktion für die Besucherinnen und Besucher der Berliner Gewerbeausstellung 1896 auf dem Gelände des heutigen Treptower Parks errichtet.

Johanna Niedbalski analysiert in ihrer Dissertation die Entstehung und den Niedergang der einzelnen Parkanlagen, überprüft sowohl spektakuläre als auch heute überaus fragwürdige Attraktionen hinsichtlich ihrer Erlebnisdimensionen und zeigt auf, dass zahlreiche Errungenschaften urbanen Lebens wie Rolltreppen, Hallenbäder, Kinos oder Straßenbahnen im Ausstellungsbetrieb getestet wurden, ehe sie im städtischen Alltag Einzug hielten.

Die ganze Welt des Vergnügens erschien 2018 im be.bra Verlag.

 


 

Hinter der Plattenbaufassade

Berlinbuch-Tipp.

In der letzten Dekade vor dem Mauerfall entstand in Marzahn die größte, von elfgeschossigen Plattenbauten dominierte Großbausiedlung der DDR. Nach der Wende verlor das hoffnungsvolle Wohnbauprojekt schnell an Attraktivität, heute wohnen hier – so das landläufige Vorurteil – die Langzeitarbeitslosen, die sozial Verwahrlosten, die Armen. Und viele Nazis.

Die Verhaltensforscherin Christiane Tramitz legt mit Die Schwestern von Marzahn den Finger in diese offene Wunde, erzählt vom Leben ganz unten, indem sie hinter die Plattenbaufassaden blickt, um anhand von Einzelschicksalen Empathie zu wecken, mit dem hehren Ziel, die Mittelschicht wachzurütteln und gesellschaftliche Gräben zu schließen.

In zwei exemplarischen Handlungssträngen entwirft sie die Geschichte des Wendeverlierers Fabian, dessen Ehe mit Marie nach dem Tod des gemeinsamen Sohnes zerbricht. Während Marie Trost und Hoffnung bei zwei katholischen Schwestern findet, die Anfang der 90er-Jahre aus dem Westen kommend in Marzahn eine Anlaufstelle für Haltlose und Zweifelnde eröffnet haben, schöpft Fabian wieder Hoffnung durch die ungewöhnliche Freundschaft zu einem vernachlässigten Schwesternpaar, das schon monatelang ohne elterliche Betreuung im selben Haus einige Stockwerke unter ihm wohnt.

Für ihre Recherchen zu diesem Buch hat sich die Autorin für einige Monate in einem der zahlreichen Hochhäuser eingemietet, Einsamkeit und Anonymität auf sich wirken lassen, Gespräche mit ihren Nachbarn geführt und aus all den Eindrücken und Schicksalen ihre berührend-bedrückende, aber nicht ganz zuversichtslose Reportage destilliert, die eher Roman als Dokumentation ist.

Die Schwestern von Marzahn erschien im Frühjahr 2019 im Ludwig Verlag.


 

Stadt der Skandale

Berlinbuch-Tipp.

Sex and Crime sind immer ein guter Weg, um Menschen Lust auf Geschichte zu machen. Die Historikerin Regina Stürickow publiziert seit einigen Jahren in wunderbarer Regelmäßigkeit Sachliteratur zur Berliner Kriminal- und Gesellschaftsgeschichte.

Neben zahlreichen Büchern über spektakuläre Mordfälle und Verbrechen erschien 2015 im Elsengold-Verlag ein reich bebildertes Buch, das sechzehn skandalöse Geschichten aus 100 Jahren Berliner Geschichte versammelt. Neben Sexpartys im Jagdschloss Grunewald bietet es unter anderem eine atemraubende Verfolgungsjagd über den Dächern von Prenzlauer Berg, einen Reichspräsidenten in Badehose, einen „Volksbeglücker“, eine „Ministerhure“, einen Stasi-Puff am Ku-Damm, eine tierische Opernpremiere, eine Entführung nach Ostberlin und den Bauskandal um den Steglitzer Kreisel.

Auf jeweils zehn Seiten werden die Skandale in Berlin nicht nur kompakt und verständlich nachgezeichnet, sondern darüber hinaus auch historisch eingeordnet. Kurzum: eine äußerst kurzweilige Lektüre!

Skandale in Berlin erschien 2015 im Elsengold-Verlag.