Wenn Ideologien die Gespräche kapern, nehme ich meinen Hut
Text: Silke Schuster
Fotos: Pavol Putnoki
Jan Josef Liefers über Politik,
Meinungsfreiheit und seine Leidenschaften
Schauspieler, Musiker, Produzent und leidenschaftlicher Radsportler: Jan Josef Liefers ist vielseitig aufgestellt, und er ist am Politikgeschehen interessiert. Schweigen und Hinnehmen sind keine Optionen für ihn, die Demokratie hingegen die einzige Option für ein Miteinander. Der gebürtige Dresdner ist vielen aus dem Münsteraner Tatort bekannt.
Das Multitalent Liefers war in mehreren Städten zu Hause: Dresden, Hamburg, Düsseldorf, München, Berlin. In Hamburg wohnte er in zwölf verschiedenen Wohnungen. „Weil ich damals nicht fassen konnte, dass die Hälfte meines Einkommens für die Miete draufgehen sollte.“ So, wie das heute in Berlin und den meisten anderen Großstädten üblich ist. In der DDR, wo er aufwuchs, waren die Wohnungsmieten sehr günstig, wurden aber subventioniert. Die Folge war allerdings, dass wenig in den Erhalt investiert wurde und die Wohnungen oft in schlechtem Zustand waren. „Beim Thema Wohnen brauchen wir bessere Ideen, gerade für junge Leute. Der Mietpreisdeckel funktioniert offenbar nicht. Wahrscheinlich müssten einfach viel mehr Wohnungen her. Wenn ich Marktwirtschaft richtig verstanden habe, wird Wohnen günstiger, wenn es mehr Wohnraum gibt, als nachgefragt wird.“ Seit 2000 wohnt Liefers wieder fest in Berlin.
Kindheit und Jugend in der DDR
Obwohl sich der Schauspieler nicht direkt in der Politik engagiert, ist er dennoch ein politischer Mensch. „Politisiert hat mich die Enge der DDR. Also dieser Freiluftknast mit einer alleinseligmachenden Partei, deren Führer sich in und um Berlin herum verschanzten und mit dem echten Leben im Rest der Republik kaum noch was zu tun hatten. Die Ungerechtigkeit, die Unfreiheit, der Selbstbetrug bis hin zu diesen komischen Privilegien, mit denen man ausgewählte Leute korrumpieren wollte. Gerade auch im Bereich der Kunst. Dabei hatte die SED nicht viel mit Kunst am Hut. Sie hatte immer einen misstrauischen und argwöhnischen Blick auf diese unberechenbare Künstlerwelt, deren Teil ich ja war.“
Liefers war in der DDR nicht für das Abitur eingeplant. „Die DDR war eine Planwirtschaft, und in der Planwirtschaft wusste die Partei auch, wie viele Abiturienten pro Jahr gebraucht wurden. Es gab eine bestimmte Quote und die wurde dann nach Herkunft und Leistung bestückt.“ Bei gleichen Zensuren wurden eher Arbeiter- und Bauernkinder bevorzugt. Der Schauspieler gehört zum geburtenstärksten Jahrgang 1964. Dadurch kamen zu viele Kinder auf zu wenig Plätze. „Damals in der DDR zählte man großzügigerweise Schauspieler zur Schicht der Intelligenz. Ich würde nicht die Hand dafür ins Feuer legen, ob das wirklich auf jedes Exemplar so zutrifft“, schmunzelt er, „aber so musste man sich damals eben hinten anstellen.“ Mit den Worten „du wärst nicht der erste Idiot, den wir zum Akademiker machen“ bot ein Werbeoffizier Liefers in der Schule an, sich für 15 oder 20 Jahre als Berufsoffizier zu verpflichten und im Gegenzug doch das Abitur machen und studieren zu dürfen. Doch der damalige Schüler lehnte ab.
Politik und Ideologien
In seinen Zwanzigern war Liefers in der Bürgerbewegung engagiert und hielt eine Rede vor Zigtausenden Menschen am Alexanderplatz – wenn auch im Zeitlupentempo, weil die Technik ein Echo erzeugte und die Worte erst zeitversetzt in den hinteren Reihen ankamen. „Trotzdem war es sehr beeindruckend“, erinnert sich Liefers, „und es war auf jeden Fall das größte Publikum, das ich je hatte.“ Doch er erwog nie ernsthaft, in die Politik zu gehen. Das Einzige, was er gestalten wollte, war sein Leben.
Die Politikverdrossenheit, die heute an vielen Stellen spürbar ist, erinnert Liefers an die DDR-Zeiten. „Ich kenne viele nachdenkliche und kreative Leute, die gute Ideen und Kraft haben und bestimmt auch das nötige Durchsetzungsvermögen. Aber wenn man sie fragt, ob sie nicht in die Politik gehen wollen, dann winken sie ab. Wer hat schon Lust, sich jeden Tag öffentlich kritisieren, beschimpfen oder diskreditieren zu lassen?“ Der Weg nach oben in die Politik ist hart und steinig. Wer mit großem Engagement beginnt, wird viele Kompromisse schließen müssen, um gewisse Plätze einnehmen zu können. „Wenn du zu denen gehörst, die jeden Tag in der Zeitung stehen, dann hast du sicher bereits einige Haken geschlagen und dein Fähnchen mehrfach in neuem Wind gehisst. Du kannst auch als wahnsinnig begabter Typ im Schlepptau eines anderen untergehen. Dieser Beruf bietet nicht viel Sicherheit.“
Liefers bleibt zwar außerhalb der Politik, hat inzwischen aber ein Bild davon, wie kompliziert es innerhalb der Politik ist. „Ich beneide sie nicht. Demokratie ist ein mühsames Geschäft, denn für alles braucht man Mehrheiten. Ich gehöre nicht zu denen, die nur über Politiker meckern, sie pauschal als faul oder doof bezeichnen. Es gibt kluge Köpfe unter ihnen. Ich sehe, welches Leben sie auf sich nehmen und wie sie das im Laufe der Jahre verändert. Ich respektiere sie, aber zu meinem Verständnis von Respekt gehört eben auch Kritik. Aber am Ende des Tages liebe ich meinen Beruf zu sehr. Und wahrscheinlich kann ich ihn auch.“ Unpolitisch muss man deshalb als mündiger Staatsbürger noch lange nicht sein. Als interessierter Mensch durchsucht Liefers lieber das gesamte politische Spielfeld nach guten Vorschlägen, als von vornherein nur Position für eine Partei zu beziehen: „Ich glaube, im Grunde meines Herzens bin ich wie viele ein Möchtegern-Weltverbesserer und in dieser Absicht wohl am ehesten liberal. Gegen Ideologien ist mir auf den entsprechenden Synapsen eine Hornhaut gewachsen. Das hängt sicher mit der DDR zusammen. Wenn Ideologie das Gespräch kapert, nehme ich meinen Hut und bin raus. Manchmal wird mir auch bange vor Leuten mit sehr festgefahrenen Überzeugungen, weil die oft so versteinern und gnadenlos unbeweglich sind.“ Doch um den eigenen Weg gehen und sich eine Meinung bilden zu können, braucht es einen Kompass, der sich aus persönlichen Werten bildet.
Wenn du nicht bereit bist, einen hohen Einsatz auf den Tisch zu hauen, […] dann wird es in der Kunst nichts werden.
Meinungsbildung und Kritikfähigkeit
In der Coronazeit bezog Liefers unter #allesdichtmachen öffentlich Position, die ihren Preis kostete. Er erntete einen öffentlichen Shitstorm, zog daraufhin aber nicht etwa seinen Beitrag zurück, sondern bemühte sich um Kontext und Klarstellung. „Ich hätte niemals reumütig meinen Beitrag zurückgezogen, nur auf den medialen Druck hin. Nicht mit der DDR im Rücken. Dort wurde man ständig unter Druck gesetzt, irgendwas zurückzunehmen und klarzustellen. Und es war genauso leicht, anzuecken. Selbst falls es wirklich ein Fehler gewesen wäre, hätte für mich gegolten, das dann auch bis zum Ende durchzustehen. Ich denke, dass es okay war, mit einer Kunstaktion hinauszugehen, die einige neuralgische Punkte dieser Zeit traf. Ich bin immer bereit, mich bei Leuten zu entschuldigen, die irgendwas in den falschen Hals bekommen haben oder die ich mit meinen Worten persönlich verletzt habe. Das war natürlich nie meine Absicht. Und niemand in der Gruppe hatte diese Absicht. Es ging mir nicht mal darum, irgendwas nicht mitzutragen, womit die Mehrheit der Gesellschaft offenbar einverstanden war. Trotzdem musste ich etwas dazu sagen. Der negative PCR-Test war das Maß aller Dinge und alles andere hatte sich dem viel zu lange und viel zu dogmatisch unterzuordnen. Meine Kritik richtete sich an Medien, die das endlos unterstützten und durchhämmerten. Und nicht nur sollte man alles mitmachen, man hatte auch noch den Mund zu halten – Schnauze, es ist Pandemie! – und das war ein klarer Fehler. Einer von vielen.“ Trotz dieser Welle erlebte der Schauspieler auf der anderen Seite auch das Gegenteil, einen Candystorm. „Der hielt sogar länger als der Shitstorm, das muss man einfach mal sagen. Darüber haben Medien aber nicht mehr berichtet.“ Noch heute beschreiben freundliche Menschen, wie gut es damals tat, mal etwas Kritisches zu hören, das nicht von Rechtsaußen oder Querdenkern kam, und danken ihm für den Mut.
Auch in der Kunst geht es darum, einen Preis zu zahlen: „Wenn du nicht bereit bist, einen hohen Einsatz auf den Tisch zu hauen, auch wenn er über deine Verhältnisse geht, dann wird es in der Kunst nichts werden. Und auch ein gesundes Klima hat seinen Preis. Wenn ich heute sehe, dass Klimaaktivisten Gemälde mit Hämmern traktieren oder Kartoffelbrei auf Van-Gogh-Gemälde schmeißen, dann schießen diese Aktionen aus meiner Sicht am Ziel vorbei. Abgesehen davon, erschließt es sich nicht. Genauso wenig, warum man sich auf die Straße klebt und Menschen daran hindert, zur Arbeit zu kommen oder ihre Kinder vom Kindergarten abzuholen. Wenn du für eine so wichtige Sache wie Klimaschutz mehr Leute verlierst als gewinnst, weil die jetzt schon zum vierten Mal unnötig im Stau standen, geht es halt nach hinten los.“ Grundsätzlich findet Liefers Proteste von Menschen gut, solange sie sich am Grundgesetz orientieren.