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Im Grunde meines Herzens bin ich wie viele ein Möchtegern-Weltverbesserer

Umgang und Respekt

Für Liefers ist das Grüßen auf der Straße selbstverständlich. Damit ist er in Dresden aufgewachsen: „Dort wünschte man sogar völlig fremden Leuten auf der Straße einen guten Tag. Ich mache das heute noch oft. Manchmal gucken mich die Leute an, als wäre ich von einem anderen Stern.“ Einen schärferen Tonfall im Miteinander bemerkt der Schauspieler auch. Er bringt das mit der Enthemmung auf Social Media in Verbindung. „Die Schmerzgrenze wird immer weiter gepusht und die ist dann das neue Null. Dann geht es von dort wieder weiter. Das sind so kybernetische Prozesse wie nach ganz fest kommt ganz lose. Das wird sich bestimmt auch wieder ändern. Aber derzeit ist es unangenehm.“

So wenig sozial, wie es mitunter auf den Plattformen zugeht, wird der Begriff Social Media praktisch ad absurdum geführt. „Man dachte, das demokratisiert die Welt auf eine interessante Art und Weise und die Nachrichtenhoheit gehört jetzt jedem. Was aber dabei rausgekommen ist, ist eine erhebliche Verrohung und viel Unglücklichsein. Eine Blüte von Fake News, Manipulation, Verunsicherung und Verdummung. Über Social Media verbinden sich Leute, die vorher mit ihren kruden Ansichten allein waren und die auf einmal das Gefühl bekommen, sie seien die Mitte der Gesellschaft. Jeder noch so seltene Vogel denkt das inzwischen, weil spezielle Algorithmen diese verzerrte Wahrnehmung erzeugen.“

Werte und Demokratie

„Es gibt da draußen wirklich unsäglich dämliche Vergleiche und absurde Zuweisungen. Wir müssen aber trainieren, das gut zu verdauen, ohne dabei hartleibig zu werden. Und grundsätzlich sind Aufsässigkeit, ziviler Ungehorsam oder Aufbegehren im Protest nicht per se demokratiefeindlich. Diese ewige Sehnsucht nach Konformität und Konsens ist untauglich für diese kompliziert gewordene Welt. Und die Moralkeule wird nun mal leicht zum Bumerang oder sogar zum Damoklesschwert.“, stellt Liefers seinen Standpunkt klar. Demokratie kann nur funktionieren, wenn alle Themen miteinander ausgetragen werden. „Wir müssen uns darüber unterhalten: Wie hätten wir es denn gern?“, ist er überzeugt. „Wir haben ein Grundgesetz, das taugt was. Das ist ziemlich gut! Damit kann man eine Menge anfangen. Es soll unsere Bürgerrechte schützen, übrigens auch vorm Zugriff des eigenen Staates. Und es braucht umgekehrt unseren Schutz, denn unser Grundgesetz ist nicht in der Lage, seine Gültigkeit aus eigener Kraft sicherzustellen. Uns muss klar sein: Wir leben hier nur deshalb so frei, weil wir das genau so haben wollen.“

Ich kann mir nichts Besseres vorstellen als die Demokratie, auch wenn sie manchmal unsexy wirkt

Bei all seinen Reisen hat Liefers kein System kennengelernt, das ihm sinnvoller scheint als die Demokratie: „Ich kann mir nichts Besseres vorstellen als die Demokratie, auch wenn sie manchmal unsexy wirkt und etwas zu vernünftig. An Demokratie begeistert mich, dass sie am Ende einen Ausgleich schafft, mit dem jeder klarkommen kann. Ein Nachteil ist, dass sie denen, die es ernst mit ihr meinen, die Hände bindet, aber denen, die sie beschädigen wollen, alle Möglichkeiten gibt. Das stammt nicht von mir, sondern von Václav Havel, glaube ich. Populismus lebt von Emotionalisierung, damit tut Demokratie sich schwer, weil sie eben so vernünftig ist. Es ist mühsamer, wenn erst jeder Einzelne am großen runden Tisch gehört werden will, bis man aus all den vielen Interessen und Meinungen etwas entscheiden kann, das für alle gleichermaßen okay wie nicht okay ist. Und es passieren böse Fehler, die vielleicht zu etwas gut sind, aber nur dann, wenn wir wirklich was aus ihnen lernen.“

Schauspiel, Musik & Radsport

Im Kino kennt man Liefers zum Beispiel aus Rossini oder Knockin’ on Heaven’s Door oder Das Pubertier. Als bekannter Rechtsmediziner gehört er dem Münsteraner Team an. Die Figur des Prof. Dr. Dr. med. Karl-Friedrich Boerne trägt Anzug, Brille und Bart. Während ihn diese „Verkleidung“ in den Anfängen noch davor schützte, auf der Straße erkannt zu werden, funktioniert das heute nicht mehr. Doch in Berlin fühlt er sich trotzdem wohl damit. „Hier geht ja alles durch die Stadt, was irgendwie Rang und Namen hat. Die Berliner sind das gewohnt und würden sich eher die Zunge abbeißen, als hysterisch zu werden.“

Hier gibt es zwar keine Berge, aber hey, Gegenwind ist der Berg des kleinen Mannes

Neben der Schauspielerei macht Liefers seit Jahrzehnten leidenschaftlich gern Musik und erzählt singend Geschichten auf der Bühne. Seine Band Radio Doria besteht mittlerweile mehr als zwanzig Jahren lang in fast gleicher Konstellation. Mit seiner Musik aus dem Osten hatte er früher den größten Erfolg im Westen. Überall waren die Menschen interessiert an den Geschichten, die ihnen – trotz aller Ost-West-Diskrepanz – doch bekannt vorkamen. „Die große Entdeckung war, dass unsere Erfahrungswelt vielfach gar nicht so unterschiedlich ist, wie manche Vorurteile uns gern glauben machen wollen.“ Ursprünglich wollte Liefers Musiker werden. Doch dieser Weg gehörte in der DDR zu den besonders kontrollierten Pfaden in ein Berufsleben. Das wäre damals allenfalls über die FDJ-Singebewegung möglich gewesen. „Ich wollte nicht Musik studieren, ich wollte einfach nur in einer Band spielen. Aber das ging nicht“, erzählt der Sänger. „Man konnte nicht einfach so eine Band gründen.“ Jeder, der das wollte, brauchte dafür einen entsprechende Abschluss und eine offiziell dokumentierte Auftrittserlaubnis, inoffiziell „die Pappe“ genannt.

Ein weiterer Ausgleich ist für den Musiker und Schauspieler der Radsport, den er mit Freunden und neuerdings auch gemeinsam mit seiner Ehefrau Anna Loos ausübt. „Man hat zwar diese komischen Klamotten an, diese gepolsterten Windelhöschen, aber ansonsten ist es schön, wenn man was hat, das man zusammen machen kann. Wir fahren von uns aus direkt raus aus Berlin in eine tolle Umgebung. Hier gibt es zwar keine Berge, aber hey, Gegenwind ist der Berg des kleinen Mannes.“ Liefers ist als Amateur zweimal eine Etappe der Tour de France mitgefahren. An den Profis darf man sich hier nicht messen: „Am Ende musst du dich nur an dir selbst messen. Radfahren ist eine tolle Sportart. Es ist Kraft und Ausdauer. Wenn du auf deinen Puls achtest und viel in Zone zwei fährst, tust du deinem Körper etwas richtig Gesundes, egal, wie alt oder trainiert du bist.“


Infobox
Jan Josef Liefers

geb. am 8. August 1964 in Dresden,
ist ein deutscher Schauspieler, Produzent, Regisseur und Sänger der Band Radio Doria – diese existiert inzwischen länger als die
Beatles. Vier Musiker, die eng befreundet sind und sich blind verstehen.

https://radio-doria.de