Liebe Leserin, lieber Leser!
Hatten Sie sich im Laufe der Zeit daran erfreut, wie ich Ihnen Songs präsentierte, die Ihnen wie mir lieb geworden sind, und Sie diese dann durch meinen neuen Text zur Melodie ganz neu mit mir haben singen können? Heute pfeife ich auf dieses Patent, zugunsten Mozarts. Warum? Wenn wir seine Arien nachzusingen versuchen, scheitern wir an unserem Dilettantismus. Summen wir ihn, fallen wir weniger auf …
Während Sie jetzt bitte auf YouTube Folgendes eingeben:
Friedrich Gulda: Mozart-Fantasia in D minor, KV 397 (MünchnerKlaviersommer 1990),
lesen Sie:
Mein Neid auf Mozart
Ich trinke meinen morgendlichen Tee, lese den am Halswärmer-Teebeutel befindlichen Spruch: „Wie kannst du dein Hier und Jetzt auf eine andere Ebene heben?“ Dabei hab ich’s gar nicht im Hals. Was ich am Halse hab, ist mein Neid auf Mozart.
Stiller Begleiter menschlicher Durchschnittlichkeit. Das ist ein guter Anfang, um seine eigene Mittelmäßigkeit an einem Genie abzuarbeiten. An Mozarts. Privat! Da. Schauen Sie nur, wie er dasitzt. Der Mozart. Vulgärer Witzbold, wenn die Musik schweigt. Redende Musiker sind meistens eine Enttäuschung, weil sie den ganzen Abend nicht zu Wort kommen. Da platzt es aus ihnen heraus: „Am Arsch ist’s duster, ist’s duster, fein’s Liebchen, gute Nacht.“ Singt Amadé von Sauschwanz, wie er sich gern nennt, singt im Wirtshaus mit dem Stadler, Wolferls Spezi-Klarinettisten, frisst seine Mehlspeis’ und hätt’ als Nachtisch gern den Arsch der Kellnerin. Zwinkert Stadler zu, eher epileptisch als diskret: „Geh schon mal vor. Is eh klar, was zu tun is. Geh nur – hab das Quintett scho im Kopf. Nur noch aufschreiben muss ich’s. Wirst zufrieden sein. Na, nu geh schon. Pfüa Gott!“
Stadler nickt. Zahlt, geht. Kennt sein Wolferl. Und die Kellnerin kennt er auch. Wer kennt die nicht. Wenn der Preis stimmt. Und Constanze ist eh in Baden. Mit Köchel, der Drecksau. Endlich Sperrstund: „Wirtschaft! Bedienung!“, ruft der Musikus und bedient sich am Ausziehtisch für eine Septime zwischen Quintett und Don Giovanni bei der kellnernden Wirtshaustochter.
Meine Teetasse ist leer. Wie mein Kopf. Und auf dem Grund schwimmt das Zettelchen mit dem Ratschlag, sein Hier und Jetzt auf eine andere Ebene zu heben. Bei Mozart längst geschehen. Bei mir? Ich hab den Tee intus, und nun hab ich Halsschmerzen. Das macht der Neid. Bis zur Pubertät hab ich meiner Mutter geglaubt, dass ich Mozart sei. Dann schenkte mir mein Vater ein Klavier. Von da an ging’s bergab.
Ilja Richter
Infobox
Ilja Richter
Seit dem 9. Lebensjahr berufstätig:
1961 Renaissance-Theater Berlin
1969 Deutschlands jüngster TV-Showman im ZDF (HOT AND SWEET)
Von 1971 bis 82: DISCO SHOW
Seit 1981 bis heute als Schauspieler/ Autor/Chansonnier tätig
© Foto: Pavol Putnoki