Solidarität kann man erhoffen, Musikalität aber nie erwarten. Zum Nachteil des Nervenkostüms manches Chorleiters. Der Vorteil meiner gesungenen Kolumne besteht nun darin, mit einer bestimmten Melodie im Kopf und dem synchron dazu gelesenen Text, ganz solistisch in aller Stille dabei niemanden zu stören.

… an das lesende Publikum

Immer wenn ich Frank Sinatras New York, New York höre, denke ich an Reinickendorf. Und an meinen Vater Georg Richter. Besonders die Zeile „These little town blues“ mit der Frankyboy seinen Blues als einstiger Kleinstadtjunge beschreibt, also von einem, der einfach raus will aus Hoboken, kommt mir mein Reinickendorfer Papa in den Sinn. Georg wie Frank: Beide waren Vorstadtbengel.

Berlin schluckte 1920 Reinickendorf; in einem Rutsch mit Spandau. Hoboken sollte auch immer wieder vereinnahmt werden. Es sind Welten, die jene kleine Hafenstadt von der Metropole New York trennen. Jeder Ur-Hobokener grenzt sich heute noch vom vis-à-vis gelegenen Manhattan ab.

New Jersey ist nicht New York – „und das ist gut so“, könnte der dortige Bürgermeister sagen. So weit, so Wowe-right.

Unbedeutend war New Jersey übrigens nie, aber Frank Sinatra war es immer noch, bis er dann 1935 mit seiner Band The Hoboken Four im Radio einen Amateurwettbewerb gewann. In diesem Jahr saß mein Papa als Widerstandskämpfer „wegen Vorbereitung zum Hochverrat“ in Berlin bereits im Knast.

Frank Sinatra sang sich nach oben. Georg Richter hatte nicht „gesungen“ – darum hatte die Gestapo, trotz Folter, die Namen seiner Untergrundgruppe nicht aus dem kleinen stämmigen Richter herausquetschen können. Blutrichter Roland Freisler war gerade im Urlaub; so kam mein Vater mit fast zehn Jahren Haft in Form von Zuchthaus und KZ doch noch mit dem Leben davon.

1945 heimgekehrt, war die Kneipe seiner Eltern auf der Scharnweber Straße nur noch eine Ruine. Aus Ruinen auferstanden, wird er im hohen Norden Berlins als roter Bezirksbürgermeister von Reinickendorf-West alles dransetzen, an die Oktoberrevolution von 1917 anzuknüpfen. Aber aus diesem Nordberliner Arbeiter- und Beamtenbezirk wollte sich nichts Revolutionäres entwickeln lassen. Es reichte gerade mal zur Revue-lotion im Astoria Theater. Ebenfalls in der Scharnweber Straße. Reinickendorf leuchtete – dank einer von der Russischen Kommandantur eingesetzten Theaterdirektorin: Eva Basch hieß sie. Meine Mutter wurde sie. Aber dazu musste Eva den Richtigen finden. Sie fand ihn in der Bürgermeisterei. Weil sie Dachpappe für ihr Theater brauchte. Die Russen zogen ab. Georg Richter blieb Reinickendorf treu. Und seiner Frau. Mehr oder weniger. Hatte Georg auch die Wiederwahl verloren, gewann er immer wieder Herzen, denen er sich mit Marx und Engelszungen näherte, denn er liebte die Frauen auch ohne kommunistisches Manifest. Eva wiederum hielt an Georg fest. „Trotz alledem und alledem!“ Um ein geflügeltes Wort Karl Liebknechts zu wählen. Papa „machte“ von Reinickendorf samt neuer Familie „rüber in’n Osten“, war aber bald wieder mit uns im Westen; weil sich das stalinistisch geprägte deutsche Sowjetparadies als doch nicht so paradiesisch entpuppt hatte. Von nun an wählte Papa nur noch, wie der „leicht besoffene Herr“ in Tucholskys Glosse, die SPD. Wie heißt es da so schön:

„Es is so ein beruhjendes Jefiehl. Man tut wat for de Revolutzjon, aber man weeß janz jenau, mit diese Pachtei kommt se nich.“

Und wenn ich am 14. April um 20 Uhr im legendären Ernst-Reuter-Saal, also in jenem Rathaus in Reinickendorf, wo sich meine Eltern am 27. September 1945 ihr JA fürs Leben gegeben haben, meine Lieblingslieder singen werde, tu ich das besonders gern in und für Nordberlin und deren berühmte Kinder: Reinickendorfs Katja Epstein hatte in der Epensteinstraße mit Murmeln gespielt … Der Juhnke – Pfitzmann – Berliner Jungs aus dem Wedding.

Aber worauf steht Berlins junge Elite?

(Zu singen auf New York/Versteil)

New Prenzlbörger Berlins
in durchlöcherten Jeans
mit euren Start-ups
in Lofts
jekooft
vom Herrn Paps.

Wenn ich durch
„Mitte“ geh
zieht’s mich
nach Heiljensee.
In Charlottenburg ging’s
Bis Ihr Vettern aus Dings
Berliner Greise ganz leise
in den Norden verweist habt
mit Links.

Wer wohnt in Reinickendorf?
Das ist Euch viel zu amorph …
Dis findste nich supie, Herr Youppie
Denn Du kommst selbst aus’m Dorf …

“These little town blues
They’ve all melted away
I’m gonna make a brand new start of it
In old New York
And
If I can make it there
I’ll make it practically anywhere
It’s up to you
New York, New York
New York”

Wer in Penthäusern pennt
kennt zwar Bilder von Klee –
auch als Anlage
ohne Frage
kooft
Ihr Zilles Milljöh.
Ihr kauft halb Neukölln – doch wohnt in Berlin gern im Ritz
Ihr fliegt kurz nach New York.
Aber lasst wohnen in Britz

Ich hab von Frankyboy
Mir textlich was geborgt.
Wie die Provinz Berlins …

„New Yorkt“

Infobox

Ilja Richter

Seit dem 9. Lebensjahr berufstätig:

1961 Renaissance-Theater Berlin

1969 Deutschlands jüngster TV-Showman im ZDF (HOT AND SWEET)

Von 1971 bis 82: DISCO SHOW

Seit 1981 bis heute als Schauspieler/ Autor/Chansonnier tätig

www.iljarichter.de/page/termine

© Foto: Pavol Putnoki