Kunst & Kultur Portrait

Geht ins Theater!

Heike Feist Berlin

Sie steht gern auf der Bühne, vor der Kamera und am Telefon – als Bühnen- und Fernsehschauspielerin, Autorin, Regisseurin und Agentin vereint Heike Feist viele Rollen. Sie startete ihre berufliche Laufbahn als Erzieherin, denn wie es in der ehemaligen DDR üblich war, sollten sich bereits 14-Jährige für ihren künftigen Beruf entscheiden. 1971 in Neuruppin geboren, ging Feist im Alter von 16 Jahren für eine Ausbildung nach Luckenwalde, bevor sie schließlich nach Berlin zog.

Text: Silke Schuster

Von Neuruppin über Luckenwalde nach Berlin

„Frag heute mal einen Jugendlichen mit 14, was er werden will. Ich dachte an irgendwas Künstlerisches. Aber eigentlich hatte ich überhaupt noch keine Ahnung“, erinnert sich die Schauspielerin, „meine Mutter war Kindergärtnerin. Also habe ich mich halt auch dazu entschieden. Dafür musste man mit 16 in so ein Internat, wo 400 Frauen auf einem Haufen waren. Das war für mich sehr anstrengend. Es war sehr laut und sehr quietschig.“ Mit der Wende durften die Besten im Schnellverfahren ihre Prüfungen ablegen und konnten früher gehen: „Ich habe mich sofort für die Prüfungen angemeldet, bin dann noch mal ein halbes Jahr nach Neuruppin und danach nach Berlin gegangen.“

Angekommen in Berlin, bekam sie direkt eine Stelle in einem staatlichen Kindergarten, aus dem sie ein halbes Jahr später wieder rausflog, weil sie sich nicht an die Regeln hielt: „Ich habe Wände bunt angemalt, Eltern zum Verweilen eingeladen und lauter solche Sachen. Das kam nicht gut an. Da stand ich dann mit 19 Jahren in Berlin und war arbeitslos. Damals dachte ich: Okay, das war‘s.“ Die Angst vor der Arbeitslosigkeit saß ihr noch aus DDR-Zeiten in den Knochen. Schließlich stieß sie auf eine Annonce für eine Stelle in einer Tagesgroßpflege, acht Kinder, zwei Erzieher*innen: „Ich kam in Kreuzberg an und saß einem Ossi-Typ gegenüber, der eine Straße weiter wohnte. Der hat mich genommen und gesagt: ‚Ich arbeite dich ein halbes Jahr ein, dann bin ich weg und du bist die Chefin.‘“ Weil man dort immer zu zweit arbeiten musste, führte Feist mit 19 Jahren ein halbes Jahr nach der Wende Vorstellungsgespräche mit Menschen, die auch noch deutlich älter waren als sie selbst. „Schon beim Ersten, der kam – langer Zopf, doppelt so alt wie ich, coole Socke –, wusste ich: Der ist es.“

Mit ihm führte Feist zehn Jahre lang den Kinderladen in Kreuzberg, bis sie irgendwann vom vielen Geben ermüdet war und Lust hatte, mal wieder zu nehmen. So kam sie zu ihrem ersten Schauspielkurs und fing sofort Feuer. Auf dieser Privatschule wurde sie gefragt, ob sie nicht eine Ausbildung zur Schauspielerin machen wolle. „Ich dachte, ich kann ja mal die Ausbildung machen, weil man sich dabei persönlich weiterentwickelt. Und das war eigentlich mein Ziel. Nach der Ausbildung haben sich dann alle an Theatern beworben, also habe ich das auch gemacht und dann das erste Engagement bekommen.“ Zwischen 1998 und 2000 absolvierte Feist ihre Ausbildung zur Schauspielerin. Die Identifikation mit dem Schauspielberuf ließ aber noch etwas auf sich warten. Erst im Laufe ihrer Selbstständigkeit konnte sie auf die Frage „Was machst du beruflich?“ überzeugt antworten: „Ich bin Schauspielerin.“

In München absolvierte Feist 2000 einen Workshop beim amerikanischen Method-Acting-Lehrer John Costopoulos und ging dann nach Senftenberg ins Fest-
engagement.

Heute ist es nicht mehr so ganz meine Stadt …
Ich finde, Berlin wird immer härter.

Eine zweijährige Verpflichtung in Dresden lehnte sie ab, weil sie sich erstmal nur für ein Jahr binden wollte. So wurde Berlin für Feist etwa drei Jahre nach der Ausbildung erneut ihr Zuhause, auch wenn ihre Berlinliebe mittlerweile einen Dämpfer bekommen hat. „Heute ist es nicht mehr so ganz meine Stadt“, gibt sie zu. „Ich finde, Berlin wird immer härter. Ich spüre eine hohe Aggression. Man achtet nicht mehr so aufeinander. Es gibt keine Gemeinschaft, und das macht mich wirklich fertig. Ich denke immer, das ist doch unsere Stadt. Der Umgang miteinander ist rau geworden. Das fällt mir schwer.“ Auch der Tonfall auf Social Media missfällt ihr zuweilen. In Diskussionen auf Facebook bringt sie sich schon lange nicht mehr ein. Wo sie früher noch dachte, einen Einfluss in verqueren Diskussionen nehmen zu können, erkennt sie darin heute keinen Sinn mehr.

„DES WIRD DOCH EH NIX – EIN BAYER SPIELT VALENTIN, EINE BRANDENBURGERIN MUSS AUCH“ mit und von Heike Feist und Andreas Nickl

Macherin mit vielen Rollen

Als Agentin, Regisseurin, Autorin und Schauspielerin in Personalunion sind die Grenzen fließend. „Ein Kollege hat mal gesagt: ‚Ich weiß gar nicht, mit wem ich gerade rede. Rede ich mit der Agentin, mit der Kollegin, der Regisseurin oder der Autorin? Mit wem habe ich es eigentlich gerade zu tun?‘ Ich habe gesagt: ‚Du redest mit allen gleichzeitig. Ist doch effektiv, oder?‘“ Geplant hat sie die vielen Rollen nicht: „Mir ging alles viel zu langsam. Ich wollte nicht zu Hause sitzen und warten, bis jemand kommt. Ich mache einfach gern. Das hält mich am Laufen. Ich finde gerade diesen Mix total genial.“

Früher stand sie vor der persönlichen Hürde, nicht über Preise sprechen zu können. Also hieß es: Üben! „Und dann kommen genau die richtigen Leute vorbei, von denen du lernen kannst. Demnächst zum Beispiel werde ich ein Coaching zum Thema Frauen und Finanzen nehmen. Angemessene Gagen aufrufen will eben auch gelernt sein.“ Alle Selbstständigen wissen, dass ein hoch klingendes Honorar sich schnell relativiert, wenn – wie im Falle von Feists Beruf – die Vorarbeit wie das Schreiben ein halbes Jahr dauert, das Proben mehrere Wochen beansprucht und bestimmte Ausgaben fällig sind: „Du musst Kostümbildner und Fotograf buchen, Bühnenbild bauen und Plakate drucken lassen. Das kostet erst mal alles.“

Ich fand Heine irgendwie am Kompaktesten.
Das war so ein pralles Leben.

Feist liebt die Vielfalt, die ihr Job mit sich bringt: mal einige Monate im Schreiben versinken, dann auf die Bühne und dort wieder mit Veranstaltern sprechen. Eine Absage nimmt Feist nicht persönlich. Sie bedankt sich sogar, weil ihr das Gegenüber mit der ehrlichen Antwort viel Lebenszeit erspart. „Ich finde das super, wenn mich niemand hinhält und sagt: ‚Rufen Sie in drei Wochen noch mal an.‘ Und das, obwohl die Person genau weiß, dass es für sie nicht passt. Eine gewisse Anzahl an Absagen gehört einfach zu meinem Job dazu. Dadurch trifft mich das nicht. Es wäre ja komisch, wenn allen gefallen würde, was ich mache. Da würde ich mich eher wundern.“ Als das Gespräch mit mein/4 stattfand, befand sich Feist gerade in der Verkaufsphase. Als Agentur verkauft sie die Stücke, ist verantwortlich für die Verträge, alle Absprachen, Plakatversand, Zugbuchungen und für alles, was dazu gehört. Beim Schreiben und Proben hat sie ihr neuestes Stück Anecken für Fortgeschrittene – ein Date mit Heine am meisten gefordert. „Ich fand Heine irgendwie am Kompaktesten. Das war so ein pralles Leben. Danach habe ich mir geschworen, ich mache jetzt ein Jahr lang kein neues Stück. Ich ruhe mich aus von Heine. Ich verkaufe und ich spiele, und das mache ich gerade: Ausruhen eben.“ Sie lacht.

Film und Theater: Für beides schlägt ihr Herz

Mit Vergleichen zwischen Film und Theater kann die Schauspielerin nicht viel anfangen, weil eine Sache dabei immer nur verlieren kann: „Ich finde Vergleiche schwierig, es sind einfach verschiedene Arbeitsweisen. Beim Theater erarbeitest du das Stück, tastest dich wochenlang an eine Rolle ran und lieferst dann das Endprodukt auf der Bühne. Beim Film bereitest du die Rolle ‚fertig‘ vor und kommst sozusagen schon ausgearbeitet ans Set.“

Bei der Vorbereitung auf einen Film liest Feist vorab das Drehbuch und bekommt ein Gefühl für den gesamten Film oder die Serie: „Als Erstes blätterst du aber und suchst nach deiner Rolle. Je weiter du blätterst und sie nicht kommt nicht, desto unruhiger wirst du. Und dann endlich kommt sie. Das ist immer ein sehr lustiger Vorgang“, schmunzelt die Schauspielerin. Mit bestimmten Techniken bereitet sie sich dann auf ihre Figur vor. „Auf der Theaterbühne läuft natürlich alles live: Wenn du eine Stelle versaust, kannst du es an diesem Abend nicht mehr gutmachen. Aber es gibt verschiedene Arten von Versauen. Manches kann man auch wieder einfangen“, grinst Feist. „Ich liebe es, in solchen Fällen zu improvisieren.“ Als Richardis von Stade in Hildegard von Bingen stand sie nach einem kommunikativen Missverständnis mit einem Zuschauer vor einer außergewöhnlichen Herausforderung, denn statt sich wieder auf seinen Platz im Publikum zu setzen, nahm er auf ihrem Hocker auf der Bühne Platz: „Ich wollte zurück auf die Bühne, weiterspielen, aber da saß er. Ich bin ausgestiegen und sagte ihm: ‚Ich meinte doch nicht auf den Hocker, sondern auf Ihren Stuhl. Jetzt komm ich nochmal und dann machen wir es richtig.‘ Die Leute haben es mit Applaus belohnt.“

Du sagst innerlich nie Nein.‘
Das heißt, du sagst Ja zur Situation.
Das ist das Schöne am Impro, finde ich,
weil dir nichts passieren kann.

Feist bindet gern das Publikum mit Fragen ein. Was aber, wenn sie Schweigen erntet? In einem Comedystück wie Alle Kassen, auch privat würde die Schauspielerin im Falle des Schweigens abwarten, was ihr durch den Kopf schießt. „Oft kommt dann die Reaktion von ganz allein. Und manchmal schweigt man eben mit. Das kann sehr lustig sein. In der Improvisation gibt es den schlauen Satz: ‚Du sagst innerlich nie Nein.‘ Das heißt, du sagst Ja zur Situation. Das ist das Schöne am Impro, finde ich, weil dir nichts passieren kann.“ Ob Comedy oder Biografien – Feist möchte keines von beiden missen.

Ideen spinnen und neue Stücke entwickeln

Neue Ideen schreibt Feist nicht etwa in eines ihrer vielen schönen, leeren Bücher, sondern sie speichert sie innerlich ab. Als Nächstes schwebt ihr die Arbeit an der niederländischen Tänzerin Mata Hari vor. Ihre Herangehensweise an neue Figuren und Settings beschreibt sie als pragmatisch: „Jetzt ist mal wieder eine Frau dran. Sie muss mich interessieren, mindestens 70 Jahre tot sein wegen der Rechte und es sollte ein Name sein, den viele kennen.“ Humor ist ihr bei der Ausarbeitung ganz wichtig. Sie erkundigt sich vorab immer, was Menschen mit der ausgewählten Person verbinden, bevor sie sich an die Arbeit macht. Wenn, wie bei Hildegard von Bingen, als Antwort‚ Gesundheit, Kräuter, Dinkelbrot‘ kommt, ist klar: Diese Themen schaffen es nicht in den Abend. Viel spannender findet Feist Facetten der Person, die über die bekannten Themen hinausgehen. Bei Ringelnatz beispielsweise war klar, dass sie sich weniger auf dessen lustige Seemansseite, als vielmehr auf den menschlichen Tiefgang fokussierte.

„Geht ins Theater!“, das ist Feist ein besonderes Anliegen. Das Theater braucht das Publikum. Zwar haben sich die Besucherzahlen nach Corona inzwischen wieder gefangen, aber es gibt Potenzial nach oben. „Es ist einfach was anderes, als zu Hause vorm Fernseher zu sitzen.“ Dieser besondere Livemoment im Theater bleibt einzigartig, weil er nie wiederkommt und ihn niemand erneut abspielen kann wie beim Film. Wer am nächsten Tag ins Theater geht, bekommt einen anderen einzigartigen Livemoment für die Ewigkeit geschenkt.