Kultur im Kiez entdecken

Text & Fotos: Marc Lippuner

Der heutige Kulturspaziergang führt in das letzte Dorf auf Berliner Stadtgebiet, das rundherum von Feldern umgeben ist, und von hier bis zum höchsten Punkt Berlins.

Will man Blankenfelde erkunden, beginnt man am besten im Botanischen Volkspark, der 1909 als zentraler Berliner Schulgarten mit naturbelassenen und landwirtschaftlich zu nutzenden Flächen eingerichtet wurde. Die hier erwirtschafteten Erträge trugen in den beiden Weltkriegen zur Versorgung der Berliner Bevölkerung bei. 1952 wurde die Anlage als Zentralstation der Jungen Naturforscher Walter Ulbricht um Wildgehege, Volieren und Stallungen ergänzt. 25 Jahre später übernahm die Humboldt-Universität die wissenschaftlich-botanische Anlage, bis sie 1994 zur öffentlichen Grünanlage und zum Gartendenkmal erklärt wurde. Sehenswert sind die vom städtischen Gartendirektor Albert Brodersen entworfenen Hochgewächshäuser aus dem Jahr 1929, das kleine Arboretum mit seinem abwechslungsreichen Baumbestand, der „Weltacker“, wo auf 2000 Quadratmetern alle Ackerkulturen in dem gleichen Verhältnis wachsen, wie sie weltweit angebaut werden, sowie eine geologische Wand, die, aus 123 verschiedenen Gesteinen errichtet, erdgeschichtliche Epochen und strukturgeologische Formen veranschaulicht.

Die denkmalgeschützten Gewächshäuser im Botanischen Volkspark
sommerlicher Blick über die Rieselfelder im Landschaftsschutzgebiet

Nördlich des Volksparks befinden sich einstige Rieselfelder. Um die hygienische Situation in der Stadt zu verbessern, wurde ab den 1870er-Jahren die Kanalisation Berlins ausgebaut, womit die Abwässer über Pumpwerke und Druckrohre kilometerweit in die Vororte befördert und hier reguliert abgerieselt wurden. Nachdem Mitte der 1980er-Jahre das Klärwerk Schönerlinde seinen Betrieb aufgenommen hatte, wurde die Berieselung im Berliner Norden eingestellt. Der Weg, der durch die Felder zum Blankenfelder Dorfkern führt, ist zu einem ein Kilometer langen Naturlehrpfad umgestaltet, der mittels Schautafeln über die heimische Flora und Fauna informiert. Seit 2004 sind die Rieselfelder Teil des Landschaftsschutzgebietes Blankenfelde und stellen eine wichtige Pufferfunktion für die im Westen angrenzenden Naturschutzgebiete am Tegeler Fließ dar.

Am Ende des Wegs beginnt die Blankenfelder Wohnbebauung. Eine kopfsteingepflasterte Straße bringt einen zur Bahnhofstraße, an deren westlichem Ende ein um 1900 erbautes Bahnhofsgebäude steht, an dem zwischen 1901 und 1983 die Heidekrautbahn hielt, die ihren Namen den zahlreichen Berlinerinnen und Berlinern verdankt, die vom Bahnhof Wilhelmsruh aus Ausflüge in die Schorfheide unternahmen.

Die 600 Jahre alte Kirche ist eine von über 50 unter Denkmalschutz stehenden Dorfkirchen in Berlin
Das verklinkerte Bahnhofsgebäude wird mittlerweile als Wohnhaus genutzt

Spaziert man die Bahnhofstraße zurück, die schnell zur Hauptstraße wird, gelangt man zum mittelalterlichen Ortskern des um 1230 angelegten märkischen Straßenangerdorfs. Vor der einzigen Kreuzung des Ortes steht die 1406 aus unbearbeiteten, zum Teil gespaltenen Feldsteinen errichtete frühgotische Kirche. Sie wurde im Dreißigjährigen Krieg stark beschädigt und um 1680 wieder aufgebaut, in barockem Zeitgeschmack verändert, erweitert und verputzt. Zwischen 1938 und 1941 erfolgte die Rekonstruktion zum mittelalterlichen Zustand, allerdings mit neuem Turmhelm.

Überquert man die Bundesstraße 96a, die das Dorf mittig teilt, entdeckt man nach gut 100 Metern auf der rechten Straßenseite ein auffälliges Bauensemble aus rotem Klinker. Zwischen 1850 und 1880 in seinem heutigen Baubestand auf einem ehemaligen Rittergut mit Schäferei errichtet, wurde es 1882 von der Stadt Berlin gekauft, um als Stadtgut die nahegelegenen Rieselfelder landschaftlich zu bewirtschaften. Einige Jahre später erfolgte die Einrichtung einer Heimstätte für Lungenkranke und Wöchnerinnen, die 1920 jedoch wieder aufgegeben wurde, da der von den Rieselfeldern herüberwehende Gestank von den Genesungsbedürftigen nicht goutiert wurde. Nachnutzungen als Altersheim, Flüchtlingsunterkunft, Kindergarten, Reitplatz, Betrieb für Fleisch- und Milchproduktion sowie Verwaltungsgebäude folgten, bis nach 1995 Leerstand das Gut verfallen ließ. 2006 konnte das Areal von einer gemeinnützigen Stiftung erworben werden, die es in den letzten Jahren sukzessive saniert hat. 2016 eröffnete eine Naturschutz- und Tourismusstation mit dem Café Traktorista und der Dauerausstellung Rieselfelder, Liegekur und Runkelrüben, einem Kooperationsprojekt mit dem Museum Pankow. Multimedial wird hier über die Geschichte des Dorfes und der Rieselfelder informiert, sich aber auch aktuellen Fragen nach Wechselwirkungen zwischen Nutzung und Wandel der Landschaft vor dem Hintergrund spürbarer Klimaveränderungen gestellt. Entlang der Hauptstraße entdeckt man zahlreiche Wohnhäuser mit Remisen, Stallungen und Scheunen, die etwa zeitgleich mit dem Stadtgut, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, errichtet wurden.

Ehemaliges Kurhaus des Stadtguts Blankenfelde
Blick in die Dauerausstellung im Café Traktorista

Im historischen Gesellschaftshaus (Nr. 35) eröffnete 2008 das Café Steckenpferd, in dem bis vor Kurzem auch Backmischungen für Pferdeleckerlis oder Reitzubehör angeboten wurden. Dass Pferde und Reitsport in Blankenfelde eine große Rolle spielen, sieht man auch an entgegenkommenden Reiterinnen und Reitern, der großzügig angelegten Pferdesportanlage, die sich hinter der Linkskurve der Hauptstraße erstreckt, an Fassadenmedaillons oder Pferdeskulpturen in Vorgärten.

Aber auch andere Kunstwerke kann man beim Blick über die Gartenzäune entdecken: An der Hauptstraße 36 gucken reihenweise überlebensgroße aus Keramik und Metall geformte Köpfe aus der Hecke, und im Haus Nr. 56 haben sich Künstlerinnen und Künstler niedergelassen, um in ihrer Vielseitigkeit gemeinsam tätig zu sein. Neben einem Hofladen für Keramik gibt es hier einen Skulpturengarten sowie Werkstätten für Keramik, Holz und Metall, in denen regelmäßig Seminare und Workshops angeboten werden (www.kuenstlerhof-blankenfelde.net).

Köpfe hinter dem Gartenzaun an der Hauptstraße 36
Die Arkenberge hinter dem Kiessee

Am Ende der Hauptstraße führt ein Schotterweg zu den Arkenberger Kiesseen, die in den 1970er-Jahren entstanden, nachdem eine etwa 70 Meter hohe natürliche Hügelkette, die Arkenberge, abgetragen wurde, um Baumaterial für den Ausbau der nahegelegenen Autobahn zu gewinnen. Zu den Seen gelangt man, wenn man am Ende des Schotterwegs links abbiegt, um hinter einer Informationstafel zwischen verrosteten Zaunpfosten das ehemalige Baugelände zu betreten. Unmittelbar dahinter sieht man schon den kleineren der beiden Seen durch das Blattwerk schimmern.

Aufgrund der ungewöhnlichen Artenvielfalt, die der kleine See entwickelt hat, ist er Teil des Landschaftsschutzgebietes Blankenfelde. Empfehlenswert ist der Abstieg in die Nähe des Wassers, um entgegen dem Uhrzeigersinn am Ufer entlangzuspazieren. Vorbei an Schilfrohr und Sanddorn gelangt man über eine sanfte Erhebung zum großen Baggersee, der im Sommer von Badegästen stark frequentiert ist.

Vom südlichen Ufer aus hat man einen wunderbaren Blick auf die 1984 angelegte Bauschuttdeponie Arkenberge, die inzwischen geschlossen ist und rekultiviert wird. Mit knapp 122 Metern löste sie 2015 offiziell den Teufelsberg als höchste Erhebung Berlins ab. Zurzeit wird das gesamte Areal zu einem Naherholungsgebiet mit Rodelbahn, Spielplätzen und gastronomischer Infrastruktur umgestaltet. Auf der momentan nicht frei zugänglichen Bergkuppe markiert ein Findling den höchsten Punkt. Von hier hat man bei gutem Wetter eine wunderbare Sicht auf die Stadt und den Naturpark Barnim.

Infobox

Marc Lippuner

leitet seit 2017 die WABE, ein Kulturzentrum im Herzen des Prenzlauer Bergs. Nebenbei frönt er mit den von ihm gegründeten Kulturfritzen, einem kleinen Projektbüro für kulturelle Angelegenheiten, seiner Berlinliebe: So hat er eine monatliche Radiosendung bei ALEX Berlin und einen wöchentlichen Podcast. Kürzlich ist sein Kalender Berliner Geschichte 2024 im Elsengold Verlag erschienen.

Für unser Magazin unternimmt er kulturelle Entdeckungsreisen durch Berliner Kieze, empfiehlt eine Handvoll Kulturevents, die man in den kommenden Wochen auf keinen Fall verpassen sollte, und stellt aktuelle Berlinbücher vor

Die Kulturfritzen