Facettenreich, reflektiert und politisch – der 1956 geborene Moderator, Sänger und Schauspieler Ralph Morgenstern liebt es, sich immer wieder neu zu erfinden. Seit Jahrzehnten prägt er als Moderator die deutsche Fernseh- und Unterhaltungsszene und als Schauspieler die Theaterkultur. Er lebt getreu dem Spruch „Don‘t look back, you are not going that way” – lieber richtet er seinen Blick nach vorn als zurück in eine Zeit, die er ohnehin nicht mehr ändern kann.

Text: Silke Schuster

Beide Eltern musikalisch, die Großtante Opernsängerin: Morgenstern wurde die Musikalität in die Wiege gelegt. Schon früh zeigte sich seine Leidenschaft für Gesang und Schauspiel. Jahrelang gehörte gepflegtes Tratschen zu seinem Job. Beim ZDF-Kaffeeklatsch (1995–2002) plauderte Ralph Morgenstern mit vier Damen über die Schönen und Reichen. Doch das Multitalent kann auch anders. Neben den diversen Moderationen in Fernsehshows blieb er der Theaterbühne immer treu. So stand er u. a. für Inszenierungen wie Mephisto oder Faust auf der Bühne des Kölner Schauspielhauses. Als Musicaldarsteller war er zum Beispiel in der deutschsprachigen Erstaufführung von Hairspray in der Schweiz zu sehen. Er wirkte zeitweise auch als Performancekünstler und bewegte sich in der Musikbranche: In den 70ern veröffentlichte er mit seiner Band Gina X Performance drei LPs.

Ralph Morgenstern gehört zu jenen Menschen, denen die Begeisterung an neuen Themen und Erfahrungen nicht abhandenkommt. Langeweile ist für ihn ein Fremdwort. „Ich habe einen gewissen Vorsprung gegenüber vielen, an Jahren und Erfahrung. Inzwischen mache ich meinen Beruf schon so lange. Da ist es wichtig, viele Facetten zu haben und diese auch auszuleben und sich immer mal wieder neu zu erfinden.“ Er hat sich immer bemüht, in keine Schublade zu passen und vor allem nicht, in einer stecken zu bleiben. „Ich finde, man braucht immer ein großes Vorbild. Für mich war das Tina Turner, und das nicht mal wegen der Musik. Die Frau hat sich mit 55 einfach noch mal komplett neu erfunden, weil sie es wegen einer Trennung musste. Sie hat es geschafft, mit Mitte Fünfzig noch mal eine Weltkarriere zu starten, und das mit vier Kindern. Und das, obwohl sie wusste, was ihr das abverlangen würde. Auch ihren Kindern, die mussten ja alle mitmachen. Ich finde das sensationell. Niemand im Showbiz war für mich menschlich eine größere Leitfigur als sie.“

Wenn ich merke, ich beleidige Menschen allein durch Sprache,
dann kann ich das doch sein lassen.

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Multitalent Morgenstern über Gesellschaft und Politik

Als offen homosexueller Mann, der in der Öffentlichkeit arbeitet, betrachtet sich Morgenstern automatisch als politischer Mensch: „Aussuchen kann ich mir das nicht. Irgendwo haben wir in der Öffentlichkeit auch einen Auftrag jenseits vom Theaterspielen, finde ich.“ Mit etwa 18 Jahren traf der Schauspieler für sich die klare Entscheidung, sich zu outen: „Ich wollte nicht erpressbar sein. Ich wollte selbstbestimmt sein. Ich wollte offen sein. Ich wollte mich auf keine Weise beschneiden lassen. Also habe ist es jedem erzählt, der es nicht hören wollte.“ Ein Thema war es dann nicht mehr. Erst in seiner Ausbildung zum Erzieher, die er vor seiner Theater- und Entertainerkarriere begann, wehte ihm auf perfide Weise Gegenwind entgegen, als hintenrum im Lehrerkollegium seine Noten manipuliert wurden. „Damals war das noch ein Thema. Da ich den Beruf aber nicht wirklich machen wollte, sondern die Ausbildung meinen Eltern zuliebe angefangen hatte, war das zwar eine Niederlage, aber für mich auch wieder die Chance, etwas Neues zu machen. Da musste ich mich wirklich auf die Hinterbeine stellen“, blickt der Moderator zurück: „Es wurde nicht öffentlich thematisiert. Meine Zensuren wurden gedrückt, und alle Kollegen mussten da mitziehen. Ich habe Jahre später mit meinem Deutschlehrer gesprochen, der damals gar nicht verstanden hatte, warum ihm nahelegt wurde, noch mal über die Benotung nachzudenken. Mich hat es sehr getroffen, dass die alle dabei mitgemacht haben.“ Auch in seinem heutigen Beruf hat er Diskriminierung erfahren müssen, und er erlebt noch immer Anfeindungen, meist hinter versteckter Hand. „Trotzdem bin ich fast 50 Jahre in dem Beruf“, schmunzelt der Entertainer, der sich eine positive Sichtweise erhalten möchte.

Berlin gilt als offene, tolerante Großstadt. Hier kann jeder Mensch rumlaufen, wie er möchte. Niemand guckt Individualisten oder außergewöhnliche Persönlichkeiten schräg an. Und doch empfindet Morgenstern Städte wie Berlin oder auch Köln heute weniger offen als noch in den 70er-Jahren, wo es unproblematisch war, wenn beispielsweise zwei Männer Hand in Hand über die Straße gingen. „Es kommt ein bisschen auf den Stadtteil an, aber es ist schwieriger geworden, weil sich die Gesellschaft sehr in ihre alten Verhaltensmuster zurückziehen möchte.“ Die erkennbare Spaltung in der Gesellschaft betrachtet Morgenstern nicht etwa als deutsches Phänomen, sondern als weltweites. In Deutschland führt er die zunehmende gesellschaftliche Intoleranz und Spaltung auf die Bildungssituation zurück: „Es ist aus meiner Sicht ein Bildungsproblem. Dafür, dass wir so ein reiches Land sind, ist unsere Bildung schon erbärmlich. Viele Leute wissen zu wenig und wollen auch nicht mehr belästigt werden.“

… wir alle können etwas ändern,
und wir alle müssen das auch.

Gesellschaft, Demokratie, Miteinander: Vieles hat sich verändert. Morgenstern erwähnt in diesem Kontext u. a. den Mittelstand, der in den letzten 16 Jahren in Deutschland vernachlässigt worden sei: „Das Wichtigste für eine gesunde Demokratie ist ein gesunder Mittelstand.“ Deutschland ist innerhalb Europas das Land mit den höchsten Privatvermögen, und die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich. Mit Blick auf die Demokratie lässt sich feststellen, dass sie zwar mehr Zeit benötigt, aber auch echte Teilhabe braucht. Die Einstellung „Ich kann eh nichts ändern“ führt eine demokratische Gesellschaft ad absurdum. „Bei einer Demokratie ist es so“, teilt der Schauspieler seine Meinung, „wir alle können etwas ändern, und wir alle müssen das auch. Deswegen ist wichtig, dass Menschen wählen gehen und sagen: ‚Das habe ich irgendwo mitgetragen.‘ Die anderen haben gewonnen, aber trotzdem ist es eine demokratische Wahl. Beim nächsten Mal muss ich halt mehr machen.“ Auch er selbst sagt von sich, in die Falle getappt zu sein und zu denken, die Demokratie sei eingetütet und bliebe deshalb bestehen. „Wir haben uns alle irgendwie zurückgelehnt und dachten: ‚Wunderbar, jetzt geht es weiter‘, aber so ist es nicht. Wir müssen etwas dafür tun, um die Demokratie zu erhalten.“ Angst spürt Morgenstern nicht, vielmehr stimmt es ihn nachdenklich: „Ich finde es problematisch, dass Menschen aufgehört haben mitzudenken, weil sie Verantwortung abgeben. Es macht mich fast traurig, dass Menschen sich nicht selbst mitteilen können.“ Allerdings vermisst er in dieser Hinsicht auch die Verantwortung der Schulen. Der marode Zustand vieler Schulen in Deutschland ist in seinen Augen ein Spiegel unserer Gesellschaft.

Darüber hinaus thematisiert er den Status der Frauen in der Gesellschaft, den er nach wie vor als fragwürdig bewertet: „Frauen haben es immer noch viel, viel schwerer als Männer, auch als homosexuelle Männer, weil sie immer noch als Frauen belächelt werden, immer noch nicht ernst genommen werden und immer noch nicht gleich bezahlt werden wie Männer.“ Diese Diskrepanz macht sich auch im Schauspielberuf bemerkbar, wie Morgenstern als Insider zugibt. „Klar, Männer haben es auch schwer, sie müssen immer das vermeintlich starke Geschlecht repräsentieren.“ Aber auch wenn an Männer, gerade wenn sie in der Öffentlichkeit präsent sind, hohe Erwartungen gestellt werden, „gibt es in der Gesellschaft einfach mehr akzeptierte Männer- als Frauenbilder. Und das ist ein großes Problem.“ An sich ist der Schauspieler kein Freund der Frauenquote, aber er findet sie wichtig, damit sich überhaupt etwas verändert.

Morgenstern kommt auch auf die Bedeutung von Sprache zu sprechen: „Ich höre immer wieder Leute sagen: ‚Dieses blöde Gendern braucht doch niemand.‘ Aber darum geht es nicht. Es geht darum, Sprache zu spiegeln.“ Und das wiederum beginnt bei der Selbstreflexion: Welche Worte wähle ich? Welches Menschenbild transportiere ich womöglich mit meiner Sprache – oder welches Frauenbild wird vielleicht im Fernsehen vermittelt, das ich hinterfragen könnte? Fangen wir an, uns selbst genauer beim Sprechen zuzuhören. Denn die Gesellschaft verändert sich und mit ihr muss sich auch die Sprache verändern, damit wir weiterhin auf Augenhöhe miteinander kommunizieren können. Manche Begrifflichkeiten nehmen wir doch als ganz selbstverständlich hin, ohne zu hinterfragen, woher bestimmte Wörter überhaupt kommen. „Am Bodensee gab es ein Freibad, das hieß Negerbad“, erzählt Morgenstern, „da hat sich nie jemand Gedanken drüber gemacht. Oder dass wir als Kinder kleine Knaller an Silvester angezündet haben, die ‚Judenfürze‘ hießen, inzwischen heißen sie ‚Ladykracher‘, was auch nicht wirklich besser ist. Die Frage ist: Was macht Sprache, um Leute zu diffamieren oder auszugrenzen? Es ist wichtig, dass ich mir mal eben ein paar Gedanken mache, wo kommt denn das her? Und dann kann ich es auch ablegen. Ich habe keinen Vorteil und keinen Nachteil dadurch. Wenn ich merke, ich beleidige Menschen allein durch Sprache, dann kann ich das doch sein lassen.“

Vor der Kamera und auf der Bühne

Als Tierfreund und ehemaliger „Vater“ von Mops-Dame Twiggy ist Morgenstern bei der im Juni anlaufenden 15-teiligen ARD-Sendung Die Haustierprofis als Moderator an Bord – und hatte in dieser Rolle von Vogelspinnen bis Legehennen schon alle möglichen Tiere in der Hand. Auch wenn sich Fachleute wie ein Hundecoach, eine Fachtierärztin für Kleintiere, ein Vogelmediziner und eine Katzentherapeutin im Team um das Wohlergehen der Tiere kümmern, bringt der Moderator einen „tierischen“ familiären Hintergrund mit, denn er wuchs umgeben von Tieren auf: Die Familie seiner Mutter hatte Bauernhöfe, Großonkel und Großtante führten einen Milchhof.   

Als kreativer Kopf liebt Morgenstern die Abwechslung in seinem Beruf – und die Möglichkeit, dabei mit großartigen Menschen zusammenzuarbeiten. Dazu kommt der Kontakt mit den Zuschauenden live im Studio oder mit dem Theaterpublikum. Gerade bereitet er sich auf die Uraufführung von Plötzlich Shakespeare bei den Schlossfestspielen Neersen vor. Obwohl er gern viele Projekte auf dem Tisch hat, schaut er mittlerweile etwas genauer hin, bei welcher Anfrage er zusagt: „In meinem Alter interessiert mich nur noch das, was ich bin und was ich gern mache. Bei den Haustierprofis drehen wir zwölf Stunden am Tag, das muss man schon gern machen. Das ist richtig anstrengend. Und wenn du 15 Folgen machst, weißt du, was du getan hast.“ Noch bis 2025 hat er laufende Theaterverträge, die bearbeitet werden wollen, darunter sind neben Plötzlich Shakespeare die Operette Die Lustige Witwe in der Oper Köln, die Inszenierung SPATZ UND ENGEL – Die Geschichte der Freundschaft zwischen Edith Piaf und Marlene Dietrich im Renaissance-Theater und eine Tournee durch die deutschsprachigen Länder mit SUGAR – Manche mögen’s heiß.

Ganz so glamourös wie Sendungen oder Aufführungen nach außen wirken ist die Arbeit innen dann aber doch nicht. Vor dem Erfolg stehen Angst und harte Arbeit. Bis heute sind Zweifel und Lampenfieber Begleiter des TV- und Theater-Urgesteins. „Es wird nicht besser“, gibt Morgenstern unumwunden zu, „manchmal habe ich sogar das Gefühl, es wird schlimmer, je älter ich werde. Aber das Adrenalin bringt mich in eine Situation, wo ich mich extrem konzentrieren muss. Ich bin dann sehr bei mir.“

Die Frage ist: Was macht Sprache, um
Leute zu diffamieren oder auszugrenzen?

Privatmensch Ralph Morgenstern

Zwischen Theaterinszenierungen und Drehtagen für das neue Haustierformat bleibt wenig Zeit fürs Privatleben. Seine Tochter hielt er lange aus der Presse raus. „Ein Kind ist nicht für seinen Vater verantwortlich. Den eigenen Partner zu verleugnen ist das eine, aber ein Kind hat mit meinen öffentlichen Auftritten nichts zu tun. Es kann sich in dem Alter nicht entscheiden. Gerade während der Schulzeit wollte ich meine Tochter davor bewahren, dass geredet wird. Die Presse hat sich seinerzeit an meine Ansage gehalten. Vielleicht sähe das heute anders aus. Ich weiß es nicht.“

Im Privaten schaut der Bühnenkünstler nur Dokumentationen, die ihn beruhigen, und allenfalls mal den Tatort. Sein „Fernsehen“ ist zurzeit der Blick aus seiner Hamburger Theaterwohnung im 27. Stock. Rückzug findet er am ehesten in seiner 37 Quadratmeter großen, geordneten Wohnung in Berlin. Eine Küche, eine gemütliche Couch, eine schöne Inneneinrichtung und den Blick auf ein Kunstwerk gerichtet – viel mehr braucht Morgenstern nicht, um in seiner rar gesäten Freizeit abzuschalten. „Manchmal habe ich nur ein paar Stunden, und die bin ich gern zu Hause. Autolärm, Straßenlärm oder Flugzeuglärm knuspern an meiner Freizeit und an meinen Nerven.“ Instagram hingegen, wo er sehr aktiv ist, bietet ihm den Blick in die Außenwelt.

Infobox

Ralph Morgenstern

ist ein deutscher Moderator, Sänger und Schauspieler.

Ankündigungen

DIE HAUSTIERPROFIS
ARD, ab 12.06.2023

SPATZ UND ENGEL
im Renaissance-Theater
10.09.2023, 18:00 Uhr
12.09.2023, 19:30 Uhr
13.09.2023, 19:30 Uhr

Instagram: @ralph_morgenstern