Kurz und Knapp Portrait

„Kurz und knapp“ – Annekatrin Hendel

Annekatrin Hendel

„Kurz und knapp“ ist eine Interview-Serie des Berliner Fotografen Jens Wazel.

Kurz und knapp … wer bist du?

Im Moment bin ich Filmproduzentin und Regisseurin.

Wo kommst du her?

Ich bin in Biesdorf aufgewachsen, am Rand von Ostberlin: kleines Haus, kleiner Garten, es gab Schafe, und man konnte auf der Straße Rollschuh laufen. Es war toll und natürlich auch sehr provinziell. Als Teenager hat es mich ins Zentrum gezogen, ich habe die letzten zwei Schuljahre fast nur geschwänzt und die Stadt unsicher gemacht. Mit 16 bin ich ausgezogen, habe Schuhmacher gelernt, studiert (Ingenieur für Erzeugnisgestaltung und Konstruktion, heute würde man sagen Design), habe Mode gemacht, Kinder gekriegt und bin später zum Theater gegangen, war Bühnenbildnerin und Kostümbildnerin. Seit 2004 mache ich Filme.

Annekatrin Hendel Berlin

Was für Filme?

Zuerst habe ich zwei Spielfilme und Dokumentationen fürs Fernsehen gemacht und habe dann angefangen, Kino-Dokumentarfilme zu produzieren. Ich war aber nicht immer zufrieden mit der künstlerischen Umsetzung, und dann habe ich mir gesagt: Dann mach’s doch selbst! Und so bin ich zur Regie gekommen und habe gemerkt, dass es mir nicht nur liegt, Filme zu denken, zu planen und herzustellen, sondern dass ich als Zugehörige der letzten Erwachsenengeneration der DDR über einen großen Quell an Stoffen verfüge und die Sturheit besitze, meine Geschichten durchzusetzen.

Und zu finanzieren …

Film ist Krieg, Auseinandersetzung, Konflikt. Du musst Partner finden, die das, was dich interessiert, auch gut finden. Ich mache keine Auftragsproduktionen. Ich möchte von denen, die das Geld verwalten, das Geld haben. „Siegen, ohne zu kämpfen“ – diese alte chinesische Kriegskunst-Weisheit könnte man mein Mantra nennen. Dabei heißt Siegen nicht für mich: „du tot, ich lebendig“, sondern dass alle Beteiligten aus einem Konflikt rausgehen mit dem Gefühl, dass man gemeinsam was gewonnen hat. Wenn das funktioniert, bin ich glücklich.

Du hast ein erfahrenes Team …

Gleich als ich angefangen habe Filme zu produzieren, habe ich nach Mitstreitern gesucht, die brillant ihr Handwerk beherrschen. Und ich durfte mit den besten Leuten arbeiten. Selbst war ich ja Autodidakt, aber habe mich in den komplizierten Herstellungsprozessen von Filmen nur mit Profis umgeben, mit Leuten, die wirklich Ahnung hatten. Wenn man anfängt, mit solchen Leuten zu arbeiten, muss man selbst auch abliefern, dann ist man selbst auch gefordert, hat Druck, auch eine bestimmte Qualität zu erreichen.

Bist du jetzt Profi?

Ich hatte ja 20 Jahre lang Theater gemacht, viel mit Schauspielern gearbeitet, Kostüme und Szenenbilder gemacht und gleich als es digital möglich war, Filme gedreht – ich hatte viel Handwerkszeug im Gepäck. So war ich von Anfang an sicher in meinen Entscheidungen. Heute würde ich sagen, dass ich eine ganz solide Fachkraft bin, quasi Ingenieurin für Filmgestaltung.

Was ist dein Stil?

Es gibt bei mir selten so etwas wie ein Interview, ich bin ja kein Journalist, sondern meistens ist es so, dass ich mit Leuten ein Stück Weg gehe und zwischendurch Gespräche führe und immer mal eine Frage stelle. Oft tatsächlich spontan und aus der Situation heraus. Natürlich bereite ich mich gründlich vor, oft liegen viele Jahre der Recherche hinter mir. Man muss ja, auch um an Gelder zu kommen, überzeugende Konzepte liefern, die wollen entwickelt und geschrieben werden. Und ganz sicher ist dies alles dann in meinem Hinterkopf. Aber die lebendige Situation ist mir heilig, und ich liebe es, wenn die Dinge anders laufen, als ich es erwarte. Immer dann wird es besonders spannend. Oder besonders lustig. Oder besonders berührend.

Du inszenierst nichts?

Bei Anderson oder auch besonders bei Schönheit & Vergänglichkeit wurde ich oft gefragt, warum ich die Protagonistinnen und Protagonisten nicht zusammengebracht habe. Da konnte ich nur sagen: Ich bin nicht das Schicksal. Ich mache nur einen Film und versuche teilzunehmen an dem, was passiert. Und wenn nichts passiert, dann werde ich es nicht herbei inszenieren.

Was sind deine Themen?

Ich habe keine Themen, ich habe Fragen und will Dinge verstehen. Ich würde nie einen Film machen über etwas, was ich schon weiß, das würde mich langweilen. Das Loch, durch das ich gucke, ist klein: Alle meine Filme kommen direkt aus meinem eigenen Leben und Erleben. Ich interessiere mich für Beziehungen zwischen den Menschen. Ich habe in meinem Leben viele tolle Leute getroffen. Da sind so viele Geschichten. Ich komme gar nicht hinterher. Es ist alles da.

Erklärst du den Osten?

Ich sehe mich nicht als Osterzähler oder Chronist. Als Erklärer schon gar nicht. Vielleicht versuche ich einfach, jüngere deutsch-deutsche Geschichte sinnlich zu erzählen. Und nicht Ereignisse, „Events“ abzuhandeln. Ich versuche dahin zu gucken, wo das Leben pulsiert. Und wenn ich Filme mache über jemanden, der IM bei der Stasi war, interessiert es mich, wie sich das genau angefühlt haben mag, wie das gelebt und auch ob und wie geliebt wurde. Geschichte wird ja von Menschen aus Fleisch und Blut gemacht. Also gehört sie auch lebendig so erzählt. Und Film kann das manchmal sehr gut.

Freiwillig habe ich ja auch nicht angefangen Filme zu machen, sondern weil es die Filme, die ich hätte sehen wollen, nicht gab. Es muss ein Anflug von Größenwahn gewesen sein, als ich mit der Vorstellung startete, gleich eine ganze Reihe von Filmen in die deutsche Filmlandschaft reinzupressen. Und damit einen anderen Blick auf unsere Nachkriegsgeschichte zu werfen. Inhalte von gestern müssen keine Filme von gestern sein.

Vermisst du die DDR?

Die Heimat, aus der ich komme und die nicht mehr da ist, die fehlt mir schon sehr. Früher war nicht alles besser, aber es gibt Dinge, die wirklich verloren gegangen sind. Ich bin im Osten mit viel Wärme und Leidenschaft groß geworden, wo Karriere und Geld keine Rolle spielten. Dieses Lebensgefühl war ein Geschenk und prägend.

Und jetzt?

Die Leute haben heute einen enormen Anpassungsdruck und dabei oft im Alltäglichen viel mehr Angst als früher. Und klar, das nicht ohne Grund. Aber in der Kneipe sitzen und heulen ist auch kein Weg. Geschichten aus einer anderen Ecke zu betrachten und in die Gesellschaft einzubringen, zu berühren, das Komische im Dramatischen aufzuspüren, zu unterhalten, letztlich zu überraschen, das ist der Antrieb Filme zu machen. Filme, die sich direkt aus den gegenwärtigen Konflikten und den künstlerischen und biografischen Backgrounds von uns Machern speisen. Mit der Arbeit an den Filmen selbst lässt sich tatsächlich eine Lebensart, eine vertraute Form des Miteinanders erhalten und weiterentwickeln. Und da vermisse ich dann nichts. Das fetzt einfach.

Für wen machst du Filme?

Der deutsche Film ist für mich immer noch das, was er im Ursprung war: gesellschaftskritisch, düster, hart, zwischen Verbrecher-, Liebes- und Heimatfilm, dramatisch und komisch zugleich. Für die, die solche Filme mögen, mache ich das.

Plakat Fünf Sterne
Plakat Vaterlandsverräter
Familie Brasch

Dein Lebenspartner ist aus dem Westen …

Ja. Er hat mal gesagt, dass er eine türkische Freundin hatte und dass der Kulturunterschied zwischen ihr und ihm lange nicht so groß war wie der zwischen ihm und mir. Unterschiede können aber auch bereichernd sein. Wir arbeiten ja immer mal zusammen, und auch das ist sehr inspirierend.

Reist du gern?

Ich reise nicht gern, ich habe einen tiefen Pflock in Berlin, ich drehe mich um meine eigene Achse und versuche hier genau hinzuschauen. Das ist ziemlich aufregend die letzten vierzig Jahre. Wenn ich dann mal zu Festivals unterwegs bin, ist es irgendwie immer auch schön. Aber ich würde nicht darauf kommen, einen Urlaub auf den Malediven zu buchen, höchstens an die Ostsee, die Ost-Ostsee. Da bin ich oft.

Du arbeitest gerade an acht Filmen parallel …

Das hat sich durch Corona ergeben, weil manche Sachen aufgehalten wurden. Normalerweise mache ich maximal zwei oder dreu Filme parallel. Es ist eigentlich zu viel.

Einer der Filme ist über den 1. FC Union …

Ich bin mit Union aufgewachsen, habe um die Ecke vom Stadion an der Alten Försterei gewohnt. Im Film geht es um den Betrieb 1. FC Union Berlin: Es geht um die Arbeit im Klub, über die Prozesse, die zu Entscheidungen führen, über die Maschine Union, die Beziehungen der Kollegen untereinander. Meine These ist, dass, was da funktioniert, etwas mit der Herkunft aus dem Osten zu tun hat, mit den Transformationserfahrungen. Egal ob sie gewinnen oder verlieren. Es ist kein Film über die Geschichte von Union, es geht ums Hier und Jetzt. Ich bin kein Fußballfan, und es ist für mich wieder etwas Neues.

Wirst du vielleicht noch mal etwas anderes machen als Film?

Ich kann mir sehr viel vorstellen, ich habe ja immer mein Leben extrem gewechselt. Kindertheater zu machen fände ich gut, das würde ich genauso leidenschaftlich angehen, wie jetzt Filme. Ich würde auch gern mal einen Roman schreiben, die Geschichte ist schon da. Es kann aber auch sein, dass ich das mit dem Film stur durchziehe, bis ich umfalle.

Vielen Dank!

Link zum Video Unterhaltung mit Annekatrin auf YouTube

Annekatrin Hendel

Profil Annekatrin Hendel

ist eine preisgekrönte Filmproduzentin und Regisseurin von Filmen wie Vaterlandsverräter, Anderson, Fassbinder und Familie Brasch. Sie ist im Vorstand der Deutschen Filmakademie und hat zwei Kinder.

www.itworksmedien.com

Jens Wazel

ist Fotograf und Videofilmer. Im Osten aufgewachsen, wohnt er nach 25 Jahren in den USA wieder in Berlin.

www.jenswazelphotography.com