Das Wohnhaus, die Stadt und der Mensch
Vor 150 Jahren ist Käthe Kollwitz geboren. Mit einer Ausstellung, einem Buch sowie Führungen und Begleitveranstaltungen legt die „Galerie Parterre“ nun Spuren frei, die die weltberühmte Künstlerin in ihrem Wohnort Prenzlauer Berg und ihrer Wirkungsstätte Berlin hinterlassen hat – und in den Menschen auch heute noch hinterläßt.
„Sehen Sie hier, das Motiv für unser Ausstellungsplakat: die Szene, die Käthe Kollwitz hier gezeichnet hat, wurde lange Zeit dem „Lehrter Bahnhof“ zugeordnet“, sagt Kathleen Krenzlin. Die Kuratorin der Galerie Parterre ist ganz in ihrem Element und deutet auf architektonische Merkmale der Bahnhofspforte, aus dem die Arbeiter strömen. „Es ist eindeutig, dass dies nicht der Lehrter, Bahnhof sondern der Eingang zum Bahnhof Prenzlauer Allee ist, das können Sie hier auf einem neuzeitlichen Foto des S-Bahnhofs Prenzlauer Allee gut erkennen.
Krenzlin ist im benachbarten Weissensee aufgewachsen und lebt und arbeitet seit Jahrzehnten in Prenzlauer Berg, ihr sind örtliche Gebäude also bestens vertraut. So fiel ihr diese Unstimmigkeit zwischen Motiv und Bildbeschreibung irgendwann auf, als sie an der Ausstellung arbeitete. Zugleich spiegele sich in ihrer „Entdeckung“ auch gut ihr Anliegen mit der Ausstellung wider: Sie will genau hinschauen und einen neuen oder auch tieferen Blick darauf richten, dass und wie Käthe Kollwitz den Großteil ihres Lebens genau hier verbrachte, im heute als „Kollwitz-Viertel“ bekannten Kiez.
Unbezweifelt ist der Name Kollwitz in Berlin eine feste Größe, insbesondere auch für den Bezirk Prenzlauer Berg. Kollwitzplatz und Kollwitzstraße liegen geografisch zentral im Bezirk, sie stehen charakteristisch für bestimmte Entwicklungen in diesen und angrenzenden Stadtbezirken der vergangenen 25 Jahre, von Hipstertum bis Gentrifzierung. In der Dunckerstraße findet sich das Käthe-Kollwitz-Gymnasium. Aber auch viele berühmte Werke von Käthe Kollwitz, etwa das ikonische „Nie wieder Krieg“-Plakat oder ihre Skulptur in der berühmten Neuen Wache, sind im kollektiven Gedächtnis der Stadt verankert. Ihr Strich, ihr markanter Stil, ihre ausdrucksstarken Zeichnungen gehören zum Kanon des Kunstunterrichts, bis heute lenken immer wieder neue Ausstellungen die Aufmerksamkeit auf sie, und in Büchern und Reflektionen machen sich Kunsthistoriker, Sammlungen, Museen und Kuratoren um das Gedenken an Kollwitz verdient.
Doch wo und wie Käthe Kollwitz hier vor Ort lebte, was dieses städtische Leben mit ihren Motiven zu tun hatte, darüber sei noch manches unerforscht, so Kathleen Krenzlin. Für sie, als langjährige Leiterin der Galerie Parterre, lag dieser Ansatz im doppelten Sinne nahe. Ist dieses bezirkseigene Ausstellungszentrum doch mitten in Prenzlberg zu Hause, in einem alten, wunderschönen Backsteingebäude am südlichen Rand des Thälmannparks. Einst diente es als Direktorenvilla des riesigen Gaswerks, das zu Kollwitz’ Lebzeiten ein großer Betrieb und Arbeitgeber war und auf dessen Fläche Mitte der Achtziger Jahre eine der jüngsten Stadtgrünflächen des Bezirks entstand.
Diese Villa liegt keine 15 Gehminuten entfernt vom Wohnhaus Weißenburger Straße 25 (heutige Kollwitzstraße), Ecke Tresckowstraße (heutige Knaackstraße), mit Blick auf den Wörther Platz (heutiger Kollwitzplatz). Dort wohnte Käthe Kollwitz mit ihrer Familie insgesamt 52 Jahre, dort hatte sie viele Jahre auch ihr Atelier. Aus Königsberg stammend zog das Ehepaar Kollwitz 1891 nach Berlin, weil Karl sich dort mit einer Arztpraxis niederliess. Zu damaliger Zeit war das Viertel am Wörther Platz ebenso Neubauviertel wie Stadtrand, eher bürgerlich und von dichter, Berlin-typischer Bebauung geprägt, mit viergeschossigen Komplexen inklusive Seitenflügel, Quergebäude und aneinanderstoßenden Hinterhöfen. Mit Arztpraxis, zwei Kindern, weiteren Verwandten und Künstleratelier war der Platzbedarf etwas größer, daher mietete die Familie zwei Wohnungen mit jeweils vier Zimmern, im zweiten und dritten Stock. Mitunter wohnten auch Kindermädchen in der Wohnung, die zwei Söhne gingen in unmittelbare Nähe zur Schule.